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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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schlich noch die deutsche ist und Eltern wie Kinder sich mit Macht gegen die
Neuerung sträuben. Einmal wurde den Knaben ausgegeben,, das dänische
Vaterunser nach einer Vorschrift auf der Wandtafel nachzuschreiben. Ein
Schüler, dem dies, vielleicht mit Rücksicht auf die wenig wohlklingenden Laute
der dänischen Sprache, als Verhöhnung des Gebets vorkam, schrieb statt dessen
auf seine Schiefertafel: "Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten/' Der
Schulmeister lief spornstreichs mit dem oorpus äelieU zum Pastor, der Pastor
sandte die Tafel ans Visitatorium, und schon glaubte der brave Seelsorger den
Vater des Knaben mit dem Zuchthause bedrohen zu können, als die Tafel zu¬
rückkam, indem man sich höhern Orts nach langem Ueberlegen entschieden hatte,
die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Daß die Gemeinde dem Pastor, der sich früher ihrer Liebe und Verehrung
erfreute, völlig gram geworden ist, wird nach dem Gesagten begreiflich sein.
Es wäre für das Allgemeine gleichgiltig. Schon schlimmer ist, daß diese Ab¬
neigung auch eine sehr sichtbare Verminderung des Kirchenbesuchs im Gefolge
gehabt hat, und noch betrübender sind Vorfälle, bei denen, wie in dem folgen¬
den, die Mißachtung des politischen Renegaten sich auch nach solchen Beziehungen
Luft macht, die nichts mit der Politik gemein haben. Der Pastor, seiner
theologischen Richtung nach ein Zelot von der Art, welche -den seligen Harms
zu überbieten sucht, hatte sich beikommen lassen, am Grabe eines Gemeinde¬
gliedes, das im Ganzen eine gute Haut, aber dem Glase etwas zu hold ge¬
wesen war, zu sagen, der Verstorbene werde der Verdammniß anheimfallen.
Die Anwesenden verdroß das, und einige Tage darauf erhielt der Pfarrer
einen Brief, der aus Abrahams Schoße datirr war, und in welchem der Tode
ihm meldete, er freue sich sehr, endlich gut untergebracht zu sein, und zwar um
so mehr, als er wol gehört habe, wie der Herr Pastor ihn in die Hölle ver¬
wiesen. Allerdings habe der liebe Gott ihm eine tüchtige Strafrede über sein
vieles Trinken gehalten. Indeß habe er ihm den Fehler als einen menschlichen
schließlich verziehen und ihn sogar, als er Besserung angelobt, zu seinem Rade¬
macher ernannt. Das erste Stück aber, was er anzufertigen habe, sei ein
Wagen, recht hart und ohne Federn, aus dem sollte der Pastor Thieß nächstens
in die, Hölle abgeholt werden; denn dessen Fehler, Verrätherei an der Sache
des Vaterlandes, sei eben unmenschlich. Die, welche auf diese Weise ihren
Witz hatten spielen lassen, waren im Dorfe mehr als einem bekannt. Dennoch
gab sich Thieß vergebliche Mühe, ihre Namen zu erfahren, und so mußte er
die bittere Wahrheit hinterschlucken, ohne an der rechten Stelle darüber klagen
zu können.i¬

Solche Mückenstiche, mit denen das Volk in einer freilich nicht zu
genden Weise seinen Aerger am Dänenthume und dessen Beförderern ausläßt,
cheinen in jedem Kirchspiele an der Tagesordnung zu sein, und ich werde


schlich noch die deutsche ist und Eltern wie Kinder sich mit Macht gegen die
Neuerung sträuben. Einmal wurde den Knaben ausgegeben,, das dänische
Vaterunser nach einer Vorschrift auf der Wandtafel nachzuschreiben. Ein
Schüler, dem dies, vielleicht mit Rücksicht auf die wenig wohlklingenden Laute
der dänischen Sprache, als Verhöhnung des Gebets vorkam, schrieb statt dessen
auf seine Schiefertafel: „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten/' Der
Schulmeister lief spornstreichs mit dem oorpus äelieU zum Pastor, der Pastor
sandte die Tafel ans Visitatorium, und schon glaubte der brave Seelsorger den
Vater des Knaben mit dem Zuchthause bedrohen zu können, als die Tafel zu¬
rückkam, indem man sich höhern Orts nach langem Ueberlegen entschieden hatte,
die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Daß die Gemeinde dem Pastor, der sich früher ihrer Liebe und Verehrung
erfreute, völlig gram geworden ist, wird nach dem Gesagten begreiflich sein.
Es wäre für das Allgemeine gleichgiltig. Schon schlimmer ist, daß diese Ab¬
neigung auch eine sehr sichtbare Verminderung des Kirchenbesuchs im Gefolge
gehabt hat, und noch betrübender sind Vorfälle, bei denen, wie in dem folgen¬
den, die Mißachtung des politischen Renegaten sich auch nach solchen Beziehungen
Luft macht, die nichts mit der Politik gemein haben. Der Pastor, seiner
theologischen Richtung nach ein Zelot von der Art, welche -den seligen Harms
zu überbieten sucht, hatte sich beikommen lassen, am Grabe eines Gemeinde¬
gliedes, das im Ganzen eine gute Haut, aber dem Glase etwas zu hold ge¬
wesen war, zu sagen, der Verstorbene werde der Verdammniß anheimfallen.
Die Anwesenden verdroß das, und einige Tage darauf erhielt der Pfarrer
einen Brief, der aus Abrahams Schoße datirr war, und in welchem der Tode
ihm meldete, er freue sich sehr, endlich gut untergebracht zu sein, und zwar um
so mehr, als er wol gehört habe, wie der Herr Pastor ihn in die Hölle ver¬
wiesen. Allerdings habe der liebe Gott ihm eine tüchtige Strafrede über sein
vieles Trinken gehalten. Indeß habe er ihm den Fehler als einen menschlichen
schließlich verziehen und ihn sogar, als er Besserung angelobt, zu seinem Rade¬
macher ernannt. Das erste Stück aber, was er anzufertigen habe, sei ein
Wagen, recht hart und ohne Federn, aus dem sollte der Pastor Thieß nächstens
in die, Hölle abgeholt werden; denn dessen Fehler, Verrätherei an der Sache
des Vaterlandes, sei eben unmenschlich. Die, welche auf diese Weise ihren
Witz hatten spielen lassen, waren im Dorfe mehr als einem bekannt. Dennoch
gab sich Thieß vergebliche Mühe, ihre Namen zu erfahren, und so mußte er
die bittere Wahrheit hinterschlucken, ohne an der rechten Stelle darüber klagen
zu können.i¬

Solche Mückenstiche, mit denen das Volk in einer freilich nicht zu
genden Weise seinen Aerger am Dänenthume und dessen Beförderern ausläßt,
cheinen in jedem Kirchspiele an der Tagesordnung zu sein, und ich werde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/392>, abgerufen am 28.06.2024.