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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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sich heraus eine neue Aristokratie, welche in nützlicher Thätigkeit wie im reichen
Genuß ein hohes Selbstgefühl gewann. In dem städtischen Parteileben kräf¬
tigte sich der Zusammenhang der Familien und Geschlechter, das Beisammen-
wohnen vieler beförderte eine geregelte Geselligkeit, der Unterschied zwischen
Reichen und, Armen, zwischen alten Familien und Neulingen, zwischen Ge¬
schlechtern und zunstmäßigen Bürgern entwickelte freilich auch eine Masse neuer
Hindernisse, Vorurtheile und Convenienzen. Eine praktisch tüchtige Auffassung
deS Lebens trat an die Stelle der ritterlichen Phantasien, an die Stelle der
höfischen Sitte trat der bürgerliche Brauch, an Stelle der Standesehre die
Ehrbarkeit; statt durch verwegene Heldenthat näherte man sich der Geliebten
mir vorsichtiger Werbung, nicht mehr bezauberte die stolze Prätension der Frau,
sondern die jungfräuliche Schalkhaftigkeit des Mädchens; für das wilde Drauf¬
losleben auf den Edelhöfen, welches die Männer oft von den Frauen getrennt
und die Ehen gestört und oft gewaltsam geendet hatte, gewann die Frau jetzt
eine ruhige Herrschaft im wohlgeordneten Hause und statt der dreisten Courtoisie
der Reisigen den vorsichtigen , streng geregelten, zuweilen steifen Ausdruck herz¬
licher Achtung; außer dem Hause feierliche Repräsentation' im Hause gemüth"
volle Behaglichkeit.

Aber auch die farbenreiche Blüte der deutschen Städte sollte zu Gründe
gehen. Noch einmal, fast 1600 Jahre, nachdem Tacitus von Liebe und Ehe
der Germanen geschrieben hatte, versank das deutsche Familienleben in Noth,
Armseligkeit und kleinliche Spießbürgerei. In dem todten Jahrhundert von
16S0 bis 17S0 war freudiger Muth und ein kräftiges Erfassen deS Lebens auch
in den deutschen Bürgerhäusern selten zu finden. Hölzern waren die Formen
des Verkehrs, verschüchtert die Herzen; durch neue, fremde, eingedrungene
Wörter verdorben auch die Sprache und barock und pedantisch sogar Vieles im
Verkehr der Liebenden und der Gatten. Doch erkennen wir das warme Ge¬
müth auch aus den ungefälligen Formen heraus und vielleicht wird dem ge¬
übten Auge das Hervorbrechen einer großen Leidenschaft in dieser Zeit grade
deshalb doppelt imponirend.-- Wenn man für diese Periode die geeigneten Re¬
präsentanten sucht, findet man sie nicht mehr in den Patricierhäusern, sondern
in dem Stande, der die damalige Gelehrsamkeit und Bildung des verkleinerten
Lebens am lebhaftesten darstellte, unter den Theologen der protestantischen
Landeskirche.

Und so sei hier das Verhältniß zwischen Bräutigam und Braut, die
Werbung und die Stellung der Liebenden zueinander zunächst in zwei Beispielen
dargestellt, von denen das erste einem Patriciergeschlecht des -l 6. Jahrhunderts,
das zweite einem Pastorhause des 17. entnommen ist.


sich heraus eine neue Aristokratie, welche in nützlicher Thätigkeit wie im reichen
Genuß ein hohes Selbstgefühl gewann. In dem städtischen Parteileben kräf¬
tigte sich der Zusammenhang der Familien und Geschlechter, das Beisammen-
wohnen vieler beförderte eine geregelte Geselligkeit, der Unterschied zwischen
Reichen und, Armen, zwischen alten Familien und Neulingen, zwischen Ge¬
schlechtern und zunstmäßigen Bürgern entwickelte freilich auch eine Masse neuer
Hindernisse, Vorurtheile und Convenienzen. Eine praktisch tüchtige Auffassung
deS Lebens trat an die Stelle der ritterlichen Phantasien, an die Stelle der
höfischen Sitte trat der bürgerliche Brauch, an Stelle der Standesehre die
Ehrbarkeit; statt durch verwegene Heldenthat näherte man sich der Geliebten
mir vorsichtiger Werbung, nicht mehr bezauberte die stolze Prätension der Frau,
sondern die jungfräuliche Schalkhaftigkeit des Mädchens; für das wilde Drauf¬
losleben auf den Edelhöfen, welches die Männer oft von den Frauen getrennt
und die Ehen gestört und oft gewaltsam geendet hatte, gewann die Frau jetzt
eine ruhige Herrschaft im wohlgeordneten Hause und statt der dreisten Courtoisie
der Reisigen den vorsichtigen , streng geregelten, zuweilen steifen Ausdruck herz¬
licher Achtung; außer dem Hause feierliche Repräsentation' im Hause gemüth»
volle Behaglichkeit.

Aber auch die farbenreiche Blüte der deutschen Städte sollte zu Gründe
gehen. Noch einmal, fast 1600 Jahre, nachdem Tacitus von Liebe und Ehe
der Germanen geschrieben hatte, versank das deutsche Familienleben in Noth,
Armseligkeit und kleinliche Spießbürgerei. In dem todten Jahrhundert von
16S0 bis 17S0 war freudiger Muth und ein kräftiges Erfassen deS Lebens auch
in den deutschen Bürgerhäusern selten zu finden. Hölzern waren die Formen
des Verkehrs, verschüchtert die Herzen; durch neue, fremde, eingedrungene
Wörter verdorben auch die Sprache und barock und pedantisch sogar Vieles im
Verkehr der Liebenden und der Gatten. Doch erkennen wir das warme Ge¬
müth auch aus den ungefälligen Formen heraus und vielleicht wird dem ge¬
übten Auge das Hervorbrechen einer großen Leidenschaft in dieser Zeit grade
deshalb doppelt imponirend.— Wenn man für diese Periode die geeigneten Re¬
präsentanten sucht, findet man sie nicht mehr in den Patricierhäusern, sondern
in dem Stande, der die damalige Gelehrsamkeit und Bildung des verkleinerten
Lebens am lebhaftesten darstellte, unter den Theologen der protestantischen
Landeskirche.

Und so sei hier das Verhältniß zwischen Bräutigam und Braut, die
Werbung und die Stellung der Liebenden zueinander zunächst in zwei Beispielen
dargestellt, von denen das erste einem Patriciergeschlecht des -l 6. Jahrhunderts,
das zweite einem Pastorhause des 17. entnommen ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/342>, abgerufen am 22.07.2024.