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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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kann er dort nie so viel sagen wie sein Urbild, so muß er hier oft mehr sagen
und ist also der Gefahr ausgesetzt, matt und weitschweifig zu werden. Und
was die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks, die Kühnheit und Energie der
poetischen Diction, insonderheit die schöpferische Kraft der Zusammen¬
setzungen betrifft, wie sehr befindet sich da der Deutsche im Vortheil! Und
wie leicht kann er, eben bei jenem breiteren Raume, durch die Treue gegen
das Original zu dessen ärmerer, steiferer, schwunglvserer Sprache herabsinken,
wenn er nicht selbst von deutsch poetischem Geiste erfüllt ist! So ist in dem
vorhingenannten Liede der Anfang


scmlllk inspii-iULur, c>ni "le l'uno bumsiris
lin iii8^umvnl mvloilioux,
Dväaiglie des piilais Il> pompe sliuveram";

so übersetzt:


Der Odem, dessen Wehn ertönen läßt die Seele
Und zu Gesängen sie entflammt,
Verschmähe die stolze Pracht der Schlösser und der Säle.

Freiligrath ist in der dritten Zeile schon bei Schlösser mit der Uebersetzung fertig,
und er muß dann noch "die Säle" hinzusetzen; so wurde die einfache Uebersetzung
der ersten Zeilen: ,,Der begeisternde Hauch, der aus der Menschenseele ein
melodisch Werkzeug macht" für den deutschen Odenflug viel zu zahm und zu
kühl und dieser muß schon deshalb höhere Noten greifen. Man muß nicht
aufgeben, man muß hinzuthun, und wenn die Ueberlegenheit selbst in den
viel schwungvolleren Dichtungen der romantischen Schule, wie in diesem lamar-
tineschen Gedichte, fühlbar ist, wie viel mehr noch bei den Werken des älteren
Kunststils, welche eine kühlere Gemessenheit haben? Daher haben diese in
Nachbildungen und Uebersetzungen, mit welchen einst Gottsched und Frau
Deutschland überschwemmten, der deutschen Sprache und Dichtkunst so wenig
wahre Förderung gebracht, daher werden sie wol nie viel wirken, abgesehn
davon, daß sast jedermann die Originale selbst versteht.

Dabei wird es uns viel schwerer als selbst im Englischen sein, der eigen¬
thümlich feinen und anmuthigen körperlichen Structur des französischen Verses
nachzukommen, und waren wir geistig überlegen, so müssen wir hier verzichten.
Die Zartheit der vielen offenen Silben, die große Masse der wenn auch nicht
sehr vollklingenden vocalischen, die Minderzahl und Weichheit der consonan-
tischen Bestandtheile, verbunden mit dem häufigen r, den vielen Nasenlauten
und den rapiden Doppelvocalen, wie vieux, Neu, loi, entraillös geben dem
französischen Verse eine gewisse leichtfüßige Eile, namentlich dem heroischen
Takte der langen alerandrinischen Zeile eine Art von Hast, etwas Ansprin¬
gendes und Anstürmendes, eine leidenschaftliche und doch behende Wildheit
(furia kranLöse), wie sie der deutsche Alexandriner nur schwer erreicht. Wie


kann er dort nie so viel sagen wie sein Urbild, so muß er hier oft mehr sagen
und ist also der Gefahr ausgesetzt, matt und weitschweifig zu werden. Und
was die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks, die Kühnheit und Energie der
poetischen Diction, insonderheit die schöpferische Kraft der Zusammen¬
setzungen betrifft, wie sehr befindet sich da der Deutsche im Vortheil! Und
wie leicht kann er, eben bei jenem breiteren Raume, durch die Treue gegen
das Original zu dessen ärmerer, steiferer, schwunglvserer Sprache herabsinken,
wenn er nicht selbst von deutsch poetischem Geiste erfüllt ist! So ist in dem
vorhingenannten Liede der Anfang


scmlllk inspii-iULur, c>ni «le l'uno bumsiris
lin iii8^umvnl mvloilioux,
Dväaiglie des piilais Il> pompe sliuveram«;

so übersetzt:


Der Odem, dessen Wehn ertönen läßt die Seele
Und zu Gesängen sie entflammt,
Verschmähe die stolze Pracht der Schlösser und der Säle.

