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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Ganzen liegt, um die größere Hälfte des deutschen Wortvorraths beschränkt
zu sein! Das mag bei einfacheren, kürzerem Liede gelingen, ist aber bei oft
wiederholter künstlicher Reimstrophe, wo ja die Schwierigkeit des drei- und vier¬
fach gleichen Reimwvrts hinzukommt, unmöglich. Daher muß hier abermals
aufgegeben werden. Die ncunzcilige Spenserstanze, wird im Deutschen
nicht ohne freies Zulassen weiblicher Reime gebaut werden können; obwol die .
neunte Zeile, welche allein nach acht Fünffüßlern einen Alexandriner bildet und
dadurch'dem rhythmischen Ganzen den Abschluß zu geben bestimmt ist, empfind¬
lich unter solcher Mischung leidet, da sie dann den vorigen nicht mehr so ent¬
schieden überlegen ist. Nimmt man zu diesen lautlicher Schwierigkeiten nun
noch die eigentlich sprachlichen, z. B. die auch syntaktisch (durch die Erlaubniß
das Relativ wegzulassen, die Participialconstruction, das völlig antike tdan
nnom) auftretende Gedrängtheit, so ist es gewiß diesen Umständen zuzuschreiben,
daß Byrons Childe Harold trotz der Mühwaltung geschickter Uebersetzer nicht
populärer geworden ist. Jeder, der das Original kennt, ist von Entzücken er¬
füllt, keiner theilt es aufrichtig, der nur die Uebersetzung kennt. Denn diese
gibt selten so schön wie in den eben gewählten beiden Versen den musikalischen,
schillerähnlichen Strom der Worte und des Rhythmus wieder, der Byron in
seinen guten Stunden zu Gebote stand; ein Theil des Inhalts geht immer
verloren, aber hier verliert man meistens die Form dazu. Das von Zedlitz
oft als Rettungsmittel gebrauchte Enjambement der Zeilen ist nun gar uner¬
freulich, es widerstrebt der Natur jedes längeren gereimten Verses und ist da¬
her nur sehr mit Maß zulässig, wo die Monotonie desselben gebrochen werden
soll. Wie wenn uns z. B. in Schillers "Abschied vom Leser" die Zeile:


Sie achtet es, doch fürchtet sie es nicht

ein Uebersetzer in zwei Zeilen vertheilen wollte, wäre damit nicht jegliche
sprachliche Energie dieses Gedankens zerstört? Ich bin überzeugt, daß viel
freier übersetzt werden müßte, daß es eines kühnen Griffes bedürfte, wie Herder
ihn bei dem Eid that, wenn der Ritter Harold (der populärer werden könnte
als Ariost, Tasso und Homer dazu, weil er auf die allerenergischste Weise
einen edlen und großartigen, aber ganz modernen Geist abspiegelt) Gemein¬
gut des deutschen Volkes werden sollte. Wie wichtig übrigens der stumpfe
Reim ist, den Freiligrath mit vollem Recht nie aufgab, kann man auch sehen
aus dem Anfang des Macbeth:


Wlien sküll me> rkreo insot ligam?
In lbuilllor, liglUninF or in r-nu?

welches Tieck scheinbar sehr treu, aber sehr schwach und dünn im Klänge, so
übersetzte:


Wenn kommen wir drei uns wieder entgegen
Im Blitz, im Donner oder im Regen?

Ganzen liegt, um die größere Hälfte des deutschen Wortvorraths beschränkt
zu sein! Das mag bei einfacheren, kürzerem Liede gelingen, ist aber bei oft
wiederholter künstlicher Reimstrophe, wo ja die Schwierigkeit des drei- und vier¬
fach gleichen Reimwvrts hinzukommt, unmöglich. Daher muß hier abermals
aufgegeben werden. Die ncunzcilige Spenserstanze, wird im Deutschen
nicht ohne freies Zulassen weiblicher Reime gebaut werden können; obwol die .
neunte Zeile, welche allein nach acht Fünffüßlern einen Alexandriner bildet und
dadurch'dem rhythmischen Ganzen den Abschluß zu geben bestimmt ist, empfind¬
lich unter solcher Mischung leidet, da sie dann den vorigen nicht mehr so ent¬
schieden überlegen ist. Nimmt man zu diesen lautlicher Schwierigkeiten nun
noch die eigentlich sprachlichen, z. B. die auch syntaktisch (durch die Erlaubniß
das Relativ wegzulassen, die Participialconstruction, das völlig antike tdan
nnom) auftretende Gedrängtheit, so ist es gewiß diesen Umständen zuzuschreiben,
daß Byrons Childe Harold trotz der Mühwaltung geschickter Uebersetzer nicht
populärer geworden ist. Jeder, der das Original kennt, ist von Entzücken er¬
füllt, keiner theilt es aufrichtig, der nur die Uebersetzung kennt. Denn diese
gibt selten so schön wie in den eben gewählten beiden Versen den musikalischen,
schillerähnlichen Strom der Worte und des Rhythmus wieder, der Byron in
seinen guten Stunden zu Gebote stand; ein Theil des Inhalts geht immer
verloren, aber hier verliert man meistens die Form dazu. Das von Zedlitz
oft als Rettungsmittel gebrauchte Enjambement der Zeilen ist nun gar uner¬
freulich, es widerstrebt der Natur jedes längeren gereimten Verses und ist da¬
her nur sehr mit Maß zulässig, wo die Monotonie desselben gebrochen werden
soll. Wie wenn uns z. B. in Schillers „Abschied vom Leser" die Zeile:


