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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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weis hoher Unabhängigkeit, die man nicht aufgeben dürfe, um sich von Frank¬
reich oder der Koalition in'ö Schlepptau nehmen zu lassen. Kleinmüthige
Unentschlossenheit und Mangel an großstaatlichem Selbstvertrauen hieß ab¬
wartende Klugheit. So verscherzte Preußen das Vertrauen der einen, ohne
das der andern zu gewinnen. Als nun gar Sieyes die geheimen Bedingungen
von Campo Formio dem preußischen Cabinet mittheilte, war die mögliche
Schließung eines Bündnisses mit Oestreich im Keime erstickt. Sieyes schrieb an
Talleyrand: "Der König von Preußen faßt die schlechteste aller Entschließungen,
die, sich für keine zu entscheiden. Preußen will allein bleiben; das ist sehr
bequem für Frankreich: es kann während dieser preußischen Betäubung mit
den andern fertig werden. Mit Unrecht sagt man, Berlin sei der Mittelpunkt
der europäischen Unterhandlungen, die ganze Weisheit des berliner Hofes be¬
steht darin, mit Ausdauer und Hartnäckigkeit eine passive Rolle zu spielen."

Aber der britischen Politik gelang es, ein neues continentales Bündniß
gegen Frankreich zu Stande zu bringen. Kaiser Paul von Rußland, voll
aristokratischen Hasses gegen die Revolution und lebhaft durchdrungen von dem
Gefühle monarchischer Solidarität, rüstete mit ernsten Mitteln und Thaten.
Eine russische Armee war in Anmarsch, den Angriff der Oestreicher auf Italien
zu unterstützen. Oestreich ließ seine Truppen in Zweibrücken einrücken, das
von französischen Occupationsgelüsten bedrängt war. Neapel, dessen Königin
eine Schwester Marie Antoinettens und von wildem Hasse gegen das revolu¬
tionäre Frankreich erfüllt war, schlug in Süditalien los. Die französische Re¬
publik schwebte in größter Gefahr. Sie war von innern Parteiungen zerrissen
und ihr bester Feldherr, Bonaparte, mit dem Kern ihrer Truppen weilte in
Aeguptcn. Nur Preußen betheiligte sich nicht am Kampfe. Eifersucht gegen
Oestreich, finanzielle Bedrängniß, die Unentschlossenheit des Königs, die Kurz¬
sichtigkeit der Minister, auch die Kriegsunlust im Volke, das in dem ephemeren
faulen Frieden sich behaglich fühlte und Gefahren und Opfer scheute, alles
dies hielt es bei seiner Politik von 1795 fest. Ein letzter Versuch Englands,
Preußen zu thätiger Mitwirkung zu bestimmen, blieb erfolglos. Es ist aus
dieser Zeit ein handschriftliches Memoire "Ueber Preußens auswärtige Verhält¬
nisse im Jahre 1799", geschrieben im Januar 1799, erhalten. Es ist überaus
merkwürdig. Die J solirun g Preußens wird offen zugestanden, aber keines¬
wegs als ein Unglück angesehen. "Während sich Rußland durch seine Rü¬
stungen zur See und zu Lande schwächt, während Oestreich die Hilfsquellen,
die es noch hat, erschöpft, Frankreich aber in der Schweiz, in Italien und
gegen Holland beschäftigt ist, gewinnen wir Zeit, unsere Kräfte zu sammeln,
um jedem Angriff, er mag kommen, woher er wolle, mit Nachdruck zu
widerstehen. Es ist daher gut, daß wir keine Verbindungen haben, die uns
in den Fall setzen könnten, uns durch kostspielige Demonstrationen vor der Zeit


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weis hoher Unabhängigkeit, die man nicht aufgeben dürfe, um sich von Frank¬
reich oder der Koalition in'ö Schlepptau nehmen zu lassen. Kleinmüthige
Unentschlossenheit und Mangel an großstaatlichem Selbstvertrauen hieß ab¬
wartende Klugheit. So verscherzte Preußen das Vertrauen der einen, ohne
das der andern zu gewinnen. Als nun gar Sieyes die geheimen Bedingungen
von Campo Formio dem preußischen Cabinet mittheilte, war die mögliche
Schließung eines Bündnisses mit Oestreich im Keime erstickt. Sieyes schrieb an
Talleyrand: „Der König von Preußen faßt die schlechteste aller Entschließungen,
die, sich für keine zu entscheiden. Preußen will allein bleiben; das ist sehr
bequem für Frankreich: es kann während dieser preußischen Betäubung mit
den andern fertig werden. Mit Unrecht sagt man, Berlin sei der Mittelpunkt
der europäischen Unterhandlungen, die ganze Weisheit des berliner Hofes be¬
steht darin, mit Ausdauer und Hartnäckigkeit eine passive Rolle zu spielen."

