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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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dumpfes Gemurmel durchschlich die Menge, es schien eine Menschenverbtüderung,
eine einzige unglückliche Familie zu sein, deren Glieder sich kaum anzusehen
vermochten, weil jeder Blick Kummer, nicht Trost sprach." -- Aber so richtig
diese Bemerkungen auch sein mögen, so halten doch auch dieselben Bericht¬
erstatter nicht mit der Bemerkung zurück, daß sich auch hierbei der angeborne
Leichtsinn der Berliner und ihre Sucht, stets nach etwas Neuem zu haschen,
nicht verleugnete, denn kaum war der erste Schrecken überwunden, so wälzten
sie sich auch schon stromweise, als endlich wirklich die Franzosen anlangten,
zum Thore hinaus, um die einrückenden Sieger und das von ihnen aufgeschla¬
gene Lager in Augenschein zu nehmen. Dieser bedeutungsvolle Tag war der
24. October, gewiß einer der merkwürdigsten und unvergeßlichsten in den An¬
nalen Berlins. Es mochte etwa gegen elf Uhr des Vormittags sein, als sich
der Ruf verbreitete, die Franzosen zögen in die Stadt ein. Alles stürzte nach
dem brandenburger Thor und bald zeigte sich in der That auch ein Trupp
von etwa hundert Mann, theils reitende Jäger, theils Husaren und Artille¬
risten, die das noch immer hoffende Volk ihrer grünen Uniformen wegen an¬
fänglich für Russen hielt, weil sich kurz vorher das Gerücht verbreitet hatte,
dieselben wären bei Stettin gelandet und eilten nun zum Entsatz herbei. In
solchen Zeiten der Aufregung glaubt man alles und besonders das, woran sich
die letzte Hoffnung festklammert. Auch konnte eine solche Täuschung natürlich
nur sehr kurze Zeit dauern -- sie schwand, als bald darauf das neunte franzö¬
sische Husarenregiment vom potsvamer-Thor her einrückte; diesem folgte des
Nachmittags mit klingendem Spiel das erste, zweite und zwölfte Regiment
enÄSseurs ü. eneval, während zu derselben Zeit vor dem hallischen Thor das
davoustische Corps anlangte und sich dort im Freien lagerte. General Hülin
übernahm das Amt als Commandant von Berlin und als man sah, daß von
' Plünderung und rohen Solbatenercessen nicht die Rede war, fand man sich
allmälig in die neue Lage, obgleich Handel und Wandel noch immer dar¬
niederlagen, das baare Geld mangelte und die Stadt an Mundvorrath
Noth litt.

Am'27. October des Nachmittags vier Uhr traf endlich der französische
Kaiser, von Charlottenburg kommend, unter dem Donner der Kanonen und
umgeben von seinen Garden und den Marschällen Prinz von Neufchatel,
Davoust, Augereau, Lefebre und Bessieres in Berlin ein. Ein Augenzeuge be¬
schreibt bei dieser Gelegenheit seine äußere Erscheinung folgendermaßen:

"Seine Figur ist klein, er hat ein Embonpoint, das er, nach den Gemäl¬
den, die ihn früher darstellten, erst vor kurzem erhalten haben muß. Sein
Teint ist olivenfarbig und die Muskeln seines Gesichts sind trocken; beides
gibt ihm ein finsteres Ansehen. Das bräunliche Auge ist zwar nicht feurig
zu nennen, doch ist sein Blick durchdringend; erforschende Anmuth mangelt


dumpfes Gemurmel durchschlich die Menge, es schien eine Menschenverbtüderung,
eine einzige unglückliche Familie zu sein, deren Glieder sich kaum anzusehen
vermochten, weil jeder Blick Kummer, nicht Trost sprach." — Aber so richtig
diese Bemerkungen auch sein mögen, so halten doch auch dieselben Bericht¬
erstatter nicht mit der Bemerkung zurück, daß sich auch hierbei der angeborne
Leichtsinn der Berliner und ihre Sucht, stets nach etwas Neuem zu haschen,
nicht verleugnete, denn kaum war der erste Schrecken überwunden, so wälzten
sie sich auch schon stromweise, als endlich wirklich die Franzosen anlangten,
zum Thore hinaus, um die einrückenden Sieger und das von ihnen aufgeschla¬
gene Lager in Augenschein zu nehmen. Dieser bedeutungsvolle Tag war der
24. October, gewiß einer der merkwürdigsten und unvergeßlichsten in den An¬
nalen Berlins. Es mochte etwa gegen elf Uhr des Vormittags sein, als sich
der Ruf verbreitete, die Franzosen zögen in die Stadt ein. Alles stürzte nach
dem brandenburger Thor und bald zeigte sich in der That auch ein Trupp
von etwa hundert Mann, theils reitende Jäger, theils Husaren und Artille¬
risten, die das noch immer hoffende Volk ihrer grünen Uniformen wegen an¬
fänglich für Russen hielt, weil sich kurz vorher das Gerücht verbreitet hatte,
dieselben wären bei Stettin gelandet und eilten nun zum Entsatz herbei. In
solchen Zeiten der Aufregung glaubt man alles und besonders das, woran sich
die letzte Hoffnung festklammert. Auch konnte eine solche Täuschung natürlich
nur sehr kurze Zeit dauern — sie schwand, als bald darauf das neunte franzö¬
sische Husarenregiment vom potsvamer-Thor her einrückte; diesem folgte des
Nachmittags mit klingendem Spiel das erste, zweite und zwölfte Regiment
enÄSseurs ü. eneval, während zu derselben Zeit vor dem hallischen Thor das
davoustische Corps anlangte und sich dort im Freien lagerte. General Hülin
übernahm das Amt als Commandant von Berlin und als man sah, daß von
' Plünderung und rohen Solbatenercessen nicht die Rede war, fand man sich
allmälig in die neue Lage, obgleich Handel und Wandel noch immer dar¬
niederlagen, das baare Geld mangelte und die Stadt an Mundvorrath
Noth litt.

Am'27. October des Nachmittags vier Uhr traf endlich der französische
Kaiser, von Charlottenburg kommend, unter dem Donner der Kanonen und
umgeben von seinen Garden und den Marschällen Prinz von Neufchatel,
Davoust, Augereau, Lefebre und Bessieres in Berlin ein. Ein Augenzeuge be¬
schreibt bei dieser Gelegenheit seine äußere Erscheinung folgendermaßen:

„Seine Figur ist klein, er hat ein Embonpoint, das er, nach den Gemäl¬
den, die ihn früher darstellten, erst vor kurzem erhalten haben muß. Sein
Teint ist olivenfarbig und die Muskeln seines Gesichts sind trocken; beides
gibt ihm ein finsteres Ansehen. Das bräunliche Auge ist zwar nicht feurig
zu nennen, doch ist sein Blick durchdringend; erforschende Anmuth mangelt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/268>, abgerufen am 28.06.2024.