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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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wohlhabenden Mittelclasse angehören, führt den Gegenbeweis. Wir haben hier
eine Partei, der die Ereignisse der letzten Jahre die Augen geöffnet haben über
die Nothwendigkeit einer unabhängigen Rechtspflege, localer Selbstregierung,
höherer Bildung für Mittelclassen und Volk. Man findet in ihr eine rege
Theilnahme am Gemeindeleben, Opferfähigkeit für allgemeine Interessen, wenn
man sie recht nachdrücklich an ihre Pflicht erinnert, auch wohl eine gewisse
Theilnahme sür Fragen der höheren Politik, die jedoch bei wenigen über das
Bedürfniß des "Gesprächs an Sonn- und Feiertagen" hinausgeht. Diese
"Demokraten" steuerten ziemlich reichlich -für Schleswig-Holstein und sür die
geächteten Mitglieder der Frankfurter Versammlung, sie gaben Männern des
linken Centrums ihre Wahlstimme, sie kauften eifrig verbotene Bücher, lasen
sie auch wol, hörten öffentliche Vorträge über Geschichte und dergleichen,
waren aus jede nicht ganz nothwendige Einmischung der Polizei in Ge¬
meinde- und Privatsachen sehr übel zu sprechen (solange nämlich Ruhe
und Ordnung herrschte), schwärmten mehr oder weniger für Schwarz-
Roth-Gold, die deutsche Kaiserkrone auf Friedrich Wilhelms IV. Haupt
und sür die deutsche Flotte, und bekennen sich sammt und sonders zu gründ¬
lichem Russenhaß (obwol ich in diesem Stücke den Seifensiedern und Cvlonial-
waarenhändlern nicht recht traue). Aber Sympathien für Barrikadenbau, Be¬
gründung der deutschen Republik auf den Trümmern der 33 Throne, "Recht
auf Arbeit" und Gütergemeinschaft darf man bei ihnen nicht suchen. -- Ihnen
gegenüber erzeugte sich nun der Zorn unsrer "conservativen Partei" hauptsächlich
aus der gestörten Behaglichkeit eines schwerfälligen, von der Zeit überholten
PsahlbürgerthumS, hin und wieder verstärkt durch die hochmüthige Abneigung
des Alt-Elbinger Patriciers gegen die "zugezogene" Intelligenz. Das Mi߬
trauen des noch sehr wenig gebildeten gemeinen Mannes gegen jede Neuerung,
das Monopol der altpreußischen Stichwörter "Gott, König und Vaterland"
gewährte ihr Einfluß auf die Massen, einige' persönlich ehrenwerthe lauclatoro"
tömporls avei, aufrichtige Vertreter der altpreußischen Unterthanentreue, mußten
nöthigenfalls die moralischen Blößen der Führer decken*) -- und eine Clique
Persönlich gereizter Ehrgeiziger (darunter zwei Renegaten die schlimmsten), wu߬
ten die königlichen Behörden in ihr Interesse zu ziehen und schließlich die höch¬
sten Staatsgewalten zu unmittelbar persönlicher Action auf das Schlachtfeld
dieses Froschmäuselerkrieges zu führen.

Als einen der schiefsten Schritte des Ministeriums Auerswald muß Ein-



.Einer von diesen Männern hatte sich schon leidlich mit der Zcitbewcguug versöhnt, als
im October t8i8 eine reactionäre Pöbelrotte dein einer geraubten Bürgenvchrmuskete nach¬
spürenden das rechte Auge ausschlug. Die Folge war fanatische Hingebung dieses Normal-
deutschen an die Partei, die ihn geschlagen. Denn, dachte er, ohne die Revolution gäbe es in
Elbiug keine Demokraten, ohne Demokraten keine Reactionäre -- ohne diese hätte ich mein
Auge noch, also -- nieder mit der Demokratie! --

wohlhabenden Mittelclasse angehören, führt den Gegenbeweis. Wir haben hier
eine Partei, der die Ereignisse der letzten Jahre die Augen geöffnet haben über
die Nothwendigkeit einer unabhängigen Rechtspflege, localer Selbstregierung,
höherer Bildung für Mittelclassen und Volk. Man findet in ihr eine rege
Theilnahme am Gemeindeleben, Opferfähigkeit für allgemeine Interessen, wenn
man sie recht nachdrücklich an ihre Pflicht erinnert, auch wohl eine gewisse
Theilnahme sür Fragen der höheren Politik, die jedoch bei wenigen über das
Bedürfniß des „Gesprächs an Sonn- und Feiertagen" hinausgeht. Diese
„Demokraten" steuerten ziemlich reichlich -für Schleswig-Holstein und sür die
geächteten Mitglieder der Frankfurter Versammlung, sie gaben Männern des
linken Centrums ihre Wahlstimme, sie kauften eifrig verbotene Bücher, lasen
sie auch wol, hörten öffentliche Vorträge über Geschichte und dergleichen,
waren aus jede nicht ganz nothwendige Einmischung der Polizei in Ge¬
meinde- und Privatsachen sehr übel zu sprechen (solange nämlich Ruhe
und Ordnung herrschte), schwärmten mehr oder weniger für Schwarz-
Roth-Gold, die deutsche Kaiserkrone auf Friedrich Wilhelms IV. Haupt
und sür die deutsche Flotte, und bekennen sich sammt und sonders zu gründ¬
lichem Russenhaß (obwol ich in diesem Stücke den Seifensiedern und Cvlonial-
waarenhändlern nicht recht traue). Aber Sympathien für Barrikadenbau, Be¬
gründung der deutschen Republik auf den Trümmern der 33 Throne, „Recht
auf Arbeit" und Gütergemeinschaft darf man bei ihnen nicht suchen. — Ihnen
gegenüber erzeugte sich nun der Zorn unsrer „conservativen Partei" hauptsächlich
aus der gestörten Behaglichkeit eines schwerfälligen, von der Zeit überholten
PsahlbürgerthumS, hin und wieder verstärkt durch die hochmüthige Abneigung
des Alt-Elbinger Patriciers gegen die „zugezogene" Intelligenz. Das Mi߬
trauen des noch sehr wenig gebildeten gemeinen Mannes gegen jede Neuerung,
das Monopol der altpreußischen Stichwörter „Gott, König und Vaterland"
gewährte ihr Einfluß auf die Massen, einige' persönlich ehrenwerthe lauclatoro«
tömporls avei, aufrichtige Vertreter der altpreußischen Unterthanentreue, mußten
nöthigenfalls die moralischen Blößen der Führer decken*) — und eine Clique
Persönlich gereizter Ehrgeiziger (darunter zwei Renegaten die schlimmsten), wu߬
ten die königlichen Behörden in ihr Interesse zu ziehen und schließlich die höch¬
sten Staatsgewalten zu unmittelbar persönlicher Action auf das Schlachtfeld
dieses Froschmäuselerkrieges zu führen.