Sie achtet es, doch fürchtet sie es nicht

ein Uebersetzer in zwei Zeilen vertheilen wollte, wäre damit nicht jegliche
sprachliche Energie dieses Gedankens zerstört? Ich bin überzeugt, daß viel
freier übersetzt werden müßte, daß es eines kühnen Griffes bedürfte, wie Herder
ihn bei dem Eid that, wenn der Ritter Harold (der populärer werden könnte
als Ariost, Tasso und Homer dazu, weil er auf die allerenergischste Weise
einen edlen und großartigen, aber ganz modernen Geist abspiegelt) Gemein¬
gut des deutschen Volkes werden sollte. Wie wichtig übrigens der stumpfe
Reim ist, den Freiligrath mit vollem Recht nie aufgab, kann man auch sehen
aus dem Anfang des Macbeth:


Wlien sküll me> rkreo insot ligam?
In lbuilllor, liglUninF or in r-nu?

welches Tieck scheinbar sehr treu, aber sehr schwach und dünn im Klänge, so
übersetzte:


Wenn kommen wir drei uns wieder entgegen
Im Blitz, im Donner oder im Regen?

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[0380] Ganzen liegt, um die größere Hälfte des deutschen Wortvorraths beschränkt zu sein! Das mag bei einfacheren, kürzerem Liede gelingen, ist aber bei oft wiederholter künstlicher Reimstrophe, wo ja die Schwierigkeit des drei- und vier¬ fach gleichen Reimwvrts hinzukommt, unmöglich. Daher muß hier abermals aufgegeben werden. Die ncunzcilige Spenserstanze, wird im Deutschen nicht ohne freies Zulassen weiblicher Reime gebaut werden können; obwol die . neunte Zeile, welche allein nach acht Fünffüßlern einen Alexandriner bildet und dadurch'dem rhythmischen Ganzen den Abschluß zu geben bestimmt ist, empfind¬ lich unter solcher Mischung leidet, da sie dann den vorigen nicht mehr so ent¬ schieden überlegen ist. Nimmt man zu diesen lautlicher Schwierigkeiten nun noch die eigentlich sprachlichen, z. B. die auch syntaktisch (durch die Erlaubniß das Relativ wegzulassen, die Participialconstruction, das völlig antike tdan nnom) auftretende Gedrängtheit, so ist es gewiß diesen Umständen zuzuschreiben, daß Byrons Childe Harold trotz der Mühwaltung geschickter Uebersetzer nicht populärer geworden ist. Jeder, der das Original kennt, ist von Entzücken er¬ füllt, keiner theilt es aufrichtig, der nur die Uebersetzung kennt. Denn diese gibt selten so schön wie in den eben gewählten beiden Versen den musikalischen, schillerähnlichen Strom der Worte und des Rhythmus wieder, der Byron in seinen guten Stunden zu Gebote stand; ein Theil des Inhalts geht immer verloren, aber hier verliert man meistens die Form dazu. Das von Zedlitz oft als Rettungsmittel gebrauchte Enjambement der Zeilen ist nun gar uner¬ freulich, es widerstrebt der Natur jedes längeren gereimten Verses und ist da¬ her nur sehr mit Maß zulässig, wo die Monotonie desselben gebrochen werden soll. Wie wenn uns z. B. in Schillers „Abschied vom Leser" die Zeile: Sie achtet es, doch fürchtet sie es nicht ein Uebersetzer in zwei Zeilen vertheilen wollte, wäre damit nicht jegliche sprachliche Energie dieses Gedankens zerstört? Ich bin überzeugt, daß viel freier übersetzt werden müßte, daß es eines kühnen Griffes bedürfte, wie Herder ihn bei dem Eid that, wenn der Ritter Harold (der populärer werden könnte als Ariost, Tasso und Homer dazu, weil er auf die allerenergischste Weise einen edlen und großartigen, aber ganz modernen Geist abspiegelt) Gemein¬ gut des deutschen Volkes werden sollte. Wie wichtig übrigens der stumpfe Reim ist, den Freiligrath mit vollem Recht nie aufgab, kann man auch sehen aus dem Anfang des Macbeth: Wlien sküll me> rkreo insot ligam? In lbuilllor, liglUninF or in r-nu? welches Tieck scheinbar sehr treu, aber sehr schwach und dünn im Klänge, so übersetzte: Wenn kommen wir drei uns wieder entgegen Im Blitz, im Donner oder im Regen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/380>, abgerufen am 03.07.2024.