Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.den, dem hingebenden Leben der Gatten, der Pietät der Kinder. In solcher Dreierlei aber hat' im Ganzen betrachtet zu jeder Zeit in Deutschland 42*
den, dem hingebenden Leben der Gatten, der Pietät der Kinder. In solcher Dreierlei aber hat' im Ganzen betrachtet zu jeder Zeit in Deutschland 42*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100793"/> <p xml:id="ID_976" prev="#ID_975"> den, dem hingebenden Leben der Gatten, der Pietät der Kinder. In solcher<lb/> Zeit waren die Familiengefühle die letzte Burg, in welche der deutsche Geist<lb/> sich flüchtete vor der Verwilderung, welche den Leib der Völker zerrüttet und<lb/> ihre Seele in kurzer Zeit zu greisenhafter Schwäche hiuabdrückt. Von dieser<lb/> letzten Ringmauer der Familie aus haben sich die Deutschen mehr als einmal<lb/> die Herrschaft auf der Erde und im Reiche der Geister wieder erobern müssen<lb/> So war es in der schlechten Zeit nach den Kreuzzügen, so wieder nach dem<lb/> dreißigjährigen Kriege. — Wol ist es für uns Enkel eine Freude, mitten in'<lb/> das Herz unsrer Vorfahren zu blicken und die Glut der schönsten Leiden¬<lb/> schaft in dem Wiederschein zu beobachte», den sie hier und da bis in unsre<lb/> Zeit geworfen hat. Aber es' ist doch nicht immer leicht. Zwar vermögen wir<lb/> das allgemein Menschliche, ja auch die besondere deutsche Arc in Liebe und<lb/> Ehe in jeder Periode des deutschen Lebens >zu erkennen, denn stets, so lange<lb/> es Deutsche gegeben hat, kam der sehnsuchtsvolle Blick der Liebenden, die<lb/> holde Scham der Braut, die sichere Hingebung der Hausfrau, wie die Liebes¬<lb/> glut des Bräutigams und das stolze Selbstgefühl des Hausvaters aus demselben<lb/> ehrlichen Gemüth, welches die Grundlage noch unsrer Bildung ist. Ja wir<lb/> haben durch die Dichter eine gewisse Gewandtheit erlangt, uns rate die Lieben¬<lb/> den in dem Costüm jeder wunderlichen Zeit, in Schnabelschuhen wie in der<lb/> Perücke, vorzustellen. Aber grade an diese zartesten Verhältnisse hat die Sitte<lb/> in den verschiedenen Zeiten auch vieles Vergängliche und einiges Räthselhafte<lb/> angeheftet, und es sieht zuweilen aus, als habe die deutsche Seele, wo sie am<lb/> eifrigsten war, auch mit dem größten Behagen die schöne Erregung in ver¬<lb/> schnörkelter Hülle versteckt. Hinter der krausen Form müssen wir zuweilen den<lb/> Menschlichen Inhalt erst suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_977" next="#ID_978"> Dreierlei aber hat' im Ganzen betrachtet zu jeder Zeit in Deutschland<lb/> gegolten. Zuerst, das Weib verband sich dem Manne als eine Freie, deren<lb/> Herz mitzusprechen hatte. Auch in der wildesten Zeit konnte der Zwang der<lb/> Familie ihr nicht verbieten, statt dem unholden Manne sich in frommer Oppo¬<lb/> sition dem Bräutigam im Himmel zu verloben. Der Mann aber mußte um<lb/> die Liebe des Weibes werben, nach dem Satz: Liebe um Liebe. In feier¬<lb/> licher Weise mußte sie seine Braut werden, bevor er sie in sein Haus führte,<lb/> und in dieser ahnungsvollen Zeit des Brautstandes war sie sür ihren ganzen<lb/> Kreis eine Geweihte, und der Hochzeitstag war der höchste Ehrentag des<lb/> Weibes. Zweitens: die deutsche Ehe war in allen Ständen ein wirkliches<lb/> Zusammenleben von Mann und Weib, in einem Hause und in einer Kammer.<lb/> Die Frau war die Hauswirthin, wie-der Mann der Wirth. Ihr Stolz und<lb/> ihre Ehre war es, den Haushalt, die Wirthschaft, die Kinder und Dienst-<lb/> leute bis ins Kleinste zu überwachen. Das geschah in fürstlichen Schlössern<lb/> ebensowol, wie in der Hütte des Bauern. So war jede Heirat!) der</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0339]
