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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Ihnen geeigneten Orts noch gar manche hierher bezügliche Anekdote mittheilen
können, die ergötzlich sein würde, wenn sie nicht zum dunkeln Hintergrunde eine
Stimmung hätte, welche in Verachtung des geistlichen Standes überhaupt, und
da der Geistliche namentlich aus dem Lande mehr als durch die Predigt durch
sein Beispiel und als Seelsorger zu wirken berufen ist, in Demoralisation um¬
zuschlagen droht.

Daß mehre von den Dünen eingesetzte Pastoren nicht blos durch ihr Ver¬
halten in politischen Dingen, sondern auch durch anstößiges Privatleben, ja
durch offen zur Schau getragene Geringschätzung re.ligiöser Dinge jene Mi߬
achtung ihres Standes hervorgerufen und genährt haben, ist nach den zahl¬
reichen Klagen, die nach dieser Seite hin laut werden, außer allem Zweifel.

Der Pastor Mohr in Fahrenstebt -- derselbe, von dem ich Ihnen im
vorigen Briefe eine Mittheilung machte -- reichte im Jahre -1852 den Com-
municanten am Altare Rum statt Wein. Ob dies in Island, seiner Heimath,
Sitte ist, habe ich nicht erfahren können. In Angeln war es bis dahin nicht
erlebt worden, und so machte man, als der Geruch des Rums sich in der
Kirche zu verbreiten anfing, den Pastor durch den Küster aufmerksam, es habe
wol ein Versehen stattgefunden. Der Pfarrer ließ sich indeß -- man sagt,
weil er betrunken gewesen -- so wenig bedeuten, daß er den Küster, der den
Rum entfernen wollte, mit Gewalt vom Altare wegschob, indem er dabei
äußerte, Rum sei gut genug für die Bauern.- Es fehlte wenig, so wäre es
darüber zwischen den beiden Dienern der Kirche zum Handgemenge gekommen.
Die Gemeinde verließ, über diesen Auftritt empört, das Gotteshaus und die
Abendmahlsfeier unterblieb. Man sprach von Klagen, unterließ es aber, da
man zu der vorgesetzten Behörde, Hardesvogt Riis, längst das Vertrauen ver¬
loren hatte, derselbe werde im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit gegen die
Werkzeuge der Gewalt ernstlich einschreiten.

Die Prediger dienen nämlich, wie angedeutet, in diesen Gegenden Schles¬
wigs mit wenigen Ausnahmen durchgängig als Agenten der Polizei und sind
der Regierung als Förderer ihrer politischen Zwecke so unentbehrlich, daß man
ihrer Willkür nicht nur vollkommen freie Hand läßt, sondern sie auch in Schutz
nimmt, wenn sie zufällig mit den bürgerlichen Gesetzen in Kollision gerathen.
Dem gedachten Prediger scheint demungeachtet einige Zeit nach dem Vorfall
die Befürchtung aufgestiegen zu sein, die Angelegenheit könne schlimme Folgen
haben; denn er ließ durch den Hardesvogt eine Gemeindeversammlung abhal¬
ten, in welcher er den ganzen Auftritt als einen bloßen Mißgriff von seiner
Seite darzustellen bemüht war und die Erwartung aussprach, man werde die
Geschichte nicht weiter erwähnen. Zum Schlüsse der Rede folgten Drohungen
gegen "Deutschgesonnene", welche der Hardesvogt mit einigen Anspielungen
ähnlicher Art verstärkte, was indeß nicht hinderte, daß ein resolutes Gemeinde-


Grenzbomi. IV. 18on., ^ 4>1

Ihnen geeigneten Orts noch gar manche hierher bezügliche Anekdote mittheilen
können, die ergötzlich sein würde, wenn sie nicht zum dunkeln Hintergrunde eine
Stimmung hätte, welche in Verachtung des geistlichen Standes überhaupt, und
da der Geistliche namentlich aus dem Lande mehr als durch die Predigt durch
sein Beispiel und als Seelsorger zu wirken berufen ist, in Demoralisation um¬
zuschlagen droht.

Daß mehre von den Dünen eingesetzte Pastoren nicht blos durch ihr Ver¬
halten in politischen Dingen, sondern auch durch anstößiges Privatleben, ja
durch offen zur Schau getragene Geringschätzung re.ligiöser Dinge jene Mi߬
achtung ihres Standes hervorgerufen und genährt haben, ist nach den zahl¬
reichen Klagen, die nach dieser Seite hin laut werden, außer allem Zweifel.

Der Pastor Mohr in Fahrenstebt — derselbe, von dem ich Ihnen im
vorigen Briefe eine Mittheilung machte — reichte im Jahre -1852 den Com-
municanten am Altare Rum statt Wein. Ob dies in Island, seiner Heimath,
Sitte ist, habe ich nicht erfahren können. In Angeln war es bis dahin nicht
erlebt worden, und so machte man, als der Geruch des Rums sich in der
Kirche zu verbreiten anfing, den Pastor durch den Küster aufmerksam, es habe
wol ein Versehen stattgefunden. Der Pfarrer ließ sich indeß — man sagt,
weil er betrunken gewesen — so wenig bedeuten, daß er den Küster, der den
Rum entfernen wollte, mit Gewalt vom Altare wegschob, indem er dabei
äußerte, Rum sei gut genug für die Bauern.- Es fehlte wenig, so wäre es
darüber zwischen den beiden Dienern der Kirche zum Handgemenge gekommen.
Die Gemeinde verließ, über diesen Auftritt empört, das Gotteshaus und die
Abendmahlsfeier unterblieb. Man sprach von Klagen, unterließ es aber, da
man zu der vorgesetzten Behörde, Hardesvogt Riis, längst das Vertrauen ver¬
loren hatte, derselbe werde im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit gegen die
Werkzeuge der Gewalt ernstlich einschreiten.

Die Prediger dienen nämlich, wie angedeutet, in diesen Gegenden Schles¬
wigs mit wenigen Ausnahmen durchgängig als Agenten der Polizei und sind
der Regierung als Förderer ihrer politischen Zwecke so unentbehrlich, daß man
ihrer Willkür nicht nur vollkommen freie Hand läßt, sondern sie auch in Schutz
nimmt, wenn sie zufällig mit den bürgerlichen Gesetzen in Kollision gerathen.
Dem gedachten Prediger scheint demungeachtet einige Zeit nach dem Vorfall
die Befürchtung aufgestiegen zu sein, die Angelegenheit könne schlimme Folgen
haben; denn er ließ durch den Hardesvogt eine Gemeindeversammlung abhal¬
ten, in welcher er den ganzen Auftritt als einen bloßen Mißgriff von seiner
Seite darzustellen bemüht war und die Erwartung aussprach, man werde die
Geschichte nicht weiter erwähnen. Zum Schlüsse der Rede folgten Drohungen
gegen „Deutschgesonnene", welche der Hardesvogt mit einigen Anspielungen
ähnlicher Art verstärkte, was indeß nicht hinderte, daß ein resolutes Gemeinde-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/393>, abgerufen am 30.06.2024.