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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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glied die Aeußerung that, wenn man ihm Nun statt Wein gereicht hätte, so
würde er ihn dem Pastor auf den schwarzen Kittel gespuckt haben -- eine
Aeußerung, welche Herr Mohr mit Gleichmuth anzuhören für gut fand.

Das Ministerium muß später von der Sache unterrichtet worden sein;
denn es ließ eine Untersuchung anstellen, jedoch hat über das Ergebniß der¬
selben nichts verlautet. Als der König im Herbst 1"Si in Flensburg war,
sah man den Pastor im Vorzimmer Moltkes nntichambriren, wo er den An¬
wesenden durch seine Armsündergeberden auffiel; doch ^ist bis heute noch nichts
geschehen, ihn von seinem Posten zu entfernen, obwol sein übles Verhältniß zu
dem ebenfalls nichtsnutzigen Küster in der jüngsten Zeit zu allerlei Ärgerlichen
Auftritten, ja zu Störungen des Gottesdienstes Veranlassung gegeben hat. So
drehte sich der Küster vor kurzem unter der Predigt auf seinem Stuhle, wo er
der Kanzel den Rücken zukehrt, um, schob d.le Brille mit einer auf Belustigung
der Schuljugend berechneten Geste'in die Höhe und blinzelte den Pastor an,
worauf dieser sich in dem Vortrage unterbrach und dem Bajazzo auf dem Chor
in drohendem Tone zurief: "Lassen, machen Sie. keinen Unsinn, sonst werdeich
Sie beim Ministerium verklagen."

Solche und ähnliche Geschichten erzählt man in jedem Dorfe Angelus.
Dieselben liefern den täglichen, nie ausgehenden Stoff des Gesprächs, dessen
Reichthum nur durch die Erzählungen von den Gewaltthätigkeiten, Mißgriffen,
Rechtsverletzungen, Erpressungen und Brutalitäten der Justiz- und Administra¬
tivbeamten übertroffen wird. Es scheint nach dem, .was ich höre, in dem
ganzen Ländchen Angeln kein halb Dutzend Mitglieder des sonst grade hier
so hochgehaltenen geistlichen Standes mehr zu geben, die sich dieses Berufs in
der öffentlichen Meinung nicht vollständig unwürdig gemacht haben, und glei¬
chen Schlages sind die meisten Schullehrer. Die wenig älteren Prediger,
welche bei dem Umschwung der Verhältnisse als gefügig oder mindestens harm¬
los in ihren Stellen belassen wurden, trifft meist nur der Vorwurf der Aengst-
lichkeit. Die neueingesetzten aber, welche größtentheils Dänen sind, werden
von ihren Gemeinden, ganz abgesehen von ihrem Zusammenwirken mit den
Gendarmen und ihrer politisch-polizeilichen Thätigkeit überhaupt, fast unter¬
schiedslos angeklagt, einen anstößigen Lebenswandel zu führen, die Flasche
mehr als erlaubt zu lieben, ihre Kinder übel zu erziehen, ihr Amt auf die
leichtfertigste Weise zu verwalten, ihren Gemeinden zum Trotze zu leben, nicht
ausreichend Deutsch zu verstehen und Verächter der Religion zu sein.

Es ist ein unreinliches und unangenehmes Geschäft, Haufen auf Haufen
moralischen Schmuzes zusammenzutragen und dann wieder auszubreiten, und ich
meine, ich habe nicht nöthig, Ihnen zu erklären, wie ungern ich mich damit
befasse, hier in die garstigen Details einzugehen. Allein nur dadurch, daß
möglichst viele der einzelnen porträtirt werden, wird der Zweck erreicht, zu zei-


glied die Aeußerung that, wenn man ihm Nun statt Wein gereicht hätte, so
würde er ihn dem Pastor auf den schwarzen Kittel gespuckt haben — eine
Aeußerung, welche Herr Mohr mit Gleichmuth anzuhören für gut fand.

Das Ministerium muß später von der Sache unterrichtet worden sein;
denn es ließ eine Untersuchung anstellen, jedoch hat über das Ergebniß der¬
selben nichts verlautet. Als der König im Herbst 1»Si in Flensburg war,
sah man den Pastor im Vorzimmer Moltkes nntichambriren, wo er den An¬
wesenden durch seine Armsündergeberden auffiel; doch ^ist bis heute noch nichts
geschehen, ihn von seinem Posten zu entfernen, obwol sein übles Verhältniß zu
dem ebenfalls nichtsnutzigen Küster in der jüngsten Zeit zu allerlei Ärgerlichen
Auftritten, ja zu Störungen des Gottesdienstes Veranlassung gegeben hat. So
drehte sich der Küster vor kurzem unter der Predigt auf seinem Stuhle, wo er
der Kanzel den Rücken zukehrt, um, schob d.le Brille mit einer auf Belustigung
der Schuljugend berechneten Geste'in die Höhe und blinzelte den Pastor an,
worauf dieser sich in dem Vortrage unterbrach und dem Bajazzo auf dem Chor
in drohendem Tone zurief: „Lassen, machen Sie. keinen Unsinn, sonst werdeich
Sie beim Ministerium verklagen."

