Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.pfcriftber Kraft, allein er war wenigstens ehrlich in seiner eignen Empfindung. ,,Wir können nicht leugnen, daß über unsere Häupter eine gefährliche Welt- pfcriftber Kraft, allein er war wenigstens ehrlich in seiner eignen Empfindung. ,,Wir können nicht leugnen, daß über unsere Häupter eine gefährliche Welt- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97835"/> <p xml:id="ID_142" prev="#ID_141"> pfcriftber Kraft, allein er war wenigstens ehrlich in seiner eignen Empfindung.<lb/> Die Stimmung, die als eine vorübergehende in Deutschland wol begriffen werden<lb/> muß, trat bei ihm lebhafter und unbedingter hervor, als bei seinen Zeitgenossen:<lb/> dieses unglückselige Gefühl des Mangels an Kraft und Gestalt, das uach allen<lb/> Seiten hin eiferte und nirgend einen festen Halt gewann, weil es ihn in sich sel¬<lb/> ber nicht suchen durfte. Jmmeriuann erkannte auch den Grund dieser Stimmung<lb/> und gab ihm einen ernsten Ausdruck, zwar »icht in seinen Darstellungen, denn<lb/> dazu fehlte ihm das Talent, aber in seinen Reflexionen, die zuweilen von einer<lb/> schneidenden Schärfe sind; und mit einigen derselben, die er zwar verschiedenen<lb/> Personen in den Mund legt, in denen er aber eigentlich nur seine eigne An¬<lb/> schauung ausspricht, wollen wir diese Darstellung schließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_143"> ,,Wir können nicht leugnen, daß über unsere Häupter eine gefährliche Welt-<lb/> epvche hereingebrochen ist. Unglücks haben die Menschen zu allen Zeiten genng<lb/> gehabt; der Fluch des gegenwärtigen Geschlechts ist aber, sich anch ohne alles<lb/> besondere Leid »»selig zu fühlen. Ein ödes Wanken und Schwanken, ein lächer¬<lb/> liches Sichernststelleu und Zerstreutseiu, el» Haschen, man weiß nicht, wonach?<lb/> eine Furcht vor Schrecknissen, die um so unheimlicher sind, als sie keine Gestalt<lb/> haben!.....Man muß uoch zum Theil einer andern Periode angehört haben,<lb/> um den Gegensatz der Zeiten ganz empfinden zu können. Unsere Tageö-<lb/> schwätzer sehen mit großer Verachtung auf jenen Zustand Deutschlands, wie er<lb/> gegen das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts sich gebildet hatte und noch<lb/> eine Reihe von Jahren nachwirkte, herab. Er kommt ihnen schaal und dürftig<lb/> vor; aber sie irren sich. Freilich wußte» »ud triebe» die Meuscheu damals nicht<lb/> so vielerlei als jetzt; die Kreise, i» dene» sie sich bewegte», waren kleiner, aber<lb/> mau war mehr in seinem Kreise zu Hause, man trieb die Sache um der Sache<lb/> willen.... Wir sind, um in einem Wort das ganze Elend a'nsznsprechen', Epi¬<lb/> gonen, und tragen an der Last, die jeder Erb- und Nachgcl'oreuschaft anzukleben<lb/> pflegt. Die große Bewegung im Reiche des Geistes, welche unsere Väter von<lb/> ihren Hütten aus unternahmen, hat uns eine Menge vou Schätzen zugeführt,<lb/> welche nnn auf allen Markttischen aufliegen. Ohne sonderliche Anstrengung ver¬<lb/> mag anch die geringe Fähigkeit wenigstens die Scheidemünze jeder Kunst und<lb/> Wissenschaft zu erwerben. Aber es geht mit geborgten Ideen wie mit geborgten<lb/> Gelde; wer mit fremdem Gute leichtsinnig wirthschaftet, wird immer ärmer . . .<lb/> Für den windigsten Schein, für die, hohlsten Meinungen, für das leerste Herz<lb/> findet man überall mit leichter Mühe die geistreichsten, gehaltvollsten, kräftigsten<lb/> Redensarten. DaS alte schlichte „Ueberzeugung" ist deshalb auch aus der Mode<lb/> gekommen, und mau beliebt vou Ansichten zu rede». Aber auch damit sagt man<lb/> noch meistentheils eine Unwahrheit, denn in der Regel hat man nicht einmal die<lb/> Dinge angesehen, von dene» man redet und womit beschäftigt zu sein man vor-<lb/> Mj/i,'-n5— .IlMÜ'ete' t-Miwl.'M in N,dn?»N U'.l U'.s-'in,'^</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0055]
pfcriftber Kraft, allein er war wenigstens ehrlich in seiner eignen Empfindung.
