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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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4. April 1798 stimmte die Neichsfriedenödeputation bei. Nach einer Ver¬
handlung von drei Monaten hatten die Franzosen alle ihre Vorschläge durch¬
gesetzt.

Sie waren aber noch keineswegs befriedigt. Getreu ihrem Grundsatze:
Vss piceis, traten sie am 3. Mai mit neuen Forderungen auf. Die Nhein-
schifffahrt sollte freigegeben, alle Zölle aufgehoben, die Nheininseln sämmtlich
an Frankreich abgetreten, die Schulden der abgetretenen Landstriche auf die
Entschädigungsgebiete geworfen und den Franzosen alles überlassen werden,
was den Fürsten, Standen und der Reichsritterschast auf dem linken Rhein¬
ufer überhaupt zustand. Die Franzosen erwarteten eine schleunige Antwort:
"Die Zeit der Zögerungen sei vorüber." Unter dem 14. Mai erfolgte die Ant¬
wort. Sie war ablehnend. Die Reichsdeputation fand die Forderungen Frank¬
reichs "erschütternd." Bis zum December stritt man hierüber. Am 6. Decem¬
ber machten die Franzosen aus ihren Forderungen ein Ultimatum, das in
sechs Tagen unbedingt anzunehmen sei. Zugleich trieben sie auf dem rechten
Rheinufer große Kriegssteuern in Requisitionen mit unerbittlicher Härte bei'
Diese Taktik wirkte. Am 9. December 1798 wurde das Ultimatum vom Reiche
mit sieben gegen drei Stimmen angenommen.

Inzwischen hatte gegen Frankreich eine zweite Koalition sich gebildet.
Oestreich hatte weder in Baiern noch in Oberitalien erlangt, was es wollte.
Die Schweiz und die cisalpinische Republik blieben fortwährend von den
Franzosen besetzt. Das Vorschreiten derselben stellte immer mehr das Bestehen
der europäischen Ordnung in Frage. Sie suchten die Massen gegen ihre alten
Regierungen aufzuregen, durch revolutionäre Propaganda mitten im Frieden
das Werk des Krieges fortzusetzen, aus den zertrümmerten alten Staaten
Schattenrepubliken nach französischem Zuschnitte zu machen, die, außer Stande,
sich selbst zu erhalten, in der That nur französische Provinzen wurden. Schon
hatte Frankreich in der batavischen, cisalpinischen und ligurischen Republik sich
mit Schanzen umgeben, die es deckten und an Frankreich gebunden waren.
Jetzt schuf es auch zu demselben Zwecke eine "römische Republik" und um¬
wühlte die Schweiz. Unter diesen Umständen hatte Oestreich bereits am
19. Mai 1798 ein Bündniß mit Neapel geschlossen; es verständigte sich mit
Rußland und die britische Politik sparte kein Mittel, einen neuen Central-
krieg anzufachen. Es kam nur noch darauf an, Preußen zu gewinnen. Zu
dem Ende wurden von Rußland Fürst Repnin, von Oestreich Graf Kobenzl
Ende Juli 1798 nach Berlin gesendet. Die Coalitionspolitik daselbst zu be¬
kämpfen, Preußen zu einem engern Bündniß mit Frankreich zu bestimmen,
war die Aufgabe des französischen Abgesandten Sieyes. In Berlin galt noch
immer neutral sein sür die größte Weisheit in dem Weltconflict; in dem Ba-
lanciren zwischen den beiden sich bekämpfenden Principien sah man einen Be-


4. April 1798 stimmte die Neichsfriedenödeputation bei. Nach einer Ver¬
handlung von drei Monaten hatten die Franzosen alle ihre Vorschläge durch¬
gesetzt.

Sie waren aber noch keineswegs befriedigt. Getreu ihrem Grundsatze:
Vss piceis, traten sie am 3. Mai mit neuen Forderungen auf. Die Nhein-
schifffahrt sollte freigegeben, alle Zölle aufgehoben, die Nheininseln sämmtlich
an Frankreich abgetreten, die Schulden der abgetretenen Landstriche auf die
Entschädigungsgebiete geworfen und den Franzosen alles überlassen werden,
was den Fürsten, Standen und der Reichsritterschast auf dem linken Rhein¬
ufer überhaupt zustand. Die Franzosen erwarteten eine schleunige Antwort:
„Die Zeit der Zögerungen sei vorüber." Unter dem 14. Mai erfolgte die Ant¬
wort. Sie war ablehnend. Die Reichsdeputation fand die Forderungen Frank¬
reichs „erschütternd." Bis zum December stritt man hierüber. Am 6. Decem¬
ber machten die Franzosen aus ihren Forderungen ein Ultimatum, das in
sechs Tagen unbedingt anzunehmen sei. Zugleich trieben sie auf dem rechten
Rheinufer große Kriegssteuern in Requisitionen mit unerbittlicher Härte bei'
Diese Taktik wirkte. Am 9. December 1798 wurde das Ultimatum vom Reiche
mit sieben gegen drei Stimmen angenommen.

