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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Schlegel dagegen (in dem köstlichen Bruchstück Nachgel. Werke IV.) sehr frei,
aber sehr kräftig und für den Eindruck des Ganzen viel treuer:


Sagt wenn ich euch treffen muß,
In Donner. Blitz oder Regenguß?

Schlegels Takt nämlich gab mehr auf das rhythmische Ganze, dies gab er
immer treu wieder, und darin liegt eigentlich das ganze Geheimniß.

Rückst den Reimstrophen der Engländer ist der Blankvers ihr eigent¬
liches Besitzthum, wir haben ihn erst von ihnen entnommen und, namentlich
durch Schiller, selbstständig gestaltet und ihm durch mehr klingende Ausgänge
eine größere Weichheit gegeben. Ohne Frage darf also auch darin der Ueber¬
setzer Shakespeares etwas mehr thun als sein englisches Original, und hier
hielt Schlegel wieder eine glückliche Mitte, während Tieck oft fast zu englisch
wurde, Voß immer; die Uebrigen aber im Zulassen des weiblichen Endes viel
zu weit gingen. Man soll nie vergessen, daß der kräftige stumpfe Schluß
durchaus die Regel, der klingende nur die mildernde Ausnahme ist und daß
das Vorwalten des letzteren namentlich einem so kräftigen Dichter wie Shake¬
speare unglaublich schadet. Aber wie viel günstiger steht doch hier die Aufgabe
des Uebersetzers, als bei der Neimstrophe! Er kann klingend enden, wo sein
Original stumpf und umgekehrt; er kann die mancherlei schönen rhythmischen
Freiheiten, z. B. daptylische und anakästische Anfänge, Trochäen nach der
Cäsar im dritten und vierten Fuße u. a. in., welche Shakespeare sehr wohl kannte,
aufs mannigfaltigste nach den deutschen Wohllautsgesetzen vertheilen; er kann
auch einmal einen Vers mehr einschieben, was hier, wenn es mit Maß geschieht,
sehr verständig ist. Schlegel .thut es bisweilen, Voß und Tieck thaten es nie;
andre Shakesspeareübersetzer viel zu oft, alle die letztern (und zwar die
Verwässerer am schreiendsten) im Widerspruch mit der Pflicht der höheren
Treue. --

Die romanischen Sprachen bieten wieder andre Hindernisse, am wenigsten
die französische. Die Mischung aus stumpfen und klingenden Endungen
ist der deutschen ähnlich, die größere Zahl der Formwörter und die bei weitem
größere Vielstlbigkeit der Stämme läßt dem Uebersetzer freieren Spielraum
und eine Zeile wie


I^," perlö "u donet lies mers,
I^'or su soin cle I" pierre,

wird, obgleich im Original so gedrängt wie möglich, sich doch fast wörtlich
übertragen lassen:


Die Perl im Meeresgrund,
Das Gold im Schoß des Steines.

Ja der Uebersetzer wird, während im Englischen ihm leicht der Rahmen zu
Voll wird, sich hier vielmehr hüten müssen, keine leeren Räume zu bekommen;


Schlegel dagegen (in dem köstlichen Bruchstück Nachgel. Werke IV.) sehr frei,
aber sehr kräftig und für den Eindruck des Ganzen viel treuer:


Sagt wenn ich euch treffen muß,
In Donner. Blitz oder Regenguß?

Schlegels Takt nämlich gab mehr auf das rhythmische Ganze, dies gab er
immer treu wieder, und darin liegt eigentlich das ganze Geheimniß.

Rückst den Reimstrophen der Engländer ist der Blankvers ihr eigent¬
liches Besitzthum, wir haben ihn erst von ihnen entnommen und, namentlich
durch Schiller, selbstständig gestaltet und ihm durch mehr klingende Ausgänge
eine größere Weichheit gegeben. Ohne Frage darf also auch darin der Ueber¬
setzer Shakespeares etwas mehr thun als sein englisches Original, und hier
hielt Schlegel wieder eine glückliche Mitte, während Tieck oft fast zu englisch
wurde, Voß immer; die Uebrigen aber im Zulassen des weiblichen Endes viel
zu weit gingen. Man soll nie vergessen, daß der kräftige stumpfe Schluß
durchaus die Regel, der klingende nur die mildernde Ausnahme ist und daß
das Vorwalten des letzteren namentlich einem so kräftigen Dichter wie Shake¬
speare unglaublich schadet. Aber wie viel günstiger steht doch hier die Aufgabe
des Uebersetzers, als bei der Neimstrophe! Er kann klingend enden, wo sein
Original stumpf und umgekehrt; er kann die mancherlei schönen rhythmischen
Freiheiten, z. B. daptylische und anakästische Anfänge, Trochäen nach der
Cäsar im dritten und vierten Fuße u. a. in., welche Shakespeare sehr wohl kannte,
aufs mannigfaltigste nach den deutschen Wohllautsgesetzen vertheilen; er kann
auch einmal einen Vers mehr einschieben, was hier, wenn es mit Maß geschieht,
sehr verständig ist. Schlegel .thut es bisweilen, Voß und Tieck thaten es nie;
andre Shakesspeareübersetzer viel zu oft, alle die letztern (und zwar die
Verwässerer am schreiendsten) im Widerspruch mit der Pflicht der höheren
Treue. —

