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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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an irgend eine bestimmte Aussicht anknüpfe". Aber die strebsame Jugend, die er
darstellt, ist wo möglich noch unerträglicher, als die Gegenwart, die sie bekämpft.
Wir wollen von den eigentlichen Demagogen absehen, die Immermann in der
Erinnerung an persönliche Conflicte gar zu fratzenhaft dargestellt hat und deren
Schicksal er mit unschönem Behage" ausmalt -- wie denn überhaupt die Satire
gegen bestimmte Persönlichkeiten in diesem Roman eine nicht sehr erfreuliche Aus¬
dehnung gewinnt -- aber anch sein Held, der ans der Höhe der Bildung steht und
wenigstens guten Wille" zeigen soll, ist von einer hoffnungslosen Unstetigkeit und
Haltlosigkeit. Sein Vorbild, Wilhelm Meister, stauiite "lit liebenswürdiger Naive¬
tät jede neue Erscheinung als etwas Schönes und Bedeutendes an, alles in der
Welt imponirte ihm; Hermann dagegen ist im 23. Jahre vollständig blasirt,
nichts macht einen bleibenden Eindruck auf ihn, er eWerimentirtw.it sich und an¬
dern auf eine höchst zwecklose Weise, findet sich dabei doch noch immer in neuen
Illusionen getäuscht, kurz, er ist ein ganz zweckloser Mensch, der keiner Entwicklung
fähig ist. Aus Nothbehelf läßt ihn der Dichter .eine.Zeitlang wahnsümig werden,
weil er sich einbildet, einen Incest begangen zu haben, dann heilt er ihn wieder
"ut verschafft ihm eine unermeßliche Erbschaft und eine liebenswürdige Frau.
Von innerer Motivirung und Symmetrie ist in diesen Ereignissen keine Rede. --
Ein anderer Schwärmer der Zukunft, Medon, ist eine ganz unsinnige Erfindung.
Er soll ein Fanatiker des Verstandes sein, der mit kalter Bosheit seinen Einfluß
auf die preußischen Staatsmänner dazu benutzt, die Auflösung der öffentlichen
Verhältnisse so weit als möglich zu treiben, um dadurch eine Revolution hervor¬
zurufen. K'er auf welche Weise er das durchsetzen will, erfährt man nicht; die
Mittel, die uns gezeigt werden, sind so abgeschmackt, und als sein Unternehmen
scheitert, benimmt er sich so jämmerlich weibisch, daß man nickt einmal Mitleid
fühlen kann. -- Vollends die angeblich hohen und schönen Seele", durch die
uns der Dichter z" tröste" sucht, sind so armselig und inhaltlos, daß wir nur
annehmen können, er habe sie als bloße Namen betrachtet, an die der Leser sei¬
nen Rest von Idealismus beliebig anknüpfen möge. Namentlich eine Johanna,
vor der alle Welt anbetend das Knie beugt und die nie anders als mit dem
Prädicat die "hohe" erwähut wird, ist so blaß gemalt und beträgt sich in dem
Wenigen, was wirklich erzählt wird, so nüchtern prosaisch und uninteressant, daß
wir an der Begeisterung des Dichters ganz irre werden.

Fragt man uns nnn, wie dieser Roman, der als Kunstwerk die absoluteste
Verwerfung verdient -- denn auch die äußere Form ist bei den fortwährenden
Reminiscenzen an Goethe, Jean Paul und Tieck, die uicht im geringsten zu ein¬
ander stimmen, höchst unerquicklich -- dennoch mit einem gewissen Recht die Auf¬
merksamkeit des deutscheu Publicums ans sich ziehe" konnte, so dürfte der Grund
in folgendem z" suchen sein. Immermann litt zwar auch im allgemeinen an der
Krankheit der Zeit, an ungemessenem Schöpfungstrieb bei sehr beschränkter schö-


an irgend eine bestimmte Aussicht anknüpfe». Aber die strebsame Jugend, die er
darstellt, ist wo möglich noch unerträglicher, als die Gegenwart, die sie bekämpft.
Wir wollen von den eigentlichen Demagogen absehen, die Immermann in der
Erinnerung an persönliche Conflicte gar zu fratzenhaft dargestellt hat und deren
Schicksal er mit unschönem Behage» ausmalt — wie denn überhaupt die Satire
gegen bestimmte Persönlichkeiten in diesem Roman eine nicht sehr erfreuliche Aus¬
dehnung gewinnt — aber anch sein Held, der ans der Höhe der Bildung steht und
wenigstens guten Wille» zeigen soll, ist von einer hoffnungslosen Unstetigkeit und
Haltlosigkeit. Sein Vorbild, Wilhelm Meister, stauiite »lit liebenswürdiger Naive¬
tät jede neue Erscheinung als etwas Schönes und Bedeutendes an, alles in der
Welt imponirte ihm; Hermann dagegen ist im 23. Jahre vollständig blasirt,
nichts macht einen bleibenden Eindruck auf ihn, er eWerimentirtw.it sich und an¬
dern auf eine höchst zwecklose Weise, findet sich dabei doch noch immer in neuen
Illusionen getäuscht, kurz, er ist ein ganz zweckloser Mensch, der keiner Entwicklung
fähig ist. Aus Nothbehelf läßt ihn der Dichter .eine.Zeitlang wahnsümig werden,
weil er sich einbildet, einen Incest begangen zu haben, dann heilt er ihn wieder
»ut verschafft ihm eine unermeßliche Erbschaft und eine liebenswürdige Frau.
Von innerer Motivirung und Symmetrie ist in diesen Ereignissen keine Rede. —
Ein anderer Schwärmer der Zukunft, Medon, ist eine ganz unsinnige Erfindung.
Er soll ein Fanatiker des Verstandes sein, der mit kalter Bosheit seinen Einfluß
auf die preußischen Staatsmänner dazu benutzt, die Auflösung der öffentlichen
Verhältnisse so weit als möglich zu treiben, um dadurch eine Revolution hervor¬
zurufen. K'er auf welche Weise er das durchsetzen will, erfährt man nicht; die
Mittel, die uns gezeigt werden, sind so abgeschmackt, und als sein Unternehmen
scheitert, benimmt er sich so jämmerlich weibisch, daß man nickt einmal Mitleid
fühlen kann. — Vollends die angeblich hohen und schönen Seele», durch die
uns der Dichter z» tröste» sucht, sind so armselig und inhaltlos, daß wir nur
annehmen können, er habe sie als bloße Namen betrachtet, an die der Leser sei¬
nen Rest von Idealismus beliebig anknüpfen möge. Namentlich eine Johanna,
vor der alle Welt anbetend das Knie beugt und die nie anders als mit dem
Prädicat die „hohe" erwähut wird, ist so blaß gemalt und beträgt sich in dem
Wenigen, was wirklich erzählt wird, so nüchtern prosaisch und uninteressant, daß
wir an der Begeisterung des Dichters ganz irre werden.

Fragt man uns nnn, wie dieser Roman, der als Kunstwerk die absoluteste
Verwerfung verdient — denn auch die äußere Form ist bei den fortwährenden
Reminiscenzen an Goethe, Jean Paul und Tieck, die uicht im geringsten zu ein¬
ander stimmen, höchst unerquicklich — dennoch mit einem gewissen Recht die Auf¬
merksamkeit des deutscheu Publicums ans sich ziehe» konnte, so dürfte der Grund
in folgendem z» suchen sein. Immermann litt zwar auch im allgemeinen an der
Krankheit der Zeit, an ungemessenem Schöpfungstrieb bei sehr beschränkter schö-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/53>, abgerufen am 22.12.2024.