Inzwischen hatte gegen Frankreich eine zweite Koalition sich gebildet.
Oestreich hatte weder in Baiern noch in Oberitalien erlangt, was es wollte.
Die Schweiz und die cisalpinische Republik blieben fortwährend von den
Franzosen besetzt. Das Vorschreiten derselben stellte immer mehr das Bestehen
der europäischen Ordnung in Frage. Sie suchten die Massen gegen ihre alten
Regierungen aufzuregen, durch revolutionäre Propaganda mitten im Frieden
das Werk des Krieges fortzusetzen, aus den zertrümmerten alten Staaten
Schattenrepubliken nach französischem Zuschnitte zu machen, die, außer Stande,
sich selbst zu erhalten, in der That nur französische Provinzen wurden. Schon
hatte Frankreich in der batavischen, cisalpinischen und ligurischen Republik sich
mit Schanzen umgeben, die es deckten und an Frankreich gebunden waren.
Jetzt schuf es auch zu demselben Zwecke eine „römische Republik" und um¬
wühlte die Schweiz. Unter diesen Umständen hatte Oestreich bereits am
19. Mai 1798 ein Bündniß mit Neapel geschlossen; es verständigte sich mit
Rußland und die britische Politik sparte kein Mittel, einen neuen Central-
krieg anzufachen. Es kam nur noch darauf an, Preußen zu gewinnen. Zu
dem Ende wurden von Rußland Fürst Repnin, von Oestreich Graf Kobenzl
Ende Juli 1798 nach Berlin gesendet. Die Coalitionspolitik daselbst zu be¬
kämpfen, Preußen zu einem engern Bündniß mit Frankreich zu bestimmen,
war die Aufgabe des französischen Abgesandten Sieyes. In Berlin galt noch
immer neutral sein sür die größte Weisheit in dem Weltconflict; in dem Ba-
lanciren zwischen den beiden sich bekämpfenden Principien sah man einen Be-


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[0106] 4. April 1798 stimmte die Neichsfriedenödeputation bei. Nach einer Ver¬ handlung von drei Monaten hatten die Franzosen alle ihre Vorschläge durch¬ gesetzt. Sie waren aber noch keineswegs befriedigt. Getreu ihrem Grundsatze: Vss piceis, traten sie am 3. Mai mit neuen Forderungen auf. Die Nhein- schifffahrt sollte freigegeben, alle Zölle aufgehoben, die Nheininseln sämmtlich an Frankreich abgetreten, die Schulden der abgetretenen Landstriche auf die Entschädigungsgebiete geworfen und den Franzosen alles überlassen werden, was den Fürsten, Standen und der Reichsritterschast auf dem linken Rhein¬ ufer überhaupt zustand. Die Franzosen erwarteten eine schleunige Antwort: „Die Zeit der Zögerungen sei vorüber." Unter dem 14. Mai erfolgte die Ant¬ wort. Sie war ablehnend. Die Reichsdeputation fand die Forderungen Frank¬ reichs „erschütternd." Bis zum December stritt man hierüber. Am 6. Decem¬ ber machten die Franzosen aus ihren Forderungen ein Ultimatum, das in sechs Tagen unbedingt anzunehmen sei. Zugleich trieben sie auf dem rechten Rheinufer große Kriegssteuern in Requisitionen mit unerbittlicher Härte bei' Diese Taktik wirkte. Am 9. December 1798 wurde das Ultimatum vom Reiche mit sieben gegen drei Stimmen angenommen. Inzwischen hatte gegen Frankreich eine zweite Koalition sich gebildet. Oestreich hatte weder in Baiern noch in Oberitalien erlangt, was es wollte. Die Schweiz und die cisalpinische Republik blieben fortwährend von den Franzosen besetzt. Das Vorschreiten derselben stellte immer mehr das Bestehen der europäischen Ordnung in Frage. Sie suchten die Massen gegen ihre alten Regierungen aufzuregen, durch revolutionäre Propaganda mitten im Frieden das Werk des Krieges fortzusetzen, aus den zertrümmerten alten Staaten Schattenrepubliken nach französischem Zuschnitte zu machen, die, außer Stande, sich selbst zu erhalten, in der That nur französische Provinzen wurden. Schon hatte Frankreich in der batavischen, cisalpinischen und ligurischen Republik sich mit Schanzen umgeben, die es deckten und an Frankreich gebunden waren. Jetzt schuf es auch zu demselben Zwecke eine „römische Republik" und um¬ wühlte die Schweiz. Unter diesen Umständen hatte Oestreich bereits am 19. Mai 1798 ein Bündniß mit Neapel geschlossen; es verständigte sich mit Rußland und die britische Politik sparte kein Mittel, einen neuen Central- krieg anzufachen. Es kam nur noch darauf an, Preußen zu gewinnen. Zu dem Ende wurden von Rußland Fürst Repnin, von Oestreich Graf Kobenzl Ende Juli 1798 nach Berlin gesendet. Die Coalitionspolitik daselbst zu be¬ kämpfen, Preußen zu einem engern Bündniß mit Frankreich zu bestimmen, war die Aufgabe des französischen Abgesandten Sieyes. In Berlin galt noch immer neutral sein sür die größte Weisheit in dem Weltconflict; in dem Ba- lanciren zwischen den beiden sich bekämpfenden Principien sah man einen Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/106>, abgerufen am 26.08.2024.