Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.gern mit zitternder Stimme die erste Proclamation des Königs mittheilte -- Man darf die Elbinger Verhältnisse nicht nach den Kunstausdrücken und gern mit zitternder Stimme die erste Proclamation des Königs mittheilte — Man darf die Elbinger Verhältnisse nicht nach den Kunstausdrücken und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98240"/> <p xml:id="ID_1458" prev="#ID_1457"> gern mit zitternder Stimme die erste Proclamation des Königs mittheilte —<lb/> dann A. Wernich, als begeisterter Vertheidiger des Sieges, „des Rechts über<lb/> das Unrecht" — dann der Fieberparorysmus Angesichts des „Extrablattes der<lb/> Freude" — die freiwilligen Beisteuern von Gerichtsdirectoren, Kasinomajorö<lb/> und Regierungsräthen für die Barrikadenkämpfer — mächtige schwarz-roth¬<lb/> goldene Cocarden zum Theil über münchhausisch ergrünenden Gesichtern und<lb/> schlotternden Knien — dieser Antheil Elbings an den Phantasmagorien des<lb/> „tollen Jahres" ist doch nur eine Wiederholung mehr von dem, was damals<lb/> von Berlin bis Vaduz jedes deutsche Menschenkind vor seines Vaters Thür<lb/> mit eignen Augen hat sehen tonnen. Eine glänzende Todtenfeier, bestehend<lb/> aus gesenkten Fahnen., paradirender Bürgerwehr, tricolor beschleiften Frauen<lb/> und Jungfrauen, Reden und Hurrahrufen bildete bei uns den ominösen<lb/> Schlußact unsrer Vermählung mit der barrikadengebornen Freiheit und ein<lb/> feierlicher, durch Herrn A. Wernich eingebrachter, von den Stadtverordneten<lb/> adoptirter Antrag auf schleunige Wiederherstellung Polens gab der nun alles<lb/> für möglich haltenden Hoffnungsseligkeit den bündigsten Ausdruck. „Jetzt<lb/> ist Polen offen," sagt der Elbinger noch immer, sobald ein unverhofftes Glück<lb/> ihm begegnet. — Dann folgten die Wahlen. Wernich hatte Philipps für<lb/> Frankfurt, seine eigne Persönlichkeit sür Berlin designirt. Leider dachten die<lb/> Wahlmänner anders. Sie schickten Philipps nach Berlin und, aus Opposition<lb/> gegen „die Stadtherrn", einen sonst ganz verständigen, aber politisch indifferenten<lb/> Gutsbesitzer nach Frankfurt. Zum Ueberfluß brach die neue Preßfreiheit das<lb/> Monopol der „Elbinger Anzeigen." Der von dem später bekannt gewordenen<lb/> Publicisten W. Rogge (dem Verfasser der „Parlamentarischen Größen") redigirte<lb/> „Volköbote" predigte den Elbingern mit mehr Feuer und Talent als Sach- und<lb/> Personenkenntniß das Evangelium der radicalen Verwaltungsreform und fing<lb/> an, sich Leser zu verschaffen. — Das war mehr, als man einem alten Prak¬<lb/> tiker der wohlmeinenden Opposition bieten durfte. Herr Wernich hatte seinen<lb/> Tag von Damaskus. Er schwärmte successiv für Beschränkung des Wahlrechts,<lb/> für eine „starke Regierung", insonderheit in Preßsachen, für Frieden mit Däne¬<lb/> mark, Freundschaft mit Rußland, Vermehrung des Heeres, schließlich für Ab¬<lb/> setzung des „unmöglich gewordenen" Philipps. In den Spalten seines Blattes<lb/> lasen die „Gutgesinnten" wöchentlich zweimal mit Entsetzen das „demokratische"<lb/> Evangelium der Vernichtung des Eigenthums, des Vaterlandes, des Königs<lb/> und der Elbinger Anzeigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1459" next="#ID_1460"> Man darf die Elbinger Verhältnisse nicht nach den Kunstausdrücken und<lb/> Stich Wörtern beurtheilen, welche die hiesigen Parteien der deutschen und euro¬<lb/> päischen Bewegung entlehnt haben. Wer hier Demokraten suchte, im Sinne<lb/> der süddeutschen, rheinischen und sächsischen, der würde sich gröblich irren.<lb/> Schon der Umstand, daß die altpreußischen „Demokraten" fast durchgängig der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0460]
