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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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schwerfällig hier die vielen geschlossenen Silben, wie hart die Doppelconsonan-'
den, wie plump und steif das Geklapper der in zwei Hälften zersägten Langzeile!
Aber grabe hier können wir lernen und haben gelernt. Freilich nicht solange
man aus dem Alexandriner eine regelmäßige jambische Zeile mit sechs Hebungen
an unwandelbar fester Stelle machte, welche man mit Recht mit einer in der
Mitte durchstochnen Schlange verglich, die nur schwer den halbtodten Hinter¬
leib nachschleppt. Denn die Leichtigkeit und Mannigfaltigkeit des französischen
Verses beruht grade darauf, daß der Wort- oder Satzaccent mit dem rhythmi¬
schen Accenf nicht immer, namentlich am Anfang und nach dem Einschnitt
nicht, zusammenfällt. Wahren wir uns auch diese Freiheit und wir werden
schon etwas von der Beweglichkeit und Lebendigkeit des französischen Alexan¬
driners erobern. In dem Schlußvers der schönen ^.äisux u, NarLkllls:


"El loi Nurs'eillo hö8ise "ux portes <to I" kr-in"?"
Lonune >our iiLLuoillii' 8VS but,L8 alias l<Z8 vaux"

fängt der zweite Vers mit einer solchen retardirenden Disharmonie zwischen Wort-
accent und Rhythmus eomme an, welche sich dann in Harmonie auslöst. Ein
deutscher Uebersetzer könnte ähnlich im ersten Verse übersetzen:


"Und du Marseille, die du sitzest an Frankreichs Thron
Wie seinen Gästen zum Empfange hold bereit."

Niemand hat den Geist dieses Maßes richtiger begriffen als Freiligrath, sein


"Tragt mich ins Zelt hinaus sammt meiner Ottomanne

beginnt eben mit solcher schönen Disharmonie; er allerdings wußte die an¬
springende Wildheit dieses Renners zu regieren. Auch benutzte er häufig ein
kühnes Ueberziehen des Satzes in den Anfang des nächsten Verses und ein
leises Ueberweggehen des Satzes über die dadurch verschliffene Cäsur, um die
Eintönigkeit zu brechen. So vervollkommnet dürfen wir dies vielverachtete
Maß für leidenschaftliche Stoffe -- denn nur sie und die tändelnden sind fran¬
zösisch -- als einen schönen Erwerb aus der Fremde betrachten.

Aber entschieden bedeutender sind die Vortheile, welche die Südromanen
unsrer Sprache und Kunst zugeführt haben, und zwar die Italiener früher
und durchgreifend wirksamer, die Spanier einflußreicher erst seit dem Beginn
des -19. Jahrhunderts. Welch eine Fülle von Wohllaut verdankt unsre Sprache
dem süßen Bastardlatein. In diesem Punkte also befindet sich der deutsche Nach¬
bildner oder Uebersetzer immer, zum Vortheile für seine Sprache und Kunst, im
Nachtheile, während ihn der sprachliche Ausdruck des Italienischen weder durch
ländliche Gedrängtheit (wie im Englischen) zu Härten und Dunkelheiten, noch durch
die Zerlassenhcit, Flachheit, Gewöhnlichkeit und Steifheit desselben (wie im Franzö¬
sischen) zur bittern Prosa verleiten wird. Denn das Italienische ist sowol geistig
wie körperlich eine vollkommenere Sprache als das Französische. Sie hat,


schwerfällig hier die vielen geschlossenen Silben, wie hart die Doppelconsonan-'
den, wie plump und steif das Geklapper der in zwei Hälften zersägten Langzeile!
Aber grabe hier können wir lernen und haben gelernt. Freilich nicht solange
man aus dem Alexandriner eine regelmäßige jambische Zeile mit sechs Hebungen
an unwandelbar fester Stelle machte, welche man mit Recht mit einer in der
Mitte durchstochnen Schlange verglich, die nur schwer den halbtodten Hinter¬
leib nachschleppt. Denn die Leichtigkeit und Mannigfaltigkeit des französischen
Verses beruht grade darauf, daß der Wort- oder Satzaccent mit dem rhythmi¬
schen Accenf nicht immer, namentlich am Anfang und nach dem Einschnitt
nicht, zusammenfällt. Wahren wir uns auch diese Freiheit und wir werden
schon etwas von der Beweglichkeit und Lebendigkeit des französischen Alexan¬
driners erobern. In dem Schlußvers der schönen ^.äisux u, NarLkllls:


„El loi Nurs'eillo hö8ise »ux portes <to I» kr-in«?«
Lonune >our iiLLuoillii' 8VS but,L8 alias l<Z8 vaux"

fängt der zweite Vers mit einer solchen retardirenden Disharmonie zwischen Wort-
accent und Rhythmus eomme an, welche sich dann in Harmonie auslöst. Ein
deutscher Uebersetzer könnte ähnlich im ersten Verse übersetzen:


„Und du Marseille, die du sitzest an Frankreichs Thron
Wie seinen Gästen zum Empfange hold bereit."

Niemand hat den Geist dieses Maßes richtiger begriffen als Freiligrath, sein


„Tragt mich ins Zelt hinaus sammt meiner Ottomanne

beginnt eben mit solcher schönen Disharmonie; er allerdings wußte die an¬
springende Wildheit dieses Renners zu regieren. Auch benutzte er häufig ein
kühnes Ueberziehen des Satzes in den Anfang des nächsten Verses und ein
leises Ueberweggehen des Satzes über die dadurch verschliffene Cäsur, um die
Eintönigkeit zu brechen. So vervollkommnet dürfen wir dies vielverachtete
Maß für leidenschaftliche Stoffe — denn nur sie und die tändelnden sind fran¬
zösisch — als einen schönen Erwerb aus der Fremde betrachten.

Aber entschieden bedeutender sind die Vortheile, welche die Südromanen
unsrer Sprache und Kunst zugeführt haben, und zwar die Italiener früher
und durchgreifend wirksamer, die Spanier einflußreicher erst seit dem Beginn
des -19. Jahrhunderts. Welch eine Fülle von Wohllaut verdankt unsre Sprache
dem süßen Bastardlatein. In diesem Punkte also befindet sich der deutsche Nach¬
bildner oder Uebersetzer immer, zum Vortheile für seine Sprache und Kunst, im
Nachtheile, während ihn der sprachliche Ausdruck des Italienischen weder durch
ländliche Gedrängtheit (wie im Englischen) zu Härten und Dunkelheiten, noch durch
die Zerlassenhcit, Flachheit, Gewöhnlichkeit und Steifheit desselben (wie im Franzö¬
sischen) zur bittern Prosa verleiten wird. Denn das Italienische ist sowol geistig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/383>, abgerufen am 26.06.2024.