Freiligrath ist in der dritten Zeile schon bei Schlösser mit der Uebersetzung fertig,
und er muß dann noch „die Säle" hinzusetzen; so wurde die einfache Uebersetzung
der ersten Zeilen: ,,Der begeisternde Hauch, der aus der Menschenseele ein
melodisch Werkzeug macht" für den deutschen Odenflug viel zu zahm und zu
kühl und dieser muß schon deshalb höhere Noten greifen. Man muß nicht
aufgeben, man muß hinzuthun, und wenn die Ueberlegenheit selbst in den
viel schwungvolleren Dichtungen der romantischen Schule, wie in diesem lamar-
tineschen Gedichte, fühlbar ist, wie viel mehr noch bei den Werken des älteren
Kunststils, welche eine kühlere Gemessenheit haben? Daher haben diese in
Nachbildungen und Uebersetzungen, mit welchen einst Gottsched und Frau
Deutschland überschwemmten, der deutschen Sprache und Dichtkunst so wenig
wahre Förderung gebracht, daher werden sie wol nie viel wirken, abgesehn
davon, daß sast jedermann die Originale selbst versteht.

Dabei wird es uns viel schwerer als selbst im Englischen sein, der eigen¬
thümlich feinen und anmuthigen körperlichen Structur des französischen Verses
nachzukommen, und waren wir geistig überlegen, so müssen wir hier verzichten.
Die Zartheit der vielen offenen Silben, die große Masse der wenn auch nicht
sehr vollklingenden vocalischen, die Minderzahl und Weichheit der consonan-
tischen Bestandtheile, verbunden mit dem häufigen r, den vielen Nasenlauten
und den rapiden Doppelvocalen, wie vieux, Neu, loi, entraillös geben dem
französischen Verse eine gewisse leichtfüßige Eile, namentlich dem heroischen
Takte der langen alerandrinischen Zeile eine Art von Hast, etwas Ansprin¬
gendes und Anstürmendes, eine leidenschaftliche und doch behende Wildheit
(furia kranLöse), wie sie der deutsche Alexandriner nur schwer erreicht. Wie


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[0382] kann er dort nie so viel sagen wie sein Urbild, so muß er hier oft mehr sagen und ist also der Gefahr ausgesetzt, matt und weitschweifig zu werden. Und was die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks, die Kühnheit und Energie der poetischen Diction, insonderheit die schöpferische Kraft der Zusammen¬ setzungen betrifft, wie sehr befindet sich da der Deutsche im Vortheil! Und wie leicht kann er, eben bei jenem breiteren Raume, durch die Treue gegen das Original zu dessen ärmerer, steiferer, schwunglvserer Sprache herabsinken, wenn er nicht selbst von deutsch poetischem Geiste erfüllt ist! So ist in dem vorhingenannten Liede der Anfang scmlllk inspii-iULur, c>ni «le l'uno bumsiris lin iii8^umvnl mvloilioux, Dväaiglie des piilais Il> pompe sliuveram«; so übersetzt: Der Odem, dessen Wehn ertönen läßt die Seele Und zu Gesängen sie entflammt, Verschmähe die stolze Pracht der Schlösser und der Säle. Freiligrath ist in der dritten Zeile schon bei Schlösser mit der Uebersetzung fertig, und er muß dann noch „die Säle" hinzusetzen; so wurde die einfache Uebersetzung der ersten Zeilen: ,,Der begeisternde Hauch, der aus der Menschenseele ein melodisch Werkzeug macht" für den deutschen Odenflug viel zu zahm und zu kühl und dieser muß schon deshalb höhere Noten greifen. Man muß nicht aufgeben, man muß hinzuthun, und wenn die Ueberlegenheit selbst in den viel schwungvolleren Dichtungen der romantischen Schule, wie in diesem lamar- tineschen Gedichte, fühlbar ist, wie viel mehr noch bei den Werken des älteren Kunststils, welche eine kühlere Gemessenheit haben? Daher haben diese in Nachbildungen und Uebersetzungen, mit welchen einst Gottsched und Frau Deutschland überschwemmten, der deutschen Sprache und Dichtkunst so wenig wahre Förderung gebracht, daher werden sie wol nie viel wirken, abgesehn davon, daß sast jedermann die Originale selbst versteht. Dabei wird es uns viel schwerer als selbst im Englischen sein, der eigen¬ thümlich feinen und anmuthigen körperlichen Structur des französischen Verses nachzukommen, und waren wir geistig überlegen, so müssen wir hier verzichten. Die Zartheit der vielen offenen Silben, die große Masse der wenn auch nicht sehr vollklingenden vocalischen, die Minderzahl und Weichheit der consonan- tischen Bestandtheile, verbunden mit dem häufigen r, den vielen Nasenlauten und den rapiden Doppelvocalen, wie vieux, Neu, loi, entraillös geben dem französischen Verse eine gewisse leichtfüßige Eile, namentlich dem heroischen Takte der langen alerandrinischen Zeile eine Art von Hast, etwas Ansprin¬ gendes und Anstürmendes, eine leidenschaftliche und doch behende Wildheit (furia kranLöse), wie sie der deutsche Alexandriner nur schwer erreicht. Wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/382>, abgerufen am 29.06.2024.