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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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deten im Frühjahr 1799 Preußen sich ihnen anschloß und am Rhein und gegen
Holland operirte, so war der Erfolg gegen die französische Republik gewiß.
Wirklich bedachte sich auch der König; er ertheilte Haugwitz Vollmacht, das
Bündniß mit Nußland abzuschließen. Aber plötzlich schlug die Stimmung wie¬
der um; der König, von falscher Sparsamkeit und Friedensliebe geleitet, gab
seinem Minister Gegenbefehl. Die preußische Neutralität stand wieder fest.
Dem ersten Consul Bonaparte, der sich durch den Staatsstreich vom 9. und
10. November zum Dictator Frankreichs aufgeschwungen hatte, war mit dieser Po¬
litik sehr gedient: Preußen sollte ihm die Brücke des Einverständnisses mit dem
Kaiser von Rußland bahnen. Unter diesen Umständen schloß Oestreich, von Ru߬
land verlassen, von Bonaparte bei Marengo besiegt, am 9. Februar 1801 den
Frieden von Lünevifle, der wesentlich auf den Grundlagen deS Vertrags von
Campo Formio beruhte. Es wußte sich für seinen Verlust an Gebiet immer
noch eine leidliche Entschädigung zu sichern. Statt des entlegenen, schwer zu
behauptenden Belgien erhielt es Venedig und Jstrien, eine vortreffliche Arron-
dirung seiner Erdtaube. Die Kosten des Ganzen trug die deutsche Nation.
Deutschland verlor damals 1130 Quadratmeilen an Gebiet und beinahe
Millionen Einwohner. Es verlor Belgien und das linke Rheinufer, ein
gesegnetes Land mit reichen und vielseitigen Hilfsquellen, durch dessen Einbuße
der Handel und die Schifffahrt Deutschlands einen schweren Schlag erlitt.
So kläglich waren aber damals die deutschen Zustände, daß den Bewohnern
des linken Rheinufers ihre Vereinigung mit Frankreich keineswegs als ein
Unglück erschien. Bonaparte konnte in seiner Proclcunation vom 18. Juli
1801 sie mit Fug daran erinnern, daß es nur bei ihnen keine Privilegien,
keine Feudallasten, keine Frohnden, keine Jagdrechte mehr gebe, daß an die
Stelle der alten Verwaltung eine bessere Administration und Justiz getreten
sei, daß das Land eine Sicherheit genieße, wie nie zuvor. "Statt einer Menge
kleiner Herren, die zu schwach waren, um sich zu vertheidigen, aber stark
genug, das Land zu drücken, steht dasselbe unter dem Schutze einer Macht,
die ihrem Gebiete Achtung zu verschaffen wissen wird."

Am 7. März 1801 ratisicirte der deutsche Reichstag den Frieden von Lune-
ville. Es begann in Paris das Entschädigungswerk. Dorthin wendeten sich
die meisten weltlichen Stände, um aus dem großen Schiffbruche des Reiches
einige Trümmer zu retten; dort wurden die deutschen Provinzen zerschnitten-
Um des französischen Ministers Talleyrand Protection bewarben sich wetteifernd
die deutschen Diplomaten; ihn und sein Werkzeug Matthieu erkaufte mit be¬
deutenden Summen und Geschenken Hessen-Darmstadt; zu der französischen Ein¬
mischung in Deutschland trat aber auch noch die russische. Am 8. October 1801
schloß Bonaparte Friede mit Rußland. In einem geheimen Artikel verständig¬
ten sich Frankreich und Rußland, Oestreich und Preußen "in einem richtigen


deten im Frühjahr 1799 Preußen sich ihnen anschloß und am Rhein und gegen
Holland operirte, so war der Erfolg gegen die französische Republik gewiß.
Wirklich bedachte sich auch der König; er ertheilte Haugwitz Vollmacht, das
Bündniß mit Nußland abzuschließen. Aber plötzlich schlug die Stimmung wie¬
der um; der König, von falscher Sparsamkeit und Friedensliebe geleitet, gab
seinem Minister Gegenbefehl. Die preußische Neutralität stand wieder fest.
Dem ersten Consul Bonaparte, der sich durch den Staatsstreich vom 9. und
10. November zum Dictator Frankreichs aufgeschwungen hatte, war mit dieser Po¬
litik sehr gedient: Preußen sollte ihm die Brücke des Einverständnisses mit dem
Kaiser von Rußland bahnen. Unter diesen Umständen schloß Oestreich, von Ru߬
land verlassen, von Bonaparte bei Marengo besiegt, am 9. Februar 1801 den
Frieden von Lünevifle, der wesentlich auf den Grundlagen deS Vertrags von
Campo Formio beruhte. Es wußte sich für seinen Verlust an Gebiet immer
noch eine leidliche Entschädigung zu sichern. Statt des entlegenen, schwer zu
behauptenden Belgien erhielt es Venedig und Jstrien, eine vortreffliche Arron-
dirung seiner Erdtaube. Die Kosten des Ganzen trug die deutsche Nation.
Deutschland verlor damals 1130 Quadratmeilen an Gebiet und beinahe
Millionen Einwohner. Es verlor Belgien und das linke Rheinufer, ein
gesegnetes Land mit reichen und vielseitigen Hilfsquellen, durch dessen Einbuße
der Handel und die Schifffahrt Deutschlands einen schweren Schlag erlitt.
So kläglich waren aber damals die deutschen Zustände, daß den Bewohnern
des linken Rheinufers ihre Vereinigung mit Frankreich keineswegs als ein
Unglück erschien. Bonaparte konnte in seiner Proclcunation vom 18. Juli
1801 sie mit Fug daran erinnern, daß es nur bei ihnen keine Privilegien,
keine Feudallasten, keine Frohnden, keine Jagdrechte mehr gebe, daß an die
Stelle der alten Verwaltung eine bessere Administration und Justiz getreten
sei, daß das Land eine Sicherheit genieße, wie nie zuvor. „Statt einer Menge
kleiner Herren, die zu schwach waren, um sich zu vertheidigen, aber stark
genug, das Land zu drücken, steht dasselbe unter dem Schutze einer Macht,
die ihrem Gebiete Achtung zu verschaffen wissen wird."

Am 7. März 1801 ratisicirte der deutsche Reichstag den Frieden von Lune-
ville. Es begann in Paris das Entschädigungswerk. Dorthin wendeten sich
die meisten weltlichen Stände, um aus dem großen Schiffbruche des Reiches
einige Trümmer zu retten; dort wurden die deutschen Provinzen zerschnitten-
Um des französischen Ministers Talleyrand Protection bewarben sich wetteifernd
die deutschen Diplomaten; ihn und sein Werkzeug Matthieu erkaufte mit be¬
deutenden Summen und Geschenken Hessen-Darmstadt; zu der französischen Ein¬
mischung in Deutschland trat aber auch noch die russische. Am 8. October 1801
schloß Bonaparte Friede mit Rußland. In einem geheimen Artikel verständig¬
ten sich Frankreich und Rußland, Oestreich und Preußen „in einem richtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/109>, abgerufen am 26.08.2024.