den, dem hingebenden Leben der Gatten, der Pietät der Kinder. In solcher
Zeit waren die Familiengefühle die letzte Burg, in welche der deutsche Geist
sich flüchtete vor der Verwilderung, welche den Leib der Völker zerrüttet und
ihre Seele in kurzer Zeit zu greisenhafter Schwäche hiuabdrückt. Von dieser
letzten Ringmauer der Familie aus haben sich die Deutschen mehr als einmal
die Herrschaft auf der Erde und im Reiche der Geister wieder erobern müssen
So war es in der schlechten Zeit nach den Kreuzzügen, so wieder nach dem
dreißigjährigen Kriege. — Wol ist es für uns Enkel eine Freude, mitten in'
das Herz unsrer Vorfahren zu blicken und die Glut der schönsten Leiden¬
schaft in dem Wiederschein zu beobachte», den sie hier und da bis in unsre
Zeit geworfen hat. Aber es' ist doch nicht immer leicht. Zwar vermögen wir
das allgemein Menschliche, ja auch die besondere deutsche Arc in Liebe und
Ehe in jeder Periode des deutschen Lebens >zu erkennen, denn stets, so lange
es Deutsche gegeben hat, kam der sehnsuchtsvolle Blick der Liebenden, die
holde Scham der Braut, die sichere Hingebung der Hausfrau, wie die Liebes¬
glut des Bräutigams und das stolze Selbstgefühl des Hausvaters aus demselben
ehrlichen Gemüth, welches die Grundlage noch unsrer Bildung ist. Ja wir
haben durch die Dichter eine gewisse Gewandtheit erlangt, uns rate die Lieben¬
den in dem Costüm jeder wunderlichen Zeit, in Schnabelschuhen wie in der
Perücke, vorzustellen. Aber grade an diese zartesten Verhältnisse hat die Sitte
in den verschiedenen Zeiten auch vieles Vergängliche und einiges Räthselhafte
angeheftet, und es sieht zuweilen aus, als habe die deutsche Seele, wo sie am
eifrigsten war, auch mit dem größten Behagen die schöne Erregung in ver¬
schnörkelter Hülle versteckt. Hinter der krausen Form müssen wir zuweilen den
Menschlichen Inhalt erst suchen.
Dreierlei aber hat' im Ganzen betrachtet zu jeder Zeit in Deutschland
gegolten. Zuerst, das Weib verband sich dem Manne als eine Freie, deren
Herz mitzusprechen hatte. Auch in der wildesten Zeit konnte der Zwang der
Familie ihr nicht verbieten, statt dem unholden Manne sich in frommer Oppo¬
sition dem Bräutigam im Himmel zu verloben. Der Mann aber mußte um
die Liebe des Weibes werben, nach dem Satz: Liebe um Liebe. In feier¬
licher Weise mußte sie seine Braut werden, bevor er sie in sein Haus führte,
und in dieser ahnungsvollen Zeit des Brautstandes war sie sür ihren ganzen
Kreis eine Geweihte, und der Hochzeitstag war der höchste Ehrentag des
Weibes. Zweitens: die deutsche Ehe war in allen Ständen ein wirkliches
Zusammenleben von Mann und Weib, in einem Hause und in einer Kammer.
Die Frau war die Hauswirthin, wie-der Mann der Wirth. Ihr Stolz und
ihre Ehre war es, den Haushalt, die Wirthschaft, die Kinder und Dienst-
leute bis ins Kleinste zu überwachen. Das geschah in fürstlichen Schlössern
ebensowol, wie in der Hütte des Bauern. So war jede Heirat!) der
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