Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu entkräften." Gefahren von Frankreich droheten nicht; gegen dieselben könne
man immer noch mit. Rußland, England und Oestreich Allianzen schließen.
Nußland, das Land der Palastrevolutionen, "das sich für unüberwindlich halt,
weil es Türken und Polen geschlagen, das seine Hilfsquellen für unerschöpf¬
lich ansieht, weil es soviel Geld haben kann, als Papier und Druckerschwärze
im Lande sind, sei ein Verbündeter von sehr zweifelhaftem Werth. Oestreich
sei der natürliche Feind Preußens; es suche Preußen nur in den Krieg zu
ziehen, um es dann ebenso wie das deutsche Reich zu verlassen. Englands
merkantiles Uebergewicht drücke schon jetzt fast genug auf Preußen: wie sollte
es werden, wenn die Concurrenz Frankreichs und Hollands vollends ver¬
nichtet sei? Wir werden uns also nicht durch die eigennützigen Vorstellungen
der bewaffneten Mächte verleiten lassen, unser wahres Interesse zu verkennen
und ein Volk zu reizen, von welchem wir nichts zu fürchten, sondern alles bei
Gelegenheit zu hoffen haben. Wir werden während des Krieges die strengste
Neutralität beobachten, den allgemeinen Frieden abwarten, nie Verbindungen
eingehen, aber nie vergessen, daß Schlesien beständig der Zankapfel zwischen
uns und Oestreich bleiben wird."

So blieben Preußen und das deutsche Reich neutral; Oestreich, Nußland
und England führten den Krieg von 1799. Der Krieg brachte den Rastadter
Congreß in Lebensgefahr, das Attentat aus die französischen Abgesandten, das
zweien derselben das Leben kostete, sprengte ihn vollends. Leiter dieses Atten¬
tats war ohne Zweifel der östreichische Commissär Lehrbach, Mitwisser des¬
selben der östreichische Minister Thugut. Sie hofften einerseits durch die bei
den französischen Gesandten vorgefundenen Actenstücke Baiern zu compromittiren
und sie fürchteten andererseits, daß die wiener Politik durch Enthüllungen
französischerseits compromittirt werde. Allein Baiern war klug genug, sich eng
an Rußland anzuschließen und Thuguts Plan, Rußland auf Bayern zu Hetzen,
scheiterte gründlich. Dieser Umstand entzweite die Verbündeten. Rußland trat
von der Coalition zurück und die Waffen Oestreichs wurden dadurch gelähmt.
Preußen in den Kampf gegen Frankreich hineinzuziehen, gelang nicht. Seel n be¬
merkte damals: "Wir leben in einem Zustande der Starrsucht, während man mit
Nachdruck die Ruhe Europas auf den alten Grundlagen wiederherstellen konnte.
Wir amüstren uns mit Kunststücken der militärischen Tanzmeisterei und Schneiderei;
unser Staat hört auf, ein militärischer Staat zu sein und verwandelt sich in einen
erercirenden und schreibenden." Der große Kurfürst hatte einst in ähnlicher Lage
geäußert: "Was neUtral sein heißt, habe ich schon erfahren: wenn man schon
die besten Bedingungen hat, wird man doch übel tractirt; ich habe auch ver¬
schworen, mein Leben lang nicht neutral zu sein und würde mein Gewissen
damit beschweren." Diese Marime war vergessen, obgleich der Zeitpunkt zu
handeln günstiger war als je. Wenn nach den ersten Siegen der Verdün-


zu entkräften." Gefahren von Frankreich droheten nicht; gegen dieselben könne
man immer noch mit. Rußland, England und Oestreich Allianzen schließen.
Nußland, das Land der Palastrevolutionen, „das sich für unüberwindlich halt,
weil es Türken und Polen geschlagen, das seine Hilfsquellen für unerschöpf¬
lich ansieht, weil es soviel Geld haben kann, als Papier und Druckerschwärze
im Lande sind, sei ein Verbündeter von sehr zweifelhaftem Werth. Oestreich
sei der natürliche Feind Preußens; es suche Preußen nur in den Krieg zu
ziehen, um es dann ebenso wie das deutsche Reich zu verlassen. Englands
merkantiles Uebergewicht drücke schon jetzt fast genug auf Preußen: wie sollte
es werden, wenn die Concurrenz Frankreichs und Hollands vollends ver¬
nichtet sei? Wir werden uns also nicht durch die eigennützigen Vorstellungen
der bewaffneten Mächte verleiten lassen, unser wahres Interesse zu verkennen
und ein Volk zu reizen, von welchem wir nichts zu fürchten, sondern alles bei
Gelegenheit zu hoffen haben. Wir werden während des Krieges die strengste
Neutralität beobachten, den allgemeinen Frieden abwarten, nie Verbindungen
eingehen, aber nie vergessen, daß Schlesien beständig der Zankapfel zwischen
uns und Oestreich bleiben wird."