Aber der britischen Politik gelang es, ein neues continentales Bündniß
gegen Frankreich zu Stande zu bringen. Kaiser Paul von Rußland, voll
aristokratischen Hasses gegen die Revolution und lebhaft durchdrungen von dem
Gefühle monarchischer Solidarität, rüstete mit ernsten Mitteln und Thaten.
Eine russische Armee war in Anmarsch, den Angriff der Oestreicher auf Italien
zu unterstützen. Oestreich ließ seine Truppen in Zweibrücken einrücken, das
von französischen Occupationsgelüsten bedrängt war. Neapel, dessen Königin
eine Schwester Marie Antoinettens und von wildem Hasse gegen das revolu¬
tionäre Frankreich erfüllt war, schlug in Süditalien los. Die französische Re¬
publik schwebte in größter Gefahr. Sie war von innern Parteiungen zerrissen
und ihr bester Feldherr, Bonaparte, mit dem Kern ihrer Truppen weilte in
Aeguptcn. Nur Preußen betheiligte sich nicht am Kampfe. Eifersucht gegen
Oestreich, finanzielle Bedrängniß, die Unentschlossenheit des Königs, die Kurz¬
sichtigkeit der Minister, auch die Kriegsunlust im Volke, das in dem ephemeren
faulen Frieden sich behaglich fühlte und Gefahren und Opfer scheute, alles
dies hielt es bei seiner Politik von 1795 fest. Ein letzter Versuch Englands,
Preußen zu thätiger Mitwirkung zu bestimmen, blieb erfolglos. Es ist aus
dieser Zeit ein handschriftliches Memoire „Ueber Preußens auswärtige Verhält¬
nisse im Jahre 1799", geschrieben im Januar 1799, erhalten. Es ist überaus
merkwürdig. Die J solirun g Preußens wird offen zugestanden, aber keines¬
wegs als ein Unglück angesehen. „Während sich Rußland durch seine Rü¬
stungen zur See und zu Lande schwächt, während Oestreich die Hilfsquellen,
die es noch hat, erschöpft, Frankreich aber in der Schweiz, in Italien und
gegen Holland beschäftigt ist, gewinnen wir Zeit, unsere Kräfte zu sammeln,
um jedem Angriff, er mag kommen, woher er wolle, mit Nachdruck zu
widerstehen. Es ist daher gut, daß wir keine Verbindungen haben, die uns
in den Fall setzen könnten, uns durch kostspielige Demonstrationen vor der Zeit


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[0107] weis hoher Unabhängigkeit, die man nicht aufgeben dürfe, um sich von Frank¬ reich oder der Koalition in'ö Schlepptau nehmen zu lassen. Kleinmüthige Unentschlossenheit und Mangel an großstaatlichem Selbstvertrauen hieß ab¬ wartende Klugheit. So verscherzte Preußen das Vertrauen der einen, ohne das der andern zu gewinnen. Als nun gar Sieyes die geheimen Bedingungen von Campo Formio dem preußischen Cabinet mittheilte, war die mögliche Schließung eines Bündnisses mit Oestreich im Keime erstickt. Sieyes schrieb an Talleyrand: „Der König von Preußen faßt die schlechteste aller Entschließungen, die, sich für keine zu entscheiden. Preußen will allein bleiben; das ist sehr bequem für Frankreich: es kann während dieser preußischen Betäubung mit den andern fertig werden. Mit Unrecht sagt man, Berlin sei der Mittelpunkt der europäischen Unterhandlungen, die ganze Weisheit des berliner Hofes be¬ steht darin, mit Ausdauer und Hartnäckigkeit eine passive Rolle zu spielen." Aber der britischen Politik gelang es, ein neues continentales Bündniß gegen Frankreich zu Stande zu bringen. Kaiser Paul von Rußland, voll aristokratischen Hasses gegen die Revolution und lebhaft durchdrungen von dem Gefühle monarchischer Solidarität, rüstete mit ernsten Mitteln und Thaten. Eine russische Armee war in Anmarsch, den Angriff der Oestreicher auf Italien zu unterstützen. Oestreich ließ seine Truppen in Zweibrücken einrücken, das von französischen Occupationsgelüsten bedrängt war. Neapel, dessen Königin eine Schwester Marie Antoinettens und von wildem Hasse gegen das revolu¬ tionäre Frankreich erfüllt war, schlug in Süditalien los. Die französische Re¬ publik schwebte in größter Gefahr. Sie war von innern Parteiungen zerrissen und ihr bester Feldherr, Bonaparte, mit dem Kern ihrer Truppen weilte in Aeguptcn. Nur Preußen betheiligte sich nicht am Kampfe. Eifersucht gegen Oestreich, finanzielle Bedrängniß, die Unentschlossenheit des Königs, die Kurz¬ sichtigkeit der Minister, auch die Kriegsunlust im Volke, das in dem ephemeren faulen Frieden sich behaglich fühlte und Gefahren und Opfer scheute, alles dies hielt es bei seiner Politik von 1795 fest. Ein letzter Versuch Englands, Preußen zu thätiger Mitwirkung zu bestimmen, blieb erfolglos. Es ist aus dieser Zeit ein handschriftliches Memoire „Ueber Preußens auswärtige Verhält¬ nisse im Jahre 1799", geschrieben im Januar 1799, erhalten. Es ist überaus merkwürdig. Die J solirun g Preußens wird offen zugestanden, aber keines¬ wegs als ein Unglück angesehen. „Während sich Rußland durch seine Rü¬ stungen zur See und zu Lande schwächt, während Oestreich die Hilfsquellen, die es noch hat, erschöpft, Frankreich aber in der Schweiz, in Italien und gegen Holland beschäftigt ist, gewinnen wir Zeit, unsere Kräfte zu sammeln, um jedem Angriff, er mag kommen, woher er wolle, mit Nachdruck zu widerstehen. Es ist daher gut, daß wir keine Verbindungen haben, die uns in den Fall setzen könnten, uns durch kostspielige Demonstrationen vor der Zeit 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/107>, abgerufen am 26.08.2024.