Die romanischen Sprachen bieten wieder andre Hindernisse, am wenigsten
die französische. Die Mischung aus stumpfen und klingenden Endungen
ist der deutschen ähnlich, die größere Zahl der Formwörter und die bei weitem
größere Vielstlbigkeit der Stämme läßt dem Uebersetzer freieren Spielraum
und eine Zeile wie


I^,» perlö »u donet lies mers,
I^'or su soin cle I» pierre,

wird, obgleich im Original so gedrängt wie möglich, sich doch fast wörtlich
übertragen lassen:


Die Perl im Meeresgrund,
Das Gold im Schoß des Steines.

Ja der Uebersetzer wird, während im Englischen ihm leicht der Rahmen zu
Voll wird, sich hier vielmehr hüten müssen, keine leeren Räume zu bekommen;


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[0381] Schlegel dagegen (in dem köstlichen Bruchstück Nachgel. Werke IV.) sehr frei, aber sehr kräftig und für den Eindruck des Ganzen viel treuer: Sagt wenn ich euch treffen muß, In Donner. Blitz oder Regenguß? Schlegels Takt nämlich gab mehr auf das rhythmische Ganze, dies gab er immer treu wieder, und darin liegt eigentlich das ganze Geheimniß. Rückst den Reimstrophen der Engländer ist der Blankvers ihr eigent¬ liches Besitzthum, wir haben ihn erst von ihnen entnommen und, namentlich durch Schiller, selbstständig gestaltet und ihm durch mehr klingende Ausgänge eine größere Weichheit gegeben. Ohne Frage darf also auch darin der Ueber¬ setzer Shakespeares etwas mehr thun als sein englisches Original, und hier hielt Schlegel wieder eine glückliche Mitte, während Tieck oft fast zu englisch wurde, Voß immer; die Uebrigen aber im Zulassen des weiblichen Endes viel zu weit gingen. Man soll nie vergessen, daß der kräftige stumpfe Schluß durchaus die Regel, der klingende nur die mildernde Ausnahme ist und daß das Vorwalten des letzteren namentlich einem so kräftigen Dichter wie Shake¬ speare unglaublich schadet. Aber wie viel günstiger steht doch hier die Aufgabe des Uebersetzers, als bei der Neimstrophe! Er kann klingend enden, wo sein Original stumpf und umgekehrt; er kann die mancherlei schönen rhythmischen Freiheiten, z. B. daptylische und anakästische Anfänge, Trochäen nach der Cäsar im dritten und vierten Fuße u. a. in., welche Shakespeare sehr wohl kannte, aufs mannigfaltigste nach den deutschen Wohllautsgesetzen vertheilen; er kann auch einmal einen Vers mehr einschieben, was hier, wenn es mit Maß geschieht, sehr verständig ist. Schlegel .thut es bisweilen, Voß und Tieck thaten es nie; andre Shakesspeareübersetzer viel zu oft, alle die letztern (und zwar die Verwässerer am schreiendsten) im Widerspruch mit der Pflicht der höheren Treue. — Die romanischen Sprachen bieten wieder andre Hindernisse, am wenigsten die französische. Die Mischung aus stumpfen und klingenden Endungen ist der deutschen ähnlich, die größere Zahl der Formwörter und die bei weitem größere Vielstlbigkeit der Stämme läßt dem Uebersetzer freieren Spielraum und eine Zeile wie I^,» perlö »u donet lies mers, I^'or su soin cle I» pierre, wird, obgleich im Original so gedrängt wie möglich, sich doch fast wörtlich übertragen lassen: Die Perl im Meeresgrund, Das Gold im Schoß des Steines. Ja der Uebersetzer wird, während im Englischen ihm leicht der Rahmen zu Voll wird, sich hier vielmehr hüten müssen, keine leeren Räume zu bekommen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/381>, abgerufen am 01.07.2024.