So blieben Preußen und das deutsche Reich neutral; Oestreich, Nußland
und England führten den Krieg von 1799. Der Krieg brachte den Rastadter
Congreß in Lebensgefahr, das Attentat aus die französischen Abgesandten, das
zweien derselben das Leben kostete, sprengte ihn vollends. Leiter dieses Atten¬
tats war ohne Zweifel der östreichische Commissär Lehrbach, Mitwisser des¬
selben der östreichische Minister Thugut. Sie hofften einerseits durch die bei
den französischen Gesandten vorgefundenen Actenstücke Baiern zu compromittiren
und sie fürchteten andererseits, daß die wiener Politik durch Enthüllungen
französischerseits compromittirt werde. Allein Baiern war klug genug, sich eng
an Rußland anzuschließen und Thuguts Plan, Rußland auf Bayern zu Hetzen,
scheiterte gründlich. Dieser Umstand entzweite die Verbündeten. Rußland trat
von der Coalition zurück und die Waffen Oestreichs wurden dadurch gelähmt.
Preußen in den Kampf gegen Frankreich hineinzuziehen, gelang nicht. Seel n be¬
merkte damals: „Wir leben in einem Zustande der Starrsucht, während man mit
Nachdruck die Ruhe Europas auf den alten Grundlagen wiederherstellen konnte.
Wir amüstren uns mit Kunststücken der militärischen Tanzmeisterei und Schneiderei;
unser Staat hört auf, ein militärischer Staat zu sein und verwandelt sich in einen
erercirenden und schreibenden." Der große Kurfürst hatte einst in ähnlicher Lage
geäußert: „Was neUtral sein heißt, habe ich schon erfahren: wenn man schon
die besten Bedingungen hat, wird man doch übel tractirt; ich habe auch ver¬
schworen, mein Leben lang nicht neutral zu sein und würde mein Gewissen
damit beschweren." Diese Marime war vergessen, obgleich der Zeitpunkt zu
handeln günstiger war als je. Wenn nach den ersten Siegen der Verdün-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100562"/>
            <p xml:id="ID_314" prev="#ID_313"> zu entkräften." Gefahren von Frankreich droheten nicht; gegen dieselben könne<lb/>
man immer noch mit. Rußland, England und Oestreich Allianzen schließen.<lb/>
Nußland, das Land der Palastrevolutionen, &#x201E;das sich für unüberwindlich halt,<lb/>
weil es Türken und Polen geschlagen, das seine Hilfsquellen für unerschöpf¬<lb/>
lich ansieht, weil es soviel Geld haben kann, als Papier und Druckerschwärze<lb/>
im Lande sind, sei ein Verbündeter von sehr zweifelhaftem Werth. Oestreich<lb/>
sei der natürliche Feind Preußens; es suche Preußen nur in den Krieg zu<lb/>
ziehen, um es dann ebenso wie das deutsche Reich zu verlassen. Englands<lb/>
merkantiles Uebergewicht drücke schon jetzt fast genug auf Preußen: wie sollte<lb/>
es werden, wenn die Concurrenz Frankreichs und Hollands vollends ver¬<lb/>
nichtet sei? Wir werden uns also nicht durch die eigennützigen Vorstellungen<lb/>
der bewaffneten Mächte verleiten lassen, unser wahres Interesse zu verkennen<lb/>
und ein Volk zu reizen, von welchem wir nichts zu fürchten, sondern alles bei<lb/>
Gelegenheit zu hoffen haben. Wir werden während des Krieges die strengste<lb/>
Neutralität beobachten, den allgemeinen Frieden abwarten, nie Verbindungen<lb/>
eingehen, aber nie vergessen, daß Schlesien beständig der Zankapfel zwischen<lb/>
uns und Oestreich bleiben wird."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_315" next="#ID_316"> So blieben Preußen und das deutsche Reich neutral; Oestreich, Nußland<lb/>
und England führten den Krieg von 1799. Der Krieg brachte den Rastadter<lb/>
Congreß in Lebensgefahr, das Attentat aus die französischen Abgesandten, das<lb/>
zweien derselben das Leben kostete, sprengte ihn vollends. Leiter dieses Atten¬<lb/>
tats war ohne Zweifel der östreichische Commissär Lehrbach, Mitwisser des¬<lb/>
selben der östreichische Minister Thugut. Sie hofften einerseits durch die bei<lb/>
den französischen Gesandten vorgefundenen Actenstücke Baiern zu compromittiren<lb/>
und sie fürchteten andererseits, daß die wiener Politik durch Enthüllungen<lb/>
französischerseits compromittirt werde. Allein Baiern war klug genug, sich eng<lb/>
an Rußland anzuschließen und Thuguts Plan, Rußland auf Bayern zu Hetzen,<lb/>
scheiterte gründlich. Dieser Umstand entzweite die Verbündeten. Rußland trat<lb/>
