Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.Anfang einer Herrschaft, eines heiligen Amtes. Und drittens: die Familie Obgleich diese Grundzüge immer erkennbar sind, so hat doch die Anfang einer Herrschaft, eines heiligen Amtes. Und drittens: die Familie Obgleich diese Grundzüge immer erkennbar sind, so hat doch die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100794"/> <p xml:id="ID_978" prev="#ID_977"> Anfang einer Herrschaft, eines heiligen Amtes. Und drittens: die Familie<lb/> umfaßte von jeher bei den Deutschen als die letzte und festeste Vereinigung<lb/> der Einzelnen einen weiten Kreis von Verwandten. Das Geschlecht, die<lb/> „Freundschaft" waren die festesten Stützen des einzelnen Lebens, denen viel<lb/> zugemuthet wurde, aber auch vieles gewährt. Und jede neugeschlossene Ehe<lb/> zwischen Mann und Weib aus verschiedenen Familien wurde betrachtet als<lb/> ein starkes Band, welches zwei ineinander gegliederte Körperschaften auch<lb/> untereinander verbündete. Die Verwandten der Frau wurden auch „Freunde"<lb/> des Mannes, sie hatten Ansprüche an ihn, wie er an sie. Daher war in alter<lb/> Zeit die Wahl des Mannes und Weibes allerdings eine Sache von hoher<lb/> Wichtigkeit für die Verwandtschaft beider; und wie sehr das Zartgefühl bemüht<lb/> sein mochte, die freie Neigung zu ehren, so waren doch häufig die Verwandten<lb/> mit mehr oder weniger Geschick bemüht, die Neigung zu lenken. Und deshalb<lb/> hat die deutsche Brautwerbung von der Urzeit an bis auf die letzten Jahr¬<lb/> hunderte in ihrer Form sehr oft das Aussehen einer geschäftlichen Verhandlung<lb/> gehabt, welche oft zwischen Geschlecht und Geschlecht mit vieler Rücksicht aus<lb/> Convenienz gepflogen wurde. Wenn wir Berichte über Brautstand und Ehe aus<lb/> alter Zeit lesen, so tritt diese Seite am häusigsten in den Vordergrund. Dies<lb/> nimmt der deutschen Werbung vielleicht einiges von dem Reiz, den wir<lb/> da erwarten, wo das Herz des Menschen stürmisch schlägt. Aber wer so<lb/> urtheilt, der vergesse nicht, daß dies besonnene Abwägen auch charakteristi¬<lb/> sches Merkmal einer großartigen Auffassung des Lebens ist, weil die Ehe<lb/> nicht als eine Vereinigung zweier Liebenden in sinnlicher Glut verstanden<lb/> wird, sondern als ein hohes Amt voll der edelsten Pflichten, von Pflichten<lb/> und Rechten nicht nur zwischen den Liebenden selbst, sondern auch zwischen<lb/> ihren Angehörigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_979" next="#ID_980"> Obgleich diese Grundzüge immer erkennbar sind, so hat doch die<lb/> verschiedene Bildung der Jahrhunderte auch vieles Vorübergehende dazu¬<lb/> gethan. Der Genius eines großen Römers hat ein lebhaftes Bild<lb/> von Brautwerbung und Ehe aus der deutschen Urzeit gegeben. Aber die<lb/> Beschreibung des Tacitus reicht bei weitem nicht mehr aus, um uns<lb/> Sitte und Empfindung der Liebenden in den ersten Jahrhunderten nach<lb/> Einführung des Christenthums verständlich zu machen. Damals war in die<lb/> naive Empfindung durch das Christenthum ein fremdes Moment gekommen,<lb/> welches die Innigkeit der Liebe und Ehe gewiß zuweilen verklärte, nicht<lb/> selten aber auch störte. Zu der Zeit der Sachsenkaiser erreichte diese Gemüths¬<lb/> richtung ihren Höhepunkt. Die Freuden der Welt mit voller Seele zu ge¬<lb/> nießen, war den Menschen nicht mehr erlaubt. Die leidenschaftliche Hin¬<lb/> gebung an den geliebten Mann erschien leicht als Unrecht gegen den Himmel<lb/> und gegen die heilige Gestalt des Erlösers, welcher die höchste Liebe der Seele</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0340]
Anfang einer Herrschaft, eines heiligen Amtes. Und drittens: die Familie
umfaßte von jeher bei den Deutschen als die letzte und festeste Vereinigung
der Einzelnen einen weiten Kreis von Verwandten. Das Geschlecht, die
„Freundschaft" waren die festesten Stützen des einzelnen Lebens, denen viel
zugemuthet wurde, aber auch vieles gewährt. Und jede neugeschlossene Ehe
zwischen Mann und Weib aus verschiedenen Familien wurde betrachtet als
ein starkes Band, welches zwei ineinander gegliederte Körperschaften auch
untereinander verbündete. Die Verwandten der Frau wurden auch „Freunde"
des Mannes, sie hatten Ansprüche an ihn, wie er an sie. Daher war in alter
Zeit die Wahl des Mannes und Weibes allerdings eine Sache von hoher
Wichtigkeit für die Verwandtschaft beider; und wie sehr das Zartgefühl bemüht
sein mochte, die freie Neigung zu ehren, so waren doch häufig die Verwandten
mit mehr oder weniger Geschick bemüht, die Neigung zu lenken. Und deshalb
hat die deutsche Brautwerbung von der Urzeit an bis auf die letzten Jahr¬
hunderte in ihrer Form sehr oft das Aussehen einer geschäftlichen Verhandlung
gehabt, welche oft zwischen Geschlecht und Geschlecht mit vieler Rücksicht aus
Convenienz gepflogen wurde. Wenn wir Berichte über Brautstand und Ehe aus
alter Zeit lesen, so tritt diese Seite am häusigsten in den Vordergrund. Dies
nimmt der deutschen Werbung vielleicht einiges von dem Reiz, den wir
da erwarten, wo das Herz des Menschen stürmisch schlägt. Aber wer so
urtheilt, der vergesse nicht, daß dies besonnene Abwägen auch charakteristi¬
sches Merkmal einer großartigen Auffassung des Lebens ist, weil die Ehe
nicht als eine Vereinigung zweier Liebenden in sinnlicher Glut verstanden
wird, sondern als ein hohes Amt voll der edelsten Pflichten, von Pflichten
und Rechten nicht nur zwischen den Liebenden selbst, sondern auch zwischen
ihren Angehörigen.
Obgleich diese Grundzüge immer erkennbar sind, so hat doch die
verschiedene Bildung der Jahrhunderte auch vieles Vorübergehende dazu¬
gethan. Der Genius eines großen Römers hat ein lebhaftes Bild
von Brautwerbung und Ehe aus der deutschen Urzeit gegeben. Aber die
Beschreibung des Tacitus reicht bei weitem nicht mehr aus, um uns
Sitte und Empfindung der Liebenden in den ersten Jahrhunderten nach
Einführung des Christenthums verständlich zu machen. Damals war in die
naive Empfindung durch das Christenthum ein fremdes Moment gekommen,
welches die Innigkeit der Liebe und Ehe gewiß zuweilen verklärte, nicht
selten aber auch störte. Zu der Zeit der Sachsenkaiser erreichte diese Gemüths¬
richtung ihren Höhepunkt. Die Freuden der Welt mit voller Seele zu ge¬
nießen, war den Menschen nicht mehr erlaubt. Die leidenschaftliche Hin¬
gebung an den geliebten Mann erschien leicht als Unrecht gegen den Himmel
und gegen die heilige Gestalt des Erlösers, welcher die höchste Liebe der Seele
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