Die Stimmung, die als eine vorübergehende in Deutschland wol begriffen werden
muß, trat bei ihm lebhafter und unbedingter hervor, als bei seinen Zeitgenossen:
dieses unglückselige Gefühl des Mangels an Kraft und Gestalt, das uach allen
Seiten hin eiferte und nirgend einen festen Halt gewann, weil es ihn in sich sel¬
ber nicht suchen durfte. Jmmeriuann erkannte auch den Grund dieser Stimmung
und gab ihm einen ernsten Ausdruck, zwar »icht in seinen Darstellungen, denn
dazu fehlte ihm das Talent, aber in seinen Reflexionen, die zuweilen von einer
schneidenden Schärfe sind; und mit einigen derselben, die er zwar verschiedenen
Personen in den Mund legt, in denen er aber eigentlich nur seine eigne An¬
schauung ausspricht, wollen wir diese Darstellung schließen.
,,Wir können nicht leugnen, daß über unsere Häupter eine gefährliche Welt-
epvche hereingebrochen ist. Unglücks haben die Menschen zu allen Zeiten genng
gehabt; der Fluch des gegenwärtigen Geschlechts ist aber, sich anch ohne alles
besondere Leid »»selig zu fühlen. Ein ödes Wanken und Schwanken, ein lächer¬
liches Sichernststelleu und Zerstreutseiu, el» Haschen, man weiß nicht, wonach?
eine Furcht vor Schrecknissen, die um so unheimlicher sind, als sie keine Gestalt
haben!.....Man muß uoch zum Theil einer andern Periode angehört haben,
um den Gegensatz der Zeiten ganz empfinden zu können. Unsere Tageö-
schwätzer sehen mit großer Verachtung auf jenen Zustand Deutschlands, wie er
gegen das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts sich gebildet hatte und noch
eine Reihe von Jahren nachwirkte, herab. Er kommt ihnen schaal und dürftig
vor; aber sie irren sich. Freilich wußte» »ud triebe» die Meuscheu damals nicht
so vielerlei als jetzt; die Kreise, i» dene» sie sich bewegte», waren kleiner, aber
mau war mehr in seinem Kreise zu Hause, man trieb die Sache um der Sache
willen.... Wir sind, um in einem Wort das ganze Elend a'nsznsprechen', Epi¬
gonen, und tragen an der Last, die jeder Erb- und Nachgcl'oreuschaft anzukleben
pflegt. Die große Bewegung im Reiche des Geistes, welche unsere Väter von
ihren Hütten aus unternahmen, hat uns eine Menge vou Schätzen zugeführt,
welche nnn auf allen Markttischen aufliegen. Ohne sonderliche Anstrengung ver¬
mag anch die geringe Fähigkeit wenigstens die Scheidemünze jeder Kunst und
Wissenschaft zu erwerben. Aber es geht mit geborgten Ideen wie mit geborgten
Gelde; wer mit fremdem Gute leichtsinnig wirthschaftet, wird immer ärmer . . .
Für den windigsten Schein, für die, hohlsten Meinungen, für das leerste Herz
findet man überall mit leichter Mühe die geistreichsten, gehaltvollsten, kräftigsten
Redensarten. DaS alte schlichte „Ueberzeugung" ist deshalb auch aus der Mode
gekommen, und mau beliebt vou Ansichten zu rede». Aber auch damit sagt man
noch meistentheils eine Unwahrheit, denn in der Regel hat man nicht einmal die
Dinge angesehen, von dene» man redet und womit beschäftigt zu sein man vor-
Mj/i,'-n5— .IlMÜ'ete' t-Miwl.'M in N,dn?»N U'.l U'.s-'in,'^
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