von der Coalition zurück und die Waffen Oestreichs wurden dadurch gelähmt.<lb/>
Preußen in den Kampf gegen Frankreich hineinzuziehen, gelang nicht. Seel n be¬<lb/>
merkte damals: &#x201E;Wir leben in einem Zustande der Starrsucht, während man mit<lb/>
Nachdruck die Ruhe Europas auf den alten Grundlagen wiederherstellen konnte.<lb/>
Wir amüstren uns mit Kunststücken der militärischen Tanzmeisterei und Schneiderei;<lb/>
unser Staat hört auf, ein militärischer Staat zu sein und verwandelt sich in einen<lb/>
erercirenden und schreibenden." Der große Kurfürst hatte einst in ähnlicher Lage<lb/>
geäußert: &#x201E;Was neUtral sein heißt, habe ich schon erfahren: wenn man schon<lb/>
die besten Bedingungen hat, wird man doch übel tractirt; ich habe auch ver¬<lb/>
schworen, mein Leben lang nicht neutral zu sein und würde mein Gewissen<lb/>
damit beschweren." Diese Marime war vergessen, obgleich der Zeitpunkt zu<lb/>
handeln günstiger war als je.  Wenn nach den ersten Siegen der Verdün-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] zu entkräften." Gefahren von Frankreich droheten nicht; gegen dieselben könne man immer noch mit. Rußland, England und Oestreich Allianzen schließen. Nußland, das Land der Palastrevolutionen, „das sich für unüberwindlich halt, weil es Türken und Polen geschlagen, das seine Hilfsquellen für unerschöpf¬ lich ansieht, weil es soviel Geld haben kann, als Papier und Druckerschwärze im Lande sind, sei ein Verbündeter von sehr zweifelhaftem Werth. Oestreich sei der natürliche Feind Preußens; es suche Preußen nur in den Krieg zu ziehen, um es dann ebenso wie das deutsche Reich zu verlassen. Englands merkantiles Uebergewicht drücke schon jetzt fast genug auf Preußen: wie sollte es werden, wenn die Concurrenz Frankreichs und Hollands vollends ver¬ nichtet sei? Wir werden uns also nicht durch die eigennützigen Vorstellungen der bewaffneten Mächte verleiten lassen, unser wahres Interesse zu verkennen und ein Volk zu reizen, von welchem wir nichts zu fürchten, sondern alles bei Gelegenheit zu hoffen haben. Wir werden während des Krieges die strengste Neutralität beobachten, den allgemeinen Frieden abwarten, nie Verbindungen eingehen, aber nie vergessen, daß Schlesien beständig der Zankapfel zwischen uns und Oestreich bleiben wird." So blieben Preußen und das deutsche Reich neutral; Oestreich, Nußland und England führten den Krieg von 1799. Der Krieg brachte den Rastadter Congreß in Lebensgefahr, das Attentat aus die französischen Abgesandten, das zweien derselben das Leben kostete, sprengte ihn vollends. Leiter dieses Atten¬ tats war ohne Zweifel der östreichische Commissär Lehrbach, Mitwisser des¬ selben der östreichische Minister Thugut. Sie hofften einerseits durch die bei den französischen Gesandten vorgefundenen Actenstücke Baiern zu compromittiren und sie fürchteten andererseits, daß die wiener Politik durch Enthüllungen französischerseits compromittirt werde. Allein Baiern war klug genug, sich eng an Rußland anzuschließen und Thuguts Plan, Rußland auf Bayern zu Hetzen, scheiterte gründlich. Dieser Umstand entzweite die Verbündeten. Rußland trat von der Coalition zurück und die Waffen Oestreichs wurden dadurch gelähmt. Preußen in den Kampf gegen Frankreich hineinzuziehen, gelang nicht. Seel n be¬ merkte damals: „Wir leben in einem Zustande der Starrsucht, während man mit Nachdruck die Ruhe Europas auf den alten Grundlagen wiederherstellen konnte. Wir amüstren uns mit Kunststücken der militärischen Tanzmeisterei und Schneiderei; unser Staat hört auf, ein militärischer Staat zu sein und verwandelt sich in einen erercirenden und schreibenden." Der große Kurfürst hatte einst in ähnlicher Lage geäußert: „Was neUtral sein heißt, habe ich schon erfahren: wenn man schon die besten Bedingungen hat, wird man doch übel tractirt; ich habe auch ver¬ schworen, mein Leben lang nicht neutral zu sein und würde mein Gewissen damit beschweren." Diese Marime war vergessen, obgleich der Zeitpunkt zu handeln günstiger war als je. Wenn nach den ersten Siegen der Verdün-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/108
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/108>, abgerufen am 26.08.2024.