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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Bürgers zu enthüllen hatte. Natürlich klagten die Verleumdeten, und Linden¬
berg wurde regelmäßig verurtheilt, aber ebenso regelmäßig begnadigt. Mit
diesen öffentlichen Schmähungen hielten die von der Polizei veranlaßten und
ermuthigter heimlichen Denunciationen gleichen Schritt, und ein unglücklicher
Zufall trug viel dazu bei,, dem ganzen System allerhöchsten Orts die beabsich¬
tigte Wirkung zu sichern. Es war noch im Herbst 1862, als die Bahnstrecke
von Marienburg bis Königsberg durch die Minister von Westphalen und von
der Heydt dem Verkehr übergeben "iurde. Eine städtische Deputation lud die
hohen Reisenden zu einem Frühstück ein, sah sich aber kurz und frostig abge-
fertigt und in die harte Nothwendigkeit versetzt, das auf zahlreiche und vor¬
nehme Gäste berechnete Zweckessen selbst zu verzehren. Man zog sich nach
Kräften aus der Sache, die einmal anwesenden Musikanten blieben hinter dem
allgemeinen Diensteifer nicht zurück und bei der so und sovielten Flasche ent¬
strömten ihren Hörnern und Klarinetten inmitten eines Potpourris die schick¬
salsschweren Klänge der Marseillaise. Lindenberg sorgte sür gehörige Colportirung,
und künstlerische Verarbeitung der Thatsachen und am ersten August -1853
mußten wir es denn erleben, daß uns der entscheidende Schlag angekün¬
digt wurde.

Bald darauf ward Phillippö officiell zu Verleugnung seiner 1848
ausgesprochenen Ueberzeugungen aufgefordert. Er weigerte sich und erhielt
als besondern Lohn seiner ehrend anerkannten, vortrefflichen Amtsführung
die Erlaubniß, einer "Disciplinaruntersuchung" durch freiwilligen Rücktritt
zuvorzukommen. Sie erlassen es mir wol, die Stimmung zu.schildern, in der
wir den geprüften und redlich erfundenen Freund in der Noth von uns scheiden sa¬
hen. Ueber solche Dinge muß Gras wachsen, ehe sichs gut davon plaudert. Dann
folgte die Auslösung der Stadtverordneten. Eine Commission, aus ihrer sorg¬
sam ausgesuchten, "wohlgesinnten" Minorität bestehend, verwaltete bis zur
nächsten Wahl die Geschäfte. Allen Beamten und Lehrern ward officiell ver¬
boten, gegen die Kandidaten der Polizei zu stimmen, die Einschüchterungen u.ut
Maßregelungen emancipirten sich von den letzten Rücksichten, und so gelang
denn endlich, nach trotzdem sehr schwerem Wahlkampse, das lange Er¬
strebte. Elbing nahm seinen Platz ein in der Reihe der bußfertigen
und gebesserter Städte der Monarchie. Seine Vertreter haben ihre Wirk¬
samkeit mit Ersetzung des genialen Stadtkämmerers Kohlz durch, einen Feld¬
webel, sowie durch Verweigerung der Mittel für nothwendige öffentliche Bauten
eröffnet, ihr fast mehr als christlich germanischer Eifer für Verkümmerung des
Schulwesens hat sie selbst mit dem neupreußisch reorganistrten Magistrat in mehrfache
Collisionen gebracht und wenn die Ereignisse nicht nächstens auch hier, wie
auf größeren Schauplätzen, dem Verstände der Menschen zu Hilfe kommen, so
dürfte Elbing seine Rettung von den Greueln der "Demokratie" und die


Grenzboten. II. ->8si. 38

Bürgers zu enthüllen hatte. Natürlich klagten die Verleumdeten, und Linden¬
berg wurde regelmäßig verurtheilt, aber ebenso regelmäßig begnadigt. Mit
diesen öffentlichen Schmähungen hielten die von der Polizei veranlaßten und
ermuthigter heimlichen Denunciationen gleichen Schritt, und ein unglücklicher
Zufall trug viel dazu bei,, dem ganzen System allerhöchsten Orts die beabsich¬
tigte Wirkung zu sichern. Es war noch im Herbst 1862, als die Bahnstrecke
von Marienburg bis Königsberg durch die Minister von Westphalen und von
der Heydt dem Verkehr übergeben »iurde. Eine städtische Deputation lud die
hohen Reisenden zu einem Frühstück ein, sah sich aber kurz und frostig abge-
fertigt und in die harte Nothwendigkeit versetzt, das auf zahlreiche und vor¬
nehme Gäste berechnete Zweckessen selbst zu verzehren. Man zog sich nach
Kräften aus der Sache, die einmal anwesenden Musikanten blieben hinter dem
allgemeinen Diensteifer nicht zurück und bei der so und sovielten Flasche ent¬
strömten ihren Hörnern und Klarinetten inmitten eines Potpourris die schick¬
salsschweren Klänge der Marseillaise. Lindenberg sorgte sür gehörige Colportirung,
und künstlerische Verarbeitung der Thatsachen und am ersten August -1853
mußten wir es denn erleben, daß uns der entscheidende Schlag angekün¬
digt wurde.

