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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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etwas zu entziehen, vielmehr sucht jeder sein Besonderes allgemein zu machen.
Und zum Erstaunen ist es, wie bei einer so großen Menge, (es mögen immer
an die tausend Menschen da sein), bei so verschiedenen Sitten, in einem so
freudetrunkenen Gemisch keine Händel, kein Zwist, kein Schimpfwort, kein
Murmeln, noch Beschwerde des einen über den andern entsteht. Da sehen
Männer, wie mit ihren Weibern getändelt wird, und treffen sie mit einem wild¬
fremden Manne unter vier Augen an; das alles bewegt sie nicht, sie wundern
sich über nichts.

Schon mehr als einmal hab ich daher die unzerstörbare Gemüthsruhe
dieser guten Menschen beneidet, und dagegen unsre verkehrte Denkart verwünscht,
die wir immer klagen, immer begehren, durch keinen Gewinn befriedigt, durch
keinen Wucher gesättigt, Himmel und Erde umkehren wollen, um nur Geld zu er¬
werben. Diese Glücklichen hingegen, mit Wenigem vergnügt, leben nur für heute,
machen sich jeden Tag zum Feste, verlangen nicht nach Reichthum, der ihnen
wenig nützen kann, freuen sich dessen, was sie haben und zittern nie vor der
Zukunft. Begegnet ihnen je etwas Widriges, so tragen sie es mit Geduld,
und ihr größter Schatz ist der Wahlspruch: Der lebte, der'seines Lebens
genoß!"

Soweit die gezierte Darstellung des italienischen Staatsmanns. Wol
war das fünfzehnte Jahrhundert eine Zeit der Ueppigkeit und des raffinirenden
Genusses, aber was der fremde Mann erzählt, ist noch nicht so arg, als die
Art, wie er es schrieb.

Welchen Einfluß die Reformation auf das gesammte Volksleben und so
auch auf die Bäder von Baden hatte, lehrt eine andere Beschreibung, welche
ein ehrlicher Deutscher, der Doctor der Medicin Pantaleon, ein Basler,
Rector der hohen Schule und der philosophischen Facultät, gegen das Ende
des sechzehnten Jahrhunderts schrieb. Es ist ein anderer Geist und ein
anderes Leben aus kleinen Zügen seiner treuherzigen Darstellung erkennbar,
von der hier einige charakteristische Bruchstücke folgen.

Badeleben um 1380: "Das freie Bad, auch Bürgerbad genannt, ist
unterdem freiem Himmel. Es ist so lang und breit, daß über hundert Menschen
zumal darin baden könen. Ringsherum ist es mit steinernen Platten besetzt
und mancherlei Sitze sind darin geordnet. Eine Ecke, ein Viertheil des Bades,
ist durch ein hölzernes Gatter verschlagen und sür die Weiber zurecht gemacht.
Weil aber oft die gemeinern Weiber dahin kommen, pflegen andere sich in dem
größern Bade aufzuhalten. In diesem Bad darf jedermann, fremd und heimisch,
umsonst baden und sein Ergötzen lang oder kurz darin haben. Vornehmlich
kommt an Samstagen das Volk aus der Stadt und von dem Land in Haufen
daher und begehren Mann und Weib ihr Kurzweil zu haben und hübsch zu
werden. Hierbei muß man sich aber hoch verwundern, daß sie das Schröpfen


etwas zu entziehen, vielmehr sucht jeder sein Besonderes allgemein zu machen.
Und zum Erstaunen ist es, wie bei einer so großen Menge, (es mögen immer
an die tausend Menschen da sein), bei so verschiedenen Sitten, in einem so
freudetrunkenen Gemisch keine Händel, kein Zwist, kein Schimpfwort, kein
Murmeln, noch Beschwerde des einen über den andern entsteht. Da sehen
Männer, wie mit ihren Weibern getändelt wird, und treffen sie mit einem wild¬
fremden Manne unter vier Augen an; das alles bewegt sie nicht, sie wundern
sich über nichts.

Schon mehr als einmal hab ich daher die unzerstörbare Gemüthsruhe
dieser guten Menschen beneidet, und dagegen unsre verkehrte Denkart verwünscht,
die wir immer klagen, immer begehren, durch keinen Gewinn befriedigt, durch
keinen Wucher gesättigt, Himmel und Erde umkehren wollen, um nur Geld zu er¬
werben. Diese Glücklichen hingegen, mit Wenigem vergnügt, leben nur für heute,
machen sich jeden Tag zum Feste, verlangen nicht nach Reichthum, der ihnen
wenig nützen kann, freuen sich dessen, was sie haben und zittern nie vor der
Zukunft. Begegnet ihnen je etwas Widriges, so tragen sie es mit Geduld,
und ihr größter Schatz ist der Wahlspruch: Der lebte, der'seines Lebens
genoß!"

Soweit die gezierte Darstellung des italienischen Staatsmanns. Wol
war das fünfzehnte Jahrhundert eine Zeit der Ueppigkeit und des raffinirenden
Genusses, aber was der fremde Mann erzählt, ist noch nicht so arg, als die
Art, wie er es schrieb.

Welchen Einfluß die Reformation auf das gesammte Volksleben und so
auch auf die Bäder von Baden hatte, lehrt eine andere Beschreibung, welche
ein ehrlicher Deutscher, der Doctor der Medicin Pantaleon, ein Basler,
Rector der hohen Schule und der philosophischen Facultät, gegen das Ende
des sechzehnten Jahrhunderts schrieb. Es ist ein anderer Geist und ein
anderes Leben aus kleinen Zügen seiner treuherzigen Darstellung erkennbar,
von der hier einige charakteristische Bruchstücke folgen.

Badeleben um 1380: „Das freie Bad, auch Bürgerbad genannt, ist
unterdem freiem Himmel. Es ist so lang und breit, daß über hundert Menschen
zumal darin baden könen. Ringsherum ist es mit steinernen Platten besetzt
und mancherlei Sitze sind darin geordnet. Eine Ecke, ein Viertheil des Bades,
ist durch ein hölzernes Gatter verschlagen und sür die Weiber zurecht gemacht.
Weil aber oft die gemeinern Weiber dahin kommen, pflegen andere sich in dem
größern Bade aufzuhalten. In diesem Bad darf jedermann, fremd und heimisch,
umsonst baden und sein Ergötzen lang oder kurz darin haben. Vornehmlich
kommt an Samstagen das Volk aus der Stadt und von dem Land in Haufen
daher und begehren Mann und Weib ihr Kurzweil zu haben und hübsch zu
werden. Hierbei muß man sich aber hoch verwundern, daß sie das Schröpfen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/214>, abgerufen am 25.08.2024.