Als einen der schiefsten Schritte des Ministeriums Auerswald muß Ein-



.Einer von diesen Männern hatte sich schon leidlich mit der Zcitbewcguug versöhnt, als
im October t8i8 eine reactionäre Pöbelrotte dein einer geraubten Bürgenvchrmuskete nach¬
spürenden das rechte Auge ausschlug. Die Folge war fanatische Hingebung dieses Normal-
deutschen an die Partei, die ihn geschlagen. Denn, dachte er, ohne die Revolution gäbe es in
Elbiug keine Demokraten, ohne Demokraten keine Reactionäre — ohne diese hätte ich mein
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[0461] wohlhabenden Mittelclasse angehören, führt den Gegenbeweis. Wir haben hier eine Partei, der die Ereignisse der letzten Jahre die Augen geöffnet haben über die Nothwendigkeit einer unabhängigen Rechtspflege, localer Selbstregierung, höherer Bildung für Mittelclassen und Volk. Man findet in ihr eine rege Theilnahme am Gemeindeleben, Opferfähigkeit für allgemeine Interessen, wenn man sie recht nachdrücklich an ihre Pflicht erinnert, auch wohl eine gewisse Theilnahme sür Fragen der höheren Politik, die jedoch bei wenigen über das Bedürfniß des „Gesprächs an Sonn- und Feiertagen" hinausgeht. Diese „Demokraten" steuerten ziemlich reichlich -für Schleswig-Holstein und sür die geächteten Mitglieder der Frankfurter Versammlung, sie gaben Männern des linken Centrums ihre Wahlstimme, sie kauften eifrig verbotene Bücher, lasen sie auch wol, hörten öffentliche Vorträge über Geschichte und dergleichen, waren aus jede nicht ganz nothwendige Einmischung der Polizei in Ge¬ meinde- und Privatsachen sehr übel zu sprechen (solange nämlich Ruhe und Ordnung herrschte), schwärmten mehr oder weniger für Schwarz- Roth-Gold, die deutsche Kaiserkrone auf Friedrich Wilhelms IV. Haupt und sür die deutsche Flotte, und bekennen sich sammt und sonders zu gründ¬ lichem Russenhaß (obwol ich in diesem Stücke den Seifensiedern und Cvlonial- waarenhändlern nicht recht traue). Aber Sympathien für Barrikadenbau, Be¬ gründung der deutschen Republik auf den Trümmern der 33 Throne, „Recht auf Arbeit" und Gütergemeinschaft darf man bei ihnen nicht suchen. — Ihnen gegenüber erzeugte sich nun der Zorn unsrer „conservativen Partei" hauptsächlich aus der gestörten Behaglichkeit eines schwerfälligen, von der Zeit überholten PsahlbürgerthumS, hin und wieder verstärkt durch die hochmüthige Abneigung des Alt-Elbinger Patriciers gegen die „zugezogene" Intelligenz. Das Mi߬ trauen des noch sehr wenig gebildeten gemeinen Mannes gegen jede Neuerung, das Monopol der altpreußischen Stichwörter „Gott, König und Vaterland" gewährte ihr Einfluß auf die Massen, einige' persönlich ehrenwerthe lauclatoro« tömporls avei, aufrichtige Vertreter der altpreußischen Unterthanentreue, mußten nöthigenfalls die moralischen Blößen der Führer decken*) — und eine Clique Persönlich gereizter Ehrgeiziger (darunter zwei Renegaten die schlimmsten), wu߬ ten die königlichen Behörden in ihr Interesse zu ziehen und schließlich die höch¬ sten Staatsgewalten zu unmittelbar persönlicher Action auf das Schlachtfeld dieses Froschmäuselerkrieges zu führen. Als einen der schiefsten Schritte des Ministeriums Auerswald muß Ein- .Einer von diesen Männern hatte sich schon leidlich mit der Zcitbewcguug versöhnt, als im October t8i8 eine reactionäre Pöbelrotte dein einer geraubten Bürgenvchrmuskete nach¬ spürenden das rechte Auge ausschlug. Die Folge war fanatische Hingebung dieses Normal- deutschen an die Partei, die ihn geschlagen. Denn, dachte er, ohne die Revolution gäbe es in Elbiug keine Demokraten, ohne Demokraten keine Reactionäre — ohne diese hätte ich mein Auge noch, also — nieder mit der Demokratie! —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/460>, abgerufen am 22.12.2024.