Bald darauf ward Phillippö officiell zu Verleugnung seiner 1848
ausgesprochenen Ueberzeugungen aufgefordert. Er weigerte sich und erhielt
als besondern Lohn seiner ehrend anerkannten, vortrefflichen Amtsführung
die Erlaubniß, einer „Disciplinaruntersuchung" durch freiwilligen Rücktritt
zuvorzukommen. Sie erlassen es mir wol, die Stimmung zu.schildern, in der
wir den geprüften und redlich erfundenen Freund in der Noth von uns scheiden sa¬
hen. Ueber solche Dinge muß Gras wachsen, ehe sichs gut davon plaudert. Dann
folgte die Auslösung der Stadtverordneten. Eine Commission, aus ihrer sorg¬
sam ausgesuchten, „wohlgesinnten" Minorität bestehend, verwaltete bis zur
nächsten Wahl die Geschäfte. Allen Beamten und Lehrern ward officiell ver¬
boten, gegen die Kandidaten der Polizei zu stimmen, die Einschüchterungen u.ut
Maßregelungen emancipirten sich von den letzten Rücksichten, und so gelang
denn endlich, nach trotzdem sehr schwerem Wahlkampse, das lange Er¬
strebte. Elbing nahm seinen Platz ein in der Reihe der bußfertigen
und gebesserter Städte der Monarchie. Seine Vertreter haben ihre Wirk¬
samkeit mit Ersetzung des genialen Stadtkämmerers Kohlz durch, einen Feld¬
webel, sowie durch Verweigerung der Mittel für nothwendige öffentliche Bauten
eröffnet, ihr fast mehr als christlich germanischer Eifer für Verkümmerung des
Schulwesens hat sie selbst mit dem neupreußisch reorganistrten Magistrat in mehrfache
Collisionen gebracht und wenn die Ereignisse nicht nächstens auch hier, wie
auf größeren Schauplätzen, dem Verstände der Menschen zu Hilfe kommen, so
dürfte Elbing seine Rettung von den Greueln der „Demokratie" und die


Grenzboten. II. ->8si. 38
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[0465] Bürgers zu enthüllen hatte. Natürlich klagten die Verleumdeten, und Linden¬ berg wurde regelmäßig verurtheilt, aber ebenso regelmäßig begnadigt. Mit diesen öffentlichen Schmähungen hielten die von der Polizei veranlaßten und ermuthigter heimlichen Denunciationen gleichen Schritt, und ein unglücklicher Zufall trug viel dazu bei,, dem ganzen System allerhöchsten Orts die beabsich¬ tigte Wirkung zu sichern. Es war noch im Herbst 1862, als die Bahnstrecke von Marienburg bis Königsberg durch die Minister von Westphalen und von der Heydt dem Verkehr übergeben »iurde. Eine städtische Deputation lud die hohen Reisenden zu einem Frühstück ein, sah sich aber kurz und frostig abge- fertigt und in die harte Nothwendigkeit versetzt, das auf zahlreiche und vor¬ nehme Gäste berechnete Zweckessen selbst zu verzehren. Man zog sich nach Kräften aus der Sache, die einmal anwesenden Musikanten blieben hinter dem allgemeinen Diensteifer nicht zurück und bei der so und sovielten Flasche ent¬ strömten ihren Hörnern und Klarinetten inmitten eines Potpourris die schick¬ salsschweren Klänge der Marseillaise. Lindenberg sorgte sür gehörige Colportirung, und künstlerische Verarbeitung der Thatsachen und am ersten August -1853 mußten wir es denn erleben, daß uns der entscheidende Schlag angekün¬ digt wurde. Bald darauf ward Phillippö officiell zu Verleugnung seiner 1848 ausgesprochenen Ueberzeugungen aufgefordert. Er weigerte sich und erhielt als besondern Lohn seiner ehrend anerkannten, vortrefflichen Amtsführung die Erlaubniß, einer „Disciplinaruntersuchung" durch freiwilligen Rücktritt zuvorzukommen. Sie erlassen es mir wol, die Stimmung zu.schildern, in der wir den geprüften und redlich erfundenen Freund in der Noth von uns scheiden sa¬ hen. Ueber solche Dinge muß Gras wachsen, ehe sichs gut davon plaudert. Dann folgte die Auslösung der Stadtverordneten. Eine Commission, aus ihrer sorg¬ sam ausgesuchten, „wohlgesinnten" Minorität bestehend, verwaltete bis zur nächsten Wahl die Geschäfte. Allen Beamten und Lehrern ward officiell ver¬ boten, gegen die Kandidaten der Polizei zu stimmen, die Einschüchterungen u.ut Maßregelungen emancipirten sich von den letzten Rücksichten, und so gelang denn endlich, nach trotzdem sehr schwerem Wahlkampse, das lange Er¬ strebte. Elbing nahm seinen Platz ein in der Reihe der bußfertigen und gebesserter Städte der Monarchie. Seine Vertreter haben ihre Wirk¬ samkeit mit Ersetzung des genialen Stadtkämmerers Kohlz durch, einen Feld¬ webel, sowie durch Verweigerung der Mittel für nothwendige öffentliche Bauten eröffnet, ihr fast mehr als christlich germanischer Eifer für Verkümmerung des Schulwesens hat sie selbst mit dem neupreußisch reorganistrten Magistrat in mehrfache Collisionen gebracht und wenn die Ereignisse nicht nächstens auch hier, wie auf größeren Schauplätzen, dem Verstände der Menschen zu Hilfe kommen, so dürfte Elbing seine Rettung von den Greueln der „Demokratie" und die Grenzboten. II. ->8si. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/464>, abgerufen am 01.10.2024.