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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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vor allem für sich in Anspruch nahm. Und der Mann wieder sah über dem
Genuß irdischer Freude das Bild einer himmlischen Jungfrau, deren besondere
Gnade er durch Entsagung und Verschmähung holder Leidenschaft gewinnen
konnte. Eine zarte Sinnlichkeit überzog auch diese Gottesgestalten mit glänzen¬
den Farben, und neben der Askese bildete sich eine Mystik aus, ein frommes
Gesühlsschwelgen, dem sich zu ergeben für den reinsten und erhabensten Idealis¬
mus galt. Die Bildung dieser Zeit ging von den Klöstern aus, und im Kloster
suchte die phantastische Schwärmerei das höchste Liebesglück, das in der Ehe nicht
ohne Sünde erreichbar schien.

Aber der kräftige Schlag des Menschenherzens konnte nicht lange ertragen,
die ideale Liebe im Himmel zu suchen. Als unter den ersten Hohenstaufen der
feudale Adel Hauptträger der Bildung, der feinen Sitte und des Geschmacks wurde,
beeilte er sich, die Andacht und abstracte Verehrung, welche man der Jungfrau
Maria zuertheilt hatte, auf die Frauen dieser Welt zu übertragen. Der höfische
Cultus des Weibes begann, es bildeten sich conventionelle ritterliche Formen
für den Verkehr zwischen Mann und Weib, in Deutschland nicht ohne starke
Einwirkung romanischer Sitte. Die adlige Geliebte wurde mit einer Anzahl
von poetischen Anschauungen. Stimmungen und Bildern umhüllt, welche wir
aus einer Fülle von Minneliedern noch jetzt erkennen. Zuweilen ist ein wirk¬
lich edles und warmes Gefühl in der kunstreichen Form dieser Gedichte aus¬
gedrückt, noch öfter schwirrt die langweilige Phrase. Das Weib wird zur
irdischen Gottheit erhoben, ihre Reinheit wird als reizend gefeiert, die Liebes¬
werbung legt dem Mann die größten Opfer auf, er hat in Heldenthaten und
Abenteuern seine Liebe zu bethätigen. Aber es war eine arge Zugabe zu dieser
subtilen Verehrung in romanischer Weise, daß auch der fremden verheiratheten
Frau solche Huldigungen einer frostigen Leidenschaft darzubringen Mode wurde
und daß die sittlichen Grundlagen der Ehe in den epischen Gedichten wie in
dem Leben abenteuernder Edelleute geringe Achtung fanden. Die Verschroben¬
heit überwog bald die echte Empfindung und nach kurzer Blüte des Ritter-
thums folgte in Deutschland wieder Rohheit und wüstes Leben in den Schlössern
deö Adels.

Dagegen erwuchs in den Städten ein neues kräftiges Leben und wie einst
die Geistlichen und später der Adel, so wurden seit dem Ende, des -14. Jahr¬
hunderts die Bürger die Hauptträger deutscher Cultur und ^guter Sitte. In
dem dichten Beieinanderlebcn der Städter, in dem geschlossenen Raume des
Bürgerhauses, in der Beschäftigung mit Handel, Handwerk und der neuen Ge¬
lehrsamkeit gewann der Verkehr von Mann und Weib einen größern Reichthum
gemüthlicher Momente, mehr Wahrheit, Innigkeit und strengere Sittlichkeit.
Ein Theil des Adels und nicht der schlechteste der damaligen Zeit, war in den
Kreis des Bürgerthums eingetreten und die großen Handelsstädte bildeten aus


vor allem für sich in Anspruch nahm. Und der Mann wieder sah über dem
Genuß irdischer Freude das Bild einer himmlischen Jungfrau, deren besondere
Gnade er durch Entsagung und Verschmähung holder Leidenschaft gewinnen
konnte. Eine zarte Sinnlichkeit überzog auch diese Gottesgestalten mit glänzen¬
den Farben, und neben der Askese bildete sich eine Mystik aus, ein frommes
Gesühlsschwelgen, dem sich zu ergeben für den reinsten und erhabensten Idealis¬
mus galt. Die Bildung dieser Zeit ging von den Klöstern aus, und im Kloster
suchte die phantastische Schwärmerei das höchste Liebesglück, das in der Ehe nicht
ohne Sünde erreichbar schien.

Aber der kräftige Schlag des Menschenherzens konnte nicht lange ertragen,
die ideale Liebe im Himmel zu suchen. Als unter den ersten Hohenstaufen der
feudale Adel Hauptträger der Bildung, der feinen Sitte und des Geschmacks wurde,
beeilte er sich, die Andacht und abstracte Verehrung, welche man der Jungfrau
Maria zuertheilt hatte, auf die Frauen dieser Welt zu übertragen. Der höfische
Cultus des Weibes begann, es bildeten sich conventionelle ritterliche Formen
für den Verkehr zwischen Mann und Weib, in Deutschland nicht ohne starke
Einwirkung romanischer Sitte. Die adlige Geliebte wurde mit einer Anzahl
von poetischen Anschauungen. Stimmungen und Bildern umhüllt, welche wir
aus einer Fülle von Minneliedern noch jetzt erkennen. Zuweilen ist ein wirk¬
lich edles und warmes Gefühl in der kunstreichen Form dieser Gedichte aus¬
gedrückt, noch öfter schwirrt die langweilige Phrase. Das Weib wird zur
irdischen Gottheit erhoben, ihre Reinheit wird als reizend gefeiert, die Liebes¬
werbung legt dem Mann die größten Opfer auf, er hat in Heldenthaten und
Abenteuern seine Liebe zu bethätigen. Aber es war eine arge Zugabe zu dieser
subtilen Verehrung in romanischer Weise, daß auch der fremden verheiratheten
Frau solche Huldigungen einer frostigen Leidenschaft darzubringen Mode wurde
und daß die sittlichen Grundlagen der Ehe in den epischen Gedichten wie in
dem Leben abenteuernder Edelleute geringe Achtung fanden. Die Verschroben¬
heit überwog bald die echte Empfindung und nach kurzer Blüte des Ritter-
thums folgte in Deutschland wieder Rohheit und wüstes Leben in den Schlössern
deö Adels.

Dagegen erwuchs in den Städten ein neues kräftiges Leben und wie einst
die Geistlichen und später der Adel, so wurden seit dem Ende, des -14. Jahr¬
hunderts die Bürger die Hauptträger deutscher Cultur und ^guter Sitte. In
dem dichten Beieinanderlebcn der Städter, in dem geschlossenen Raume des
Bürgerhauses, in der Beschäftigung mit Handel, Handwerk und der neuen Ge¬
lehrsamkeit gewann der Verkehr von Mann und Weib einen größern Reichthum
gemüthlicher Momente, mehr Wahrheit, Innigkeit und strengere Sittlichkeit.
Ein Theil des Adels und nicht der schlechteste der damaligen Zeit, war in den
Kreis des Bürgerthums eingetreten und die großen Handelsstädte bildeten aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/341>, abgerufen am 22.07.2024.