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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Behörden mit Jnjurienprocessen und Verurteilung der Verleumder. Es
half nichts, daß ein "Disciplinarverfahren" den Syndikus Flottwell (Sohn des
Ministers), aus dem Amte entfernte, daß man Phillipps in der Polizeiverwal-
tung durch einen königlichen Beamten ersetzte, daß dieser in seinem Eiser für
Elbings Rettung weder vor Collisionen mit den Landesgesetzen noch vor dem
verhängnißvollen Schritte "vom Erhabenen zum Lächerlichen" kleinmüthig zu¬
rückschreckte. Eine Verurtheilung des Neuen Anzeigers war trotz aller Confis¬
cationen nicht zu erlangen, gänzlicher Mangel an Formfehlern in den Acten
der städtischen Behörden setzte Wernichs und seiner Auftraggeber Geduld auf
die unbilligste Probe, die Finanzen der Stadt erfreuten sich einer impertinenten
Gesundheit, der Gesellenverein blühte, eine neu gegründete Bürgerressource machte
für den gesannnten Mittelstand ein anständiges Concert oder Tanzvergnügen
zu einer Art Privilegium der Frauen und Töchter "demokratisch" wählender
Bürger -- Elbing schien der "Demokratie" unwiderruflich verfallen. Da er¬
barmte sich unser die Regierung zu Gumbinnen.

Eine förmliche Kriegserklärung gegen den bodenlos verderbten Sinn der
Stadt Elbing bezeichnete im Herbst den Amtsantritt des Negierungsrathö
von Seltzer. Dann sollte die Unterdrückung des "Neuen Anzeigers" und ein
consequent organisirtes System vorerst einen Wahlsieg der "Conservativen"
und damit die Waffe sür alle künftigen Maßnahmen schaffen. Man entzog
besonders mißliebigen Personen die Gewerbsconcessionen und bedrohte die
übrigen in directester Weise. Polizeidiener eolportirten die Wahlzettel,
von Seltzer selbst assistirte der Wahlcommisston und -- eine gänzliche Niederlage
der "Conservativen" überzeugte ihn, daß er sich vor der Hand in Elbing geirrt.
Aber das Talent läßt sich durch Schwierigkeiten nicht schrecken. Der Gesellen¬
verein ward aufgehoben, die Bürgerressource verlor das Recht, einen Restaura¬
teur zu halten, wer zur freisinnigen Partei zählte, erhielt, abgesehen von der
Verweigerung der Gewerbsconcession, nicht einmal eine Paßkarte und mußte
auf jeder Reise endloser Plackereien gewärtig sein, der Preußenverein wurde
reorganisirt und durch commandirte Beamte und concessionsbedürstige Gewerb-
treibende verstärkt. Und dem wohlunterhaltener Gewehrfeuer dieser leichten
Truppen gab das schwere Geschütz eines zu künstlerischer Vollendung gehobenen
Denunciationssystems den gehörigen "moralischen" Nachdruck. -- Es wäre hier
der Ort, dem Redacteur des "Königsberger Freimüthigen", Emil Linden-
berg, jetzt Herausgeber der westphälischen Patriotischen Zeitung in Minden,
ein Gedächtniß zu stiften, wenn die Aufzählung der Antecedentien dieses Chor-
sührers unsrer wohlgesinnten Provinzialpresse sich irgendwie mit den preußischen
Jnjuriengesetzen vertrüge. Fast keine Woche verging, ohne daß Lindenberg in Elbing
irgend eine Verrätherei der "Umsturzpartei", eine freche Pflichtverletzung eines
"demokratischen" Beamten, einen Schandfleck in dem Privatleben eines dito


Behörden mit Jnjurienprocessen und Verurteilung der Verleumder. Es
half nichts, daß ein „Disciplinarverfahren" den Syndikus Flottwell (Sohn des
Ministers), aus dem Amte entfernte, daß man Phillipps in der Polizeiverwal-
tung durch einen königlichen Beamten ersetzte, daß dieser in seinem Eiser für
Elbings Rettung weder vor Collisionen mit den Landesgesetzen noch vor dem
verhängnißvollen Schritte „vom Erhabenen zum Lächerlichen" kleinmüthig zu¬
rückschreckte. Eine Verurtheilung des Neuen Anzeigers war trotz aller Confis¬
cationen nicht zu erlangen, gänzlicher Mangel an Formfehlern in den Acten
der städtischen Behörden setzte Wernichs und seiner Auftraggeber Geduld auf
die unbilligste Probe, die Finanzen der Stadt erfreuten sich einer impertinenten
Gesundheit, der Gesellenverein blühte, eine neu gegründete Bürgerressource machte
für den gesannnten Mittelstand ein anständiges Concert oder Tanzvergnügen
zu einer Art Privilegium der Frauen und Töchter „demokratisch" wählender
Bürger — Elbing schien der „Demokratie" unwiderruflich verfallen. Da er¬
barmte sich unser die Regierung zu Gumbinnen.