Solche und ähnliche Geschichten erzählt man in jedem Dorfe Angelus.
Dieselben liefern den täglichen, nie ausgehenden Stoff des Gesprächs, dessen
Reichthum nur durch die Erzählungen von den Gewaltthätigkeiten, Mißgriffen,
Rechtsverletzungen, Erpressungen und Brutalitäten der Justiz- und Administra¬
tivbeamten übertroffen wird. Es scheint nach dem, .was ich höre, in dem
ganzen Ländchen Angeln kein halb Dutzend Mitglieder des sonst grade hier
so hochgehaltenen geistlichen Standes mehr zu geben, die sich dieses Berufs in
der öffentlichen Meinung nicht vollständig unwürdig gemacht haben, und glei¬
chen Schlages sind die meisten Schullehrer. Die wenig älteren Prediger,
welche bei dem Umschwung der Verhältnisse als gefügig oder mindestens harm¬
los in ihren Stellen belassen wurden, trifft meist nur der Vorwurf der Aengst-
lichkeit. Die neueingesetzten aber, welche größtentheils Dänen sind, werden
von ihren Gemeinden, ganz abgesehen von ihrem Zusammenwirken mit den
Gendarmen und ihrer politisch-polizeilichen Thätigkeit überhaupt, fast unter¬
schiedslos angeklagt, einen anstößigen Lebenswandel zu führen, die Flasche
mehr als erlaubt zu lieben, ihre Kinder übel zu erziehen, ihr Amt auf die
leichtfertigste Weise zu verwalten, ihren Gemeinden zum Trotze zu leben, nicht
ausreichend Deutsch zu verstehen und Verächter der Religion zu sein.

Es ist ein unreinliches und unangenehmes Geschäft, Haufen auf Haufen
moralischen Schmuzes zusammenzutragen und dann wieder auszubreiten, und ich
meine, ich habe nicht nöthig, Ihnen zu erklären, wie ungern ich mich damit
befasse, hier in die garstigen Details einzugehen. Allein nur dadurch, daß
möglichst viele der einzelnen porträtirt werden, wird der Zweck erreicht, zu zei-


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[0394] glied die Aeußerung that, wenn man ihm Nun statt Wein gereicht hätte, so würde er ihn dem Pastor auf den schwarzen Kittel gespuckt haben — eine Aeußerung, welche Herr Mohr mit Gleichmuth anzuhören für gut fand. Das Ministerium muß später von der Sache unterrichtet worden sein; denn es ließ eine Untersuchung anstellen, jedoch hat über das Ergebniß der¬ selben nichts verlautet. Als der König im Herbst 1»Si in Flensburg war, sah man den Pastor im Vorzimmer Moltkes nntichambriren, wo er den An¬ wesenden durch seine Armsündergeberden auffiel; doch ^ist bis heute noch nichts geschehen, ihn von seinem Posten zu entfernen, obwol sein übles Verhältniß zu dem ebenfalls nichtsnutzigen Küster in der jüngsten Zeit zu allerlei Ärgerlichen Auftritten, ja zu Störungen des Gottesdienstes Veranlassung gegeben hat. So drehte sich der Küster vor kurzem unter der Predigt auf seinem Stuhle, wo er der Kanzel den Rücken zukehrt, um, schob d.le Brille mit einer auf Belustigung der Schuljugend berechneten Geste'in die Höhe und blinzelte den Pastor an, worauf dieser sich in dem Vortrage unterbrach und dem Bajazzo auf dem Chor in drohendem Tone zurief: „Lassen, machen Sie. keinen Unsinn, sonst werdeich Sie beim Ministerium verklagen." Solche und ähnliche Geschichten erzählt man in jedem Dorfe Angelus. Dieselben liefern den täglichen, nie ausgehenden Stoff des Gesprächs, dessen Reichthum nur durch die Erzählungen von den Gewaltthätigkeiten, Mißgriffen, Rechtsverletzungen, Erpressungen und Brutalitäten der Justiz- und Administra¬ tivbeamten übertroffen wird. Es scheint nach dem, .was ich höre, in dem ganzen Ländchen Angeln kein halb Dutzend Mitglieder des sonst grade hier so hochgehaltenen geistlichen Standes mehr zu geben, die sich dieses Berufs in der öffentlichen Meinung nicht vollständig unwürdig gemacht haben, und glei¬ chen Schlages sind die meisten Schullehrer. Die wenig älteren Prediger, welche bei dem Umschwung der Verhältnisse als gefügig oder mindestens harm¬ los in ihren Stellen belassen wurden, trifft meist nur der Vorwurf der Aengst- lichkeit. Die neueingesetzten aber, welche größtentheils Dänen sind, werden von ihren Gemeinden, ganz abgesehen von ihrem Zusammenwirken mit den Gendarmen und ihrer politisch-polizeilichen Thätigkeit überhaupt, fast unter¬ schiedslos angeklagt, einen anstößigen Lebenswandel zu führen, die Flasche mehr als erlaubt zu lieben, ihre Kinder übel zu erziehen, ihr Amt auf die leichtfertigste Weise zu verwalten, ihren Gemeinden zum Trotze zu leben, nicht ausreichend Deutsch zu verstehen und Verächter der Religion zu sein. Es ist ein unreinliches und unangenehmes Geschäft, Haufen auf Haufen moralischen Schmuzes zusammenzutragen und dann wieder auszubreiten, und ich meine, ich habe nicht nöthig, Ihnen zu erklären, wie ungern ich mich damit befasse, hier in die garstigen Details einzugehen. Allein nur dadurch, daß möglichst viele der einzelnen porträtirt werden, wird der Zweck erreicht, zu zei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/394>, abgerufen am 02.07.2024.