Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.schieden aussprach. Aber sein ironisch-tragisches Geschick erreicht ihn auch hier.
Und diese finstern Empfindungen färben trotz der angstvollen Thätigkeit, Faust hatte seinen Bildungskreis nicht vollendet, er weder in seinem Den¬
schieden aussprach. Aber sein ironisch-tragisches Geschick erreicht ihn auch hier.
Und diese finstern Empfindungen färben trotz der angstvollen Thätigkeit, Faust hatte seinen Bildungskreis nicht vollendet, er weder in seinem Den¬
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98284"/> <p xml:id="ID_1615" prev="#ID_1614"> schieden aussprach. Aber sein ironisch-tragisches Geschick erreicht ihn auch hier.<lb/> Das Geräusch, in welchem der blinde Faust die Art der rüstigen Handwerker<lb/> zu hören glaubte, die Deiche gegen das Meer aufrichten und Mastbäume<lb/> sür die Schiffe schlagen, war-nur der Spaten schlotternder Lemuren, die sein<lb/> Grab gruben. Es war der deutschen Dichtung nicht vorbehalten, prophetisch<lb/> der neuen Zeit ihre Bahn anzuweisen; sie blickte wol in das gelobte Land der<lb/> Freiheit hinüber, aber sie konnte es nicht erreichen. Sie starb, als man die<lb/> Segel aufzog. Gern hätte der Dichter in der Mitte freier Männer dem neuen<lb/> Leben Bahn gebrochen, aber'seine Träume verwirrten ihn. Er konnte die Ro¬<lb/> mantik, die ihre düstern Schwingen über seine goldne Zeit verbreitet, nicht los¬<lb/> werden, sich nicht ins Freie kämpfen.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_28" type="poem"> <l> Könnt' ich Magie von meinem Pfad'> entfernen,<lb/> Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,<lb/> Stand' ich Natur! vor dir ein Mann allein,<lb/> Da wärs der Mühe werth, ein Mensch zu sei«.<lb/> Das war ich sonst, eh' ichs im Düstern suchte,<lb/> 'Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.<lb/> Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,<lb/> Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.<lb/> Wenn auch ein Tag uns klar, vernünftig lacht,<lb/> In Traumgespinnst verwickelt uns die Nacht n- f. w.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1616"> Und diese finstern Empfindungen färben trotz der angstvollen Thätigkeit,<lb/> mit der er ans Licht, ins Freie hinaufzubringen strebt, die Dichtung seines<lb/> Alters — nicht sein Leben; denn er war bis in sein höchstes Alter die schöne,<lb/> den Göttern ähnliche Gestalt, die im eignen harmonischen Dasein die fehlende<lb/> Wirklichkeit zu ersetzen wußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1617"> Faust hatte seinen Bildungskreis nicht vollendet, er weder in seinem Den¬<lb/> ken noch in seinem Gefühl den Schritt gethan hätte, den die Zeit thun mußte,<lb/> um sich zu erlösen: daß nur in einem Gattungsleben die Seligkeit'sei, daß nur<lb/> in einem bestimmten gegliederten Ganzen der Einzelne dem Dasein gerecht<lb/> wird. Faust war beim Cultus des individuellen Lebens stehen geblieben.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_29" type="poem"> <l> Ich bin mir durch die Welt gerannt;<lb/> '<lb/> Ein jed Gelüst ergriff ich bei den Haaren,<lb/> Was nicht genügte, ließ ich fahren,<lb/> Was mir entwischte, ließ ich zieh».<lb/> Ich habe nur begehrt und nur vollbracht, -<lb/> Und abermals gewünscht, und so mit Macht<lb/> Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig;<lb/> Nun aber geht es weise, geht bedächtig-<lb/> Der Erdenkreis ist mir genug bekannt,<lb/> Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;<lb/> Thor! wer dorthin die Augen blinzend richtet,<lb/> Sich über Wolken seines Gleichen dichtet!<lb/> Er stehe fest und sehe hier finis um;<lb/> Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm- .<lb/></l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0504]
schieden aussprach. Aber sein ironisch-tragisches Geschick erreicht ihn auch hier.
Das Geräusch, in welchem der blinde Faust die Art der rüstigen Handwerker
zu hören glaubte, die Deiche gegen das Meer aufrichten und Mastbäume
sür die Schiffe schlagen, war-nur der Spaten schlotternder Lemuren, die sein
Grab gruben. Es war der deutschen Dichtung nicht vorbehalten, prophetisch
der neuen Zeit ihre Bahn anzuweisen; sie blickte wol in das gelobte Land der
Freiheit hinüber, aber sie konnte es nicht erreichen. Sie starb, als man die
Segel aufzog. Gern hätte der Dichter in der Mitte freier Männer dem neuen
Leben Bahn gebrochen, aber'seine Träume verwirrten ihn. Er konnte die Ro¬
mantik, die ihre düstern Schwingen über seine goldne Zeit verbreitet, nicht los¬
werden, sich nicht ins Freie kämpfen.
Könnt' ich Magie von meinem Pfad'> entfernen,
Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
Stand' ich Natur! vor dir ein Mann allein,
Da wärs der Mühe werth, ein Mensch zu sei«.
Das war ich sonst, eh' ichs im Düstern suchte,
'Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.
Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,
Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.
Wenn auch ein Tag uns klar, vernünftig lacht,
In Traumgespinnst verwickelt uns die Nacht n- f. w.
Und diese finstern Empfindungen färben trotz der angstvollen Thätigkeit,
mit der er ans Licht, ins Freie hinaufzubringen strebt, die Dichtung seines
Alters — nicht sein Leben; denn er war bis in sein höchstes Alter die schöne,
den Göttern ähnliche Gestalt, die im eignen harmonischen Dasein die fehlende
Wirklichkeit zu ersetzen wußte.
Faust hatte seinen Bildungskreis nicht vollendet, er weder in seinem Den¬
ken noch in seinem Gefühl den Schritt gethan hätte, den die Zeit thun mußte,
um sich zu erlösen: daß nur in einem Gattungsleben die Seligkeit'sei, daß nur
in einem bestimmten gegliederten Ganzen der Einzelne dem Dasein gerecht
wird. Faust war beim Cultus des individuellen Lebens stehen geblieben.
Ich bin mir durch die Welt gerannt;
'
Ein jed Gelüst ergriff ich bei den Haaren,
Was nicht genügte, ließ ich fahren,
Was mir entwischte, ließ ich zieh».
Ich habe nur begehrt und nur vollbracht, -
Und abermals gewünscht, und so mit Macht
Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig;
Nun aber geht es weise, geht bedächtig-
Der Erdenkreis ist mir genug bekannt,
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Thor! wer dorthin die Augen blinzend richtet,
Sich über Wolken seines Gleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier finis um;
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm- .
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