Eine förmliche Kriegserklärung gegen den bodenlos verderbten Sinn der
Stadt Elbing bezeichnete im Herbst den Amtsantritt des Negierungsrathö
von Seltzer. Dann sollte die Unterdrückung des „Neuen Anzeigers" und ein
consequent organisirtes System vorerst einen Wahlsieg der „Conservativen"
und damit die Waffe sür alle künftigen Maßnahmen schaffen. Man entzog
besonders mißliebigen Personen die Gewerbsconcessionen und bedrohte die
übrigen in directester Weise. Polizeidiener eolportirten die Wahlzettel,
von Seltzer selbst assistirte der Wahlcommisston und — eine gänzliche Niederlage
der „Conservativen" überzeugte ihn, daß er sich vor der Hand in Elbing geirrt.
Aber das Talent läßt sich durch Schwierigkeiten nicht schrecken. Der Gesellen¬
verein ward aufgehoben, die Bürgerressource verlor das Recht, einen Restaura¬
teur zu halten, wer zur freisinnigen Partei zählte, erhielt, abgesehen von der
Verweigerung der Gewerbsconcession, nicht einmal eine Paßkarte und mußte
auf jeder Reise endloser Plackereien gewärtig sein, der Preußenverein wurde
reorganisirt und durch commandirte Beamte und concessionsbedürstige Gewerb-
treibende verstärkt. Und dem wohlunterhaltener Gewehrfeuer dieser leichten
Truppen gab das schwere Geschütz eines zu künstlerischer Vollendung gehobenen
Denunciationssystems den gehörigen „moralischen" Nachdruck. — Es wäre hier
der Ort, dem Redacteur des „Königsberger Freimüthigen", Emil Linden-
berg, jetzt Herausgeber der westphälischen Patriotischen Zeitung in Minden,
ein Gedächtniß zu stiften, wenn die Aufzählung der Antecedentien dieses Chor-
sührers unsrer wohlgesinnten Provinzialpresse sich irgendwie mit den preußischen
Jnjuriengesetzen vertrüge. Fast keine Woche verging, ohne daß Lindenberg in Elbing
irgend eine Verrätherei der „Umsturzpartei", eine freche Pflichtverletzung eines
„demokratischen" Beamten, einen Schandfleck in dem Privatleben eines dito


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[0464] Behörden mit Jnjurienprocessen und Verurteilung der Verleumder. Es half nichts, daß ein „Disciplinarverfahren" den Syndikus Flottwell (Sohn des Ministers), aus dem Amte entfernte, daß man Phillipps in der Polizeiverwal- tung durch einen königlichen Beamten ersetzte, daß dieser in seinem Eiser für Elbings Rettung weder vor Collisionen mit den Landesgesetzen noch vor dem verhängnißvollen Schritte „vom Erhabenen zum Lächerlichen" kleinmüthig zu¬ rückschreckte. Eine Verurtheilung des Neuen Anzeigers war trotz aller Confis¬ cationen nicht zu erlangen, gänzlicher Mangel an Formfehlern in den Acten der städtischen Behörden setzte Wernichs und seiner Auftraggeber Geduld auf die unbilligste Probe, die Finanzen der Stadt erfreuten sich einer impertinenten Gesundheit, der Gesellenverein blühte, eine neu gegründete Bürgerressource machte für den gesannnten Mittelstand ein anständiges Concert oder Tanzvergnügen zu einer Art Privilegium der Frauen und Töchter „demokratisch" wählender Bürger — Elbing schien der „Demokratie" unwiderruflich verfallen. Da er¬ barmte sich unser die Regierung zu Gumbinnen. Eine förmliche Kriegserklärung gegen den bodenlos verderbten Sinn der Stadt Elbing bezeichnete im Herbst den Amtsantritt des Negierungsrathö von Seltzer. Dann sollte die Unterdrückung des „Neuen Anzeigers" und ein consequent organisirtes System vorerst einen Wahlsieg der „Conservativen" und damit die Waffe sür alle künftigen Maßnahmen schaffen. Man entzog besonders mißliebigen Personen die Gewerbsconcessionen und bedrohte die übrigen in directester Weise. Polizeidiener eolportirten die Wahlzettel, von Seltzer selbst assistirte der Wahlcommisston und — eine gänzliche Niederlage der „Conservativen" überzeugte ihn, daß er sich vor der Hand in Elbing geirrt. Aber das Talent läßt sich durch Schwierigkeiten nicht schrecken. Der Gesellen¬ verein ward aufgehoben, die Bürgerressource verlor das Recht, einen Restaura¬ teur zu halten, wer zur freisinnigen Partei zählte, erhielt, abgesehen von der Verweigerung der Gewerbsconcession, nicht einmal eine Paßkarte und mußte auf jeder Reise endloser Plackereien gewärtig sein, der Preußenverein wurde reorganisirt und durch commandirte Beamte und concessionsbedürstige Gewerb- treibende verstärkt. Und dem wohlunterhaltener Gewehrfeuer dieser leichten Truppen gab das schwere Geschütz eines zu künstlerischer Vollendung gehobenen Denunciationssystems den gehörigen „moralischen" Nachdruck. — Es wäre hier der Ort, dem Redacteur des „Königsberger Freimüthigen", Emil Linden- berg, jetzt Herausgeber der westphälischen Patriotischen Zeitung in Minden, ein Gedächtniß zu stiften, wenn die Aufzählung der Antecedentien dieses Chor- sührers unsrer wohlgesinnten Provinzialpresse sich irgendwie mit den preußischen Jnjuriengesetzen vertrüge. Fast keine Woche verging, ohne daß Lindenberg in Elbing irgend eine Verrätherei der „Umsturzpartei", eine freche Pflichtverletzung eines „demokratischen" Beamten, einen Schandfleck in dem Privatleben eines dito

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/463>, abgerufen am 23.07.2024.