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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Denn unter diesem immerwährenden Geräusch von Klang und Gesang
war da weder zum Lesen noch zum Denken Zeit; und hier allein weise sein
wollen, wäre die größte Thorheit gewesen, zumal für einen, der kein selbst¬
peinigender Menedem, und dem nichts Menschliches fremd ist. Zur höchsten
Lust mangelt freilich noch die Unterhaltung durch Gespräche, die denn doch
unter allen die vorzüglichste ist. Mir blieb also nichts übrig, als die Augen
an den Schönen zu weiden, ihnen nachzugehen, sie zum Spiel zu führen und
wieder zurückzugeleiten. Auch war zum nähern Umgange Gelegenheit da, und
so große Freiheit dabei, daß man sich eben um die gewohnte Stufenleiter der
Bewerbung, um Gunst und Zuneigung, nicht zu bekümmern brauchte. Außer
solchem Genuß gab es noch andern von nicht geringem Reiz. Hinter den
Höfen, allernächst an dem Flusse, liegt nämlich eine große, von vielen Bäumen
beschattete Wiese. Hier kommt nach dem Ehlen jedermann zusammen und be¬
lustigt sich mit Gesang, Tanz und mancherlei Spielen. Die meisten spielen
Ball; aber nicht wie bei uns, sondern Männer und Frauen werfen einan¬
der, jedes dem, den es am liebsten hat, einen solchen Ball zu, worin viele
Schellen sind. Alles läuft zu, ihn zu haschen; wer ihn bekommt, hat gewon¬
nen, und wirft ihn- wieder seinem Geliebten zu; alles streckt die Hände empor,
ihn zu fangen; und wer ihn hält, thut, als ob er ihn bald dieser, bald jener
Person zuschanzen wollte. Viele andre tausend lustige Ergötzlichkeiten muß
ich, der Kürze wegen, übergehen, ich gab dir nur das Pröbchen von einigen,
um dir einen Begriff zu machen, was hier für eine große Gesellschaft von Epi¬
kuräern sei.

Unzählbar ist übrigens die Menge der Vornehmen und Gemeinen, die,
nicht sowol der Cur, als des Vergnügens wegen, von hundert Meilen weit
hier zusammenkommen. Alle die lieben, alle die heirathen wollen, oder wer
sonst das Leben im Genusse findet, Alle strömen hierher, wo sie finden, was
sie wünschen. Viele geben körperliche Leiden vor, und sind nur am Herzen krank.
Da sieht man hübsche Frauen die Menge, die ohne ihren Mann, ohne Ver¬
wandte, nur im Begleit zweier Mägde und eines Dieners hier anlangen, oder
etwa eines alten Mütterchens von Muhme, die sich leichter hintergehen als
bestechen läßt. Jede aber zeigt sich, soviel möglich, in Gold, Silber und Edel-
gestein, so daß man denken sollte, sie wären nicht ins Bad, sondern zu der
Prächtigsten Hochzeit gekommen. Auch Nonnen, oder richtiger zu reden, flora-
lische Mädchen, Aebte, Mönche, Ordensbrüder und Priester, leben hier in noch
größerer Freiheit, als alle übrigen; letztere baden sich wol gar mit den
Frauenzimmern, schmücken ihr Haar mit Kränzen, und vergessen alles Zwanges
ihrer Gelübde. Alle nämlich haben einerlei Absicht, Traurigkeit zu verbannen,
Vergnügen zu suchen, keinen Gedanken zu haben als wie sie des Lebens und
seiner Freuden genießen mögen. Keiner bemüht sich, der Gesellschaft


Denn unter diesem immerwährenden Geräusch von Klang und Gesang
war da weder zum Lesen noch zum Denken Zeit; und hier allein weise sein
wollen, wäre die größte Thorheit gewesen, zumal für einen, der kein selbst¬
peinigender Menedem, und dem nichts Menschliches fremd ist. Zur höchsten
Lust mangelt freilich noch die Unterhaltung durch Gespräche, die denn doch
unter allen die vorzüglichste ist. Mir blieb also nichts übrig, als die Augen
an den Schönen zu weiden, ihnen nachzugehen, sie zum Spiel zu führen und
wieder zurückzugeleiten. Auch war zum nähern Umgange Gelegenheit da, und
so große Freiheit dabei, daß man sich eben um die gewohnte Stufenleiter der
Bewerbung, um Gunst und Zuneigung, nicht zu bekümmern brauchte. Außer
solchem Genuß gab es noch andern von nicht geringem Reiz. Hinter den
Höfen, allernächst an dem Flusse, liegt nämlich eine große, von vielen Bäumen
beschattete Wiese. Hier kommt nach dem Ehlen jedermann zusammen und be¬
lustigt sich mit Gesang, Tanz und mancherlei Spielen. Die meisten spielen
Ball; aber nicht wie bei uns, sondern Männer und Frauen werfen einan¬
der, jedes dem, den es am liebsten hat, einen solchen Ball zu, worin viele
Schellen sind. Alles läuft zu, ihn zu haschen; wer ihn bekommt, hat gewon¬
nen, und wirft ihn- wieder seinem Geliebten zu; alles streckt die Hände empor,
ihn zu fangen; und wer ihn hält, thut, als ob er ihn bald dieser, bald jener
Person zuschanzen wollte. Viele andre tausend lustige Ergötzlichkeiten muß
ich, der Kürze wegen, übergehen, ich gab dir nur das Pröbchen von einigen,
um dir einen Begriff zu machen, was hier für eine große Gesellschaft von Epi¬
kuräern sei.

Unzählbar ist übrigens die Menge der Vornehmen und Gemeinen, die,
nicht sowol der Cur, als des Vergnügens wegen, von hundert Meilen weit
hier zusammenkommen. Alle die lieben, alle die heirathen wollen, oder wer
sonst das Leben im Genusse findet, Alle strömen hierher, wo sie finden, was
sie wünschen. Viele geben körperliche Leiden vor, und sind nur am Herzen krank.
Da sieht man hübsche Frauen die Menge, die ohne ihren Mann, ohne Ver¬
wandte, nur im Begleit zweier Mägde und eines Dieners hier anlangen, oder
etwa eines alten Mütterchens von Muhme, die sich leichter hintergehen als
bestechen läßt. Jede aber zeigt sich, soviel möglich, in Gold, Silber und Edel-
gestein, so daß man denken sollte, sie wären nicht ins Bad, sondern zu der
Prächtigsten Hochzeit gekommen. Auch Nonnen, oder richtiger zu reden, flora-
lische Mädchen, Aebte, Mönche, Ordensbrüder und Priester, leben hier in noch
größerer Freiheit, als alle übrigen; letztere baden sich wol gar mit den
Frauenzimmern, schmücken ihr Haar mit Kränzen, und vergessen alles Zwanges
ihrer Gelübde. Alle nämlich haben einerlei Absicht, Traurigkeit zu verbannen,
Vergnügen zu suchen, keinen Gedanken zu haben als wie sie des Lebens und
seiner Freuden genießen mögen. Keiner bemüht sich, der Gesellschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/213>, abgerufen am 25.08.2024.