gern mit zitternder Stimme die erste Proclamation des Königs mittheilte —
dann A. Wernich, als begeisterter Vertheidiger des Sieges, „des Rechts über
das Unrecht" — dann der Fieberparorysmus Angesichts des „Extrablattes der
Freude" — die freiwilligen Beisteuern von Gerichtsdirectoren, Kasinomajorö
und Regierungsräthen für die Barrikadenkämpfer — mächtige schwarz-roth¬
goldene Cocarden zum Theil über münchhausisch ergrünenden Gesichtern und
schlotternden Knien — dieser Antheil Elbings an den Phantasmagorien des
„tollen Jahres" ist doch nur eine Wiederholung mehr von dem, was damals
von Berlin bis Vaduz jedes deutsche Menschenkind vor seines Vaters Thür
mit eignen Augen hat sehen tonnen. Eine glänzende Todtenfeier, bestehend
aus gesenkten Fahnen., paradirender Bürgerwehr, tricolor beschleiften Frauen
und Jungfrauen, Reden und Hurrahrufen bildete bei uns den ominösen
Schlußact unsrer Vermählung mit der barrikadengebornen Freiheit und ein
feierlicher, durch Herrn A. Wernich eingebrachter, von den Stadtverordneten
adoptirter Antrag auf schleunige Wiederherstellung Polens gab der nun alles
für möglich haltenden Hoffnungsseligkeit den bündigsten Ausdruck. „Jetzt
ist Polen offen," sagt der Elbinger noch immer, sobald ein unverhofftes Glück
ihm begegnet. — Dann folgten die Wahlen. Wernich hatte Philipps für
Frankfurt, seine eigne Persönlichkeit sür Berlin designirt. Leider dachten die
Wahlmänner anders. Sie schickten Philipps nach Berlin und, aus Opposition
gegen „die Stadtherrn", einen sonst ganz verständigen, aber politisch indifferenten
Gutsbesitzer nach Frankfurt. Zum Ueberfluß brach die neue Preßfreiheit das
Monopol der „Elbinger Anzeigen." Der von dem später bekannt gewordenen
Publicisten W. Rogge (dem Verfasser der „Parlamentarischen Größen") redigirte
„Volköbote" predigte den Elbingern mit mehr Feuer und Talent als Sach- und
Personenkenntniß das Evangelium der radicalen Verwaltungsreform und fing
an, sich Leser zu verschaffen. — Das war mehr, als man einem alten Prak¬
tiker der wohlmeinenden Opposition bieten durfte. Herr Wernich hatte seinen
Tag von Damaskus. Er schwärmte successiv für Beschränkung des Wahlrechts,
für eine „starke Regierung", insonderheit in Preßsachen, für Frieden mit Däne¬
mark, Freundschaft mit Rußland, Vermehrung des Heeres, schließlich für Ab¬
setzung des „unmöglich gewordenen" Philipps. In den Spalten seines Blattes
lasen die „Gutgesinnten" wöchentlich zweimal mit Entsetzen das „demokratische"
Evangelium der Vernichtung des Eigenthums, des Vaterlandes, des Königs
und der Elbinger Anzeigen.
Man darf die Elbinger Verhältnisse nicht nach den Kunstausdrücken und
Stich Wörtern beurtheilen, welche die hiesigen Parteien der deutschen und euro¬
päischen Bewegung entlehnt haben. Wer hier Demokraten suchte, im Sinne
der süddeutschen, rheinischen und sächsischen, der würde sich gröblich irren.
Schon der Umstand, daß die altpreußischen „Demokraten" fast durchgängig der
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