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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Sender bis auf diese Stunde jene an alle Innungen und Gewerke erlassene
Aufforderung zur Formulirung ihrer besondern Desidcria und Einreichung ihrer
Verbesserungsvorschläge ansehen. Es hieß das, den kaum vereinigten Strom der
nationalen Erhebung recht geflissentlich wieder in die tausend Bäche der kleinen,
kurzsichtigen Privatinteressen zersplittern. So war es freilich kein Wunder, wenn
unsre Bürgerversammluugcn Fragen erörterten, wie "Was haben die Weber¬
gesellen von der Revolution zu erwarten?" "Was wird die Freiheit den Flick¬
schustern helfen?" wenn die reiche Hansestadt Danzig, einst für sich allein eine
stattliche Seemacht, "um Frieden mit Dänemark um jeden Preis" petitionirte,
und wenn die von jeder großen Katastrophe unzertrennliche Stockung der Ge¬
schäfte den Massen bald als schlagender Beweis gegen die erstrebten und ver¬
heißenen Fortschritte galt. Hier in Elbing hielt der bessere Mittelstand sich
noch leidlich. Die Blockade hat in unsren "Demokraten" die Sympathien für
Schlesivig-Holstein auch nicht einen Augenblick erkalten lassen. Aber das ist
auch die einzige wohlthuende Erinnerung aus unsrem Parteileben während des
verhängnißvollen Sommers. Im übrigen mildert höchstens noch der Humor
unsrer Bürgerwehr und ihres mannhaften Führers Nimplcr (Bruder des Ber¬
liner Bürgerwehrgenerals) durch einen freundlichen Lichtblick die düstern Farben
des unerfreulichen Bildes. Es war etwas werth, ihn hinaufrücken zu sehen
auf stattlichem Roß, "bis in der Tonne Spundloch suchend die Seifenblase
Ruhm." Auch die Sitzungen des Offiziercorps waren nicht zu verachten, zur.
Zeit, da man drei Monate lang über die Nothwendigkeit der Schießübungen
pro et ovMia unterhandelte und die Sache zuletzt aufgab, wegen "der Unmög¬
lichkeit, die Patronen mit polizeimäßiger Sicherheit gegen Feuersgefahr" zu ver¬
wahren, und als einst in einer Generalversammlung mehre Meister und Bürger
ihre unregelmäßige Theilnahme an den Uebungen mit der dringenden Gefahr
entschuldigten, beim Nachhausegehen von Gassenjungen um des Gewehrs willen
geprügelt oder gar todtgeschlagen zu werden, da konnte wirklich kein fühlendes
Herz den Familientugenden dieser sorglichen Hausväter seine Achtung versagen.
-- Doch selbst diese letzten Reste vormärzlicher Gemüthlichkeit sollten ihr Ende
finden. Der -13. October. war vor der Thür. Die Reaction organisirte die
Gewerke zu einer Massendemonstration im schwarz-weißen Sinne. In der
Bürgerwehr war man. getheilter Ansicht. Gemäßigte Schwarz-Weiße und
Schwarz-Roth-Goldene geriethen hart aneinander, bis jemand auf den Einfall
gerieth, Rimpler solle erst den König und dann den Reichsverweser hoch leben
lassen. -- Bei verhängnißvoll freundlichem Nevolutionswetter versammelte sich
die Bürgerwehr auf dem Hofe des Gymnasiums; die Gewerke, die reaktionären
Beamten und Offiziere in der deutschen Ressource. Die ganze Bevölkerung
war auf den Beinen, darunter Bassermannsche Gestalten in hagelneuen schwarz¬
weißen Cocarden, es fielen Drohungen, aber Parade und Festzug gingen gleich-


Sender bis auf diese Stunde jene an alle Innungen und Gewerke erlassene
Aufforderung zur Formulirung ihrer besondern Desidcria und Einreichung ihrer
Verbesserungsvorschläge ansehen. Es hieß das, den kaum vereinigten Strom der
nationalen Erhebung recht geflissentlich wieder in die tausend Bäche der kleinen,
kurzsichtigen Privatinteressen zersplittern. So war es freilich kein Wunder, wenn
unsre Bürgerversammluugcn Fragen erörterten, wie „Was haben die Weber¬
gesellen von der Revolution zu erwarten?" „Was wird die Freiheit den Flick¬
schustern helfen?" wenn die reiche Hansestadt Danzig, einst für sich allein eine
stattliche Seemacht, „um Frieden mit Dänemark um jeden Preis" petitionirte,
und wenn die von jeder großen Katastrophe unzertrennliche Stockung der Ge¬
schäfte den Massen bald als schlagender Beweis gegen die erstrebten und ver¬
heißenen Fortschritte galt. Hier in Elbing hielt der bessere Mittelstand sich
noch leidlich. Die Blockade hat in unsren „Demokraten" die Sympathien für
Schlesivig-Holstein auch nicht einen Augenblick erkalten lassen. Aber das ist
auch die einzige wohlthuende Erinnerung aus unsrem Parteileben während des
verhängnißvollen Sommers. Im übrigen mildert höchstens noch der Humor
unsrer Bürgerwehr und ihres mannhaften Führers Nimplcr (Bruder des Ber¬
liner Bürgerwehrgenerals) durch einen freundlichen Lichtblick die düstern Farben
des unerfreulichen Bildes. Es war etwas werth, ihn hinaufrücken zu sehen
auf stattlichem Roß, „bis in der Tonne Spundloch suchend die Seifenblase
Ruhm." Auch die Sitzungen des Offiziercorps waren nicht zu verachten, zur.
Zeit, da man drei Monate lang über die Nothwendigkeit der Schießübungen
pro et ovMia unterhandelte und die Sache zuletzt aufgab, wegen „der Unmög¬
lichkeit, die Patronen mit polizeimäßiger Sicherheit gegen Feuersgefahr" zu ver¬
wahren, und als einst in einer Generalversammlung mehre Meister und Bürger
ihre unregelmäßige Theilnahme an den Uebungen mit der dringenden Gefahr
entschuldigten, beim Nachhausegehen von Gassenjungen um des Gewehrs willen
geprügelt oder gar todtgeschlagen zu werden, da konnte wirklich kein fühlendes
Herz den Familientugenden dieser sorglichen Hausväter seine Achtung versagen.
— Doch selbst diese letzten Reste vormärzlicher Gemüthlichkeit sollten ihr Ende
finden. Der -13. October. war vor der Thür. Die Reaction organisirte die
Gewerke zu einer Massendemonstration im schwarz-weißen Sinne. In der
Bürgerwehr war man. getheilter Ansicht. Gemäßigte Schwarz-Weiße und
Schwarz-Roth-Goldene geriethen hart aneinander, bis jemand auf den Einfall
gerieth, Rimpler solle erst den König und dann den Reichsverweser hoch leben
lassen. — Bei verhängnißvoll freundlichem Nevolutionswetter versammelte sich
die Bürgerwehr auf dem Hofe des Gymnasiums; die Gewerke, die reaktionären
Beamten und Offiziere in der deutschen Ressource. Die ganze Bevölkerung
war auf den Beinen, darunter Bassermannsche Gestalten in hagelneuen schwarz¬
weißen Cocarden, es fielen Drohungen, aber Parade und Festzug gingen gleich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/461>, abgerufen am 26.08.2024.