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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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nichts, versichern Sie aber der Stadt Berlin meinen Schutz: das Privat¬
eigenthum und die Personen sollen gesichert sein."

Was die Wegschaffung des Schatzes, der königlichen Effecten und sämmt¬
licher Kassen anbelangt, so ging auch diese theils übereilt, theils planlos von
Statten. Die meisten dieser Gegenstände wurden nach Stettin und Küstrin
dirigirt, mußten aber wegen des schnellen Vordringens des Feindes auch von
dort ungesäumt weitergeschafft werden, doch sielen in ersterem Platze die von
Berlin dahin transportirten Gewehre in dessen Hände, weil -- was für die
damaligen Zustände gewiß charakteristisch ist -- das Kriegscollegium drei Tage
darüber berathen hatte, ob es pro Hundert einige Groschen mehr Fracht wie
gewöhnlich bezahlen sollte oder nicht. Auch in Betreff der Ausleerung des Zeug¬
hauses und der rechtzeitigen Bergung des darin befindlichen Kriegsmaterials
herrschte Kopflosigkeit und jeder Mangel an Umsicht, weshalb auch die Franzosen
bei ihrer Ankunft dort noch eine beträchtliche Anzahl von Geschützen und andern
Waffen fanden. Während man in den Tagen vom 16. bis zum 24. October
gestattete, daß sich die. Berlin verlassenden Privatpersonen ausschließlich der
vorhandenen Schiffe und Fuhrwerke bemächtigten, um damit häufig die erbärm¬
lichsten und unbrauchbarsten Möbel fortzuschaffen, blieb ein großer Theil des
wichtigsten Kriegsmaterials, womit man theilweise die eben erlittenen Verluste
hätte ersetzen können, an Ort und Stelle liegen. Ein beim Zeughaus" ange¬
stellter Beamter, welcher noch frühzeitig darauf aufmerksam gemacht wurde,
das kostbare Material in Sicherheit zu.bringen, antwortete verdrießlich: "man
lasse mich in Ruhe, weiß ich doch ohnehin nicht, wo mir der Kopf steht," eine
Aeußerung, die einen zu jener Zeit lebenden Schriftsteller bei der Betrachtung
der damaligen Zustände zu der Bemerkung veranlaßte, daß der eigne Kopf,
und sei er noch so leer gewesen, für diesen wie sser viele andre Beamte der
damaligen Zeit mehr Werth gehabt habe, als das leere Zeughaus, daS nur
dem Staate gehörte.

Man würde den Berlinern Unrecht thun, wenn man behaupten wollte, sie
wären bei dem hereinbrechenden Unglück gleichgiltig geblieben, oder sie hätten
bei der Sorge für ihre persönliche Sicherheit alles das vergessen, was ihr
besseres Gefühl bei dem hereinbrechenden Unglück dem tiefgebeugten Vater¬
lande schuldig war. Wir haben schon vorhin bemerkt, daß bei der Nachricht
von der verlorenen Schlacht sich überall Bestürzung und Niedergeschlagenheit
verbreitete. "Aus jedem Gesicht," so sagen Augenzeugen, "las man die stür¬
menden Bewegungen des innern Menschen, und den Wunsch der Verzweif¬
lung, daß bald, doch bald eine tröstende Nachricht kund werden möchte; ein



Diese Versicherung stimmt allerdings nicht mit der Handlungsweise Napoleons im vor¬
hergehenden Jahre überein, denn damals schrieb er an Bernadotte, indem er den Durchmarsch
durchs Auspachschc befahl: "Man muß alles aufs Spiel setzen, um alles zu gewinnen."
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nichts, versichern Sie aber der Stadt Berlin meinen Schutz: das Privat¬
eigenthum und die Personen sollen gesichert sein."

Was die Wegschaffung des Schatzes, der königlichen Effecten und sämmt¬
licher Kassen anbelangt, so ging auch diese theils übereilt, theils planlos von
Statten. Die meisten dieser Gegenstände wurden nach Stettin und Küstrin
dirigirt, mußten aber wegen des schnellen Vordringens des Feindes auch von
dort ungesäumt weitergeschafft werden, doch sielen in ersterem Platze die von
Berlin dahin transportirten Gewehre in dessen Hände, weil — was für die
damaligen Zustände gewiß charakteristisch ist — das Kriegscollegium drei Tage
darüber berathen hatte, ob es pro Hundert einige Groschen mehr Fracht wie
gewöhnlich bezahlen sollte oder nicht. Auch in Betreff der Ausleerung des Zeug¬
hauses und der rechtzeitigen Bergung des darin befindlichen Kriegsmaterials
herrschte Kopflosigkeit und jeder Mangel an Umsicht, weshalb auch die Franzosen
bei ihrer Ankunft dort noch eine beträchtliche Anzahl von Geschützen und andern
Waffen fanden. Während man in den Tagen vom 16. bis zum 24. October
gestattete, daß sich die. Berlin verlassenden Privatpersonen ausschließlich der
vorhandenen Schiffe und Fuhrwerke bemächtigten, um damit häufig die erbärm¬
lichsten und unbrauchbarsten Möbel fortzuschaffen, blieb ein großer Theil des
wichtigsten Kriegsmaterials, womit man theilweise die eben erlittenen Verluste
hätte ersetzen können, an Ort und Stelle liegen. Ein beim Zeughaus« ange¬
stellter Beamter, welcher noch frühzeitig darauf aufmerksam gemacht wurde,
das kostbare Material in Sicherheit zu.bringen, antwortete verdrießlich: „man
lasse mich in Ruhe, weiß ich doch ohnehin nicht, wo mir der Kopf steht," eine
Aeußerung, die einen zu jener Zeit lebenden Schriftsteller bei der Betrachtung
der damaligen Zustände zu der Bemerkung veranlaßte, daß der eigne Kopf,
und sei er noch so leer gewesen, für diesen wie sser viele andre Beamte der
damaligen Zeit mehr Werth gehabt habe, als das leere Zeughaus, daS nur
dem Staate gehörte.

Man würde den Berlinern Unrecht thun, wenn man behaupten wollte, sie
wären bei dem hereinbrechenden Unglück gleichgiltig geblieben, oder sie hätten
bei der Sorge für ihre persönliche Sicherheit alles das vergessen, was ihr
besseres Gefühl bei dem hereinbrechenden Unglück dem tiefgebeugten Vater¬
lande schuldig war. Wir haben schon vorhin bemerkt, daß bei der Nachricht
von der verlorenen Schlacht sich überall Bestürzung und Niedergeschlagenheit
verbreitete. „Aus jedem Gesicht," so sagen Augenzeugen, „las man die stür¬
menden Bewegungen des innern Menschen, und den Wunsch der Verzweif¬
lung, daß bald, doch bald eine tröstende Nachricht kund werden möchte; ein



Diese Versicherung stimmt allerdings nicht mit der Handlungsweise Napoleons im vor¬
hergehenden Jahre überein, denn damals schrieb er an Bernadotte, indem er den Durchmarsch
durchs Auspachschc befahl: „Man muß alles aufs Spiel setzen, um alles zu gewinnen."
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[0267] nichts, versichern Sie aber der Stadt Berlin meinen Schutz: das Privat¬ eigenthum und die Personen sollen gesichert sein." Was die Wegschaffung des Schatzes, der königlichen Effecten und sämmt¬ licher Kassen anbelangt, so ging auch diese theils übereilt, theils planlos von Statten. Die meisten dieser Gegenstände wurden nach Stettin und Küstrin dirigirt, mußten aber wegen des schnellen Vordringens des Feindes auch von dort ungesäumt weitergeschafft werden, doch sielen in ersterem Platze die von Berlin dahin transportirten Gewehre in dessen Hände, weil — was für die damaligen Zustände gewiß charakteristisch ist — das Kriegscollegium drei Tage darüber berathen hatte, ob es pro Hundert einige Groschen mehr Fracht wie gewöhnlich bezahlen sollte oder nicht. Auch in Betreff der Ausleerung des Zeug¬ hauses und der rechtzeitigen Bergung des darin befindlichen Kriegsmaterials herrschte Kopflosigkeit und jeder Mangel an Umsicht, weshalb auch die Franzosen bei ihrer Ankunft dort noch eine beträchtliche Anzahl von Geschützen und andern Waffen fanden. Während man in den Tagen vom 16. bis zum 24. October gestattete, daß sich die. Berlin verlassenden Privatpersonen ausschließlich der vorhandenen Schiffe und Fuhrwerke bemächtigten, um damit häufig die erbärm¬ lichsten und unbrauchbarsten Möbel fortzuschaffen, blieb ein großer Theil des wichtigsten Kriegsmaterials, womit man theilweise die eben erlittenen Verluste hätte ersetzen können, an Ort und Stelle liegen. Ein beim Zeughaus« ange¬ stellter Beamter, welcher noch frühzeitig darauf aufmerksam gemacht wurde, das kostbare Material in Sicherheit zu.bringen, antwortete verdrießlich: „man lasse mich in Ruhe, weiß ich doch ohnehin nicht, wo mir der Kopf steht," eine Aeußerung, die einen zu jener Zeit lebenden Schriftsteller bei der Betrachtung der damaligen Zustände zu der Bemerkung veranlaßte, daß der eigne Kopf, und sei er noch so leer gewesen, für diesen wie sser viele andre Beamte der damaligen Zeit mehr Werth gehabt habe, als das leere Zeughaus, daS nur dem Staate gehörte. Man würde den Berlinern Unrecht thun, wenn man behaupten wollte, sie wären bei dem hereinbrechenden Unglück gleichgiltig geblieben, oder sie hätten bei der Sorge für ihre persönliche Sicherheit alles das vergessen, was ihr besseres Gefühl bei dem hereinbrechenden Unglück dem tiefgebeugten Vater¬ lande schuldig war. Wir haben schon vorhin bemerkt, daß bei der Nachricht von der verlorenen Schlacht sich überall Bestürzung und Niedergeschlagenheit verbreitete. „Aus jedem Gesicht," so sagen Augenzeugen, „las man die stür¬ menden Bewegungen des innern Menschen, und den Wunsch der Verzweif¬ lung, daß bald, doch bald eine tröstende Nachricht kund werden möchte; ein Diese Versicherung stimmt allerdings nicht mit der Handlungsweise Napoleons im vor¬ hergehenden Jahre überein, denn damals schrieb er an Bernadotte, indem er den Durchmarsch durchs Auspachschc befahl: „Man muß alles aufs Spiel setzen, um alles zu gewinnen." 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/267>, abgerufen am 26.06.2024.