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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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durch bestimmtere Hinweisung auf das zu erreichende Ziel unter den von den
deutschen Regierungen ausgegangenen und auf die orientalische Frage bezüg¬
lichen Ackerstücken eine sehr hervorragende Stelle ein. Die Politik, welche
unter dem Motto: was gehen uns die Türken an? bei den Ereignissen im
Orient nur eine sehr entfernte Beziehung auf Deutschland zu erblicken ver¬
mochte und demgemäß die Neutralität Deutschlands für einen Act der Weisheit
hielt, scheint hier fast ip ihr Gegentheil umgewandelt. Oestreich und Preußen
erkennen nicht blos an, daß der Streit zwischen Nußland und der Pforte "die
allgemeinen Interessen Europas und also auch die der eignen Staaten berührt";
sondern sie räumen ein, daß er innerhalb der Machtsphäre Deutschlands Ge¬
fahren herbeigeführt hat, welche die speciellen Interessen Deutschlands be¬
drohen, daß die Uebergriffe. Rußlands eine directe Verletzung Deutschlands in
politischer, moralischer und materieller Hinsicht involviren.

Das ist ein bedeutungsvolles Zugeständnis^, aus dessen klarer Formulirung
sich Folgerungen ergeben, die weit über die Stipulationen des östreichisch-preu¬
ßischen Vertrags hinausgehen. Ist es nach solchen Prämissen gerechtfertigt zu
warten, bis die Russen die Donaufürstenthümer incorporiren oder den Balkan
angreifen? kann es als genügend betrachtet werden, daß einer der contrahirenden
Theile, wenn Nußland die Fürstentümer nicht räumt, "Maßregeln trifft" und
der andere ihn deckt? ist es nicht vielmehr ein Gebot der Ehre und der Selbst¬
vertheidigung, daß beide Staaten den Feind, der gewaltsam in "den Kreis ihrer
Macht" eingedrungen ist, mit vereinter Kraft vertreiben? Wenn die Auf¬
fassung, die in der Mittheilung niedergelegt ist, auch nicht in positiven Ver¬
pflichtungen Gestalt gewonnen hat, so liegt in ihr doch eine Macht der Wahr¬
heit, vor der die Unzulänglichkeit zaghafter Vertragsclauseln sich früher oder
später beugen wird, und es ist ein Fortschritt, daß wir den deutschen Regierungen
diesen Spiegel ihrer eignen Erklärung vorhalten können.




Briefe Ifflands an den Freiherrn v. Dalberg.

Als im Jahre -1778 der Ku fürst Karl Theodor von Mannheim seine Residenz nach
München verlegte, und die bisher blühende Stadt aller.Hilfsmittel ihres Glanzes n"d Wohl¬
standes beraubt war, schlug der Freiherr Wolfgang Heribert von Dalberg, damals
Vicepräsideut der Kammer, dem Minister von Hompesch vor, ma" solle, um Mannheim zu
heben, entweder die Universität von.Heidelberg dahin übersiedeln, oder eine angemessene
Summe bewilligen, um durch öffentliche Vergnügungen den Adel in die Stadt zu ziehe",
wofür ein Theater das geeignetste sein würde, bei dessen Leitung dann auch die früheren nicht
zur Ausführung gekommenen Pläne zur Hebung der dramatische" Kunst in Deutschland, realisirt
werden konnten. Diesem Vorschlag wurde entsprochen und Dalberg die Leitung des Theaters
übertragen. Mit welchem wahren Interesse für die Kunst und die ihn, nntcrgcbeiie" Künstler
er sich dieser Aufgabe unterzog, und welche Bedeutung die Mannheimer Bühne gewann, ist


durch bestimmtere Hinweisung auf das zu erreichende Ziel unter den von den
deutschen Regierungen ausgegangenen und auf die orientalische Frage bezüg¬
lichen Ackerstücken eine sehr hervorragende Stelle ein. Die Politik, welche
unter dem Motto: was gehen uns die Türken an? bei den Ereignissen im
Orient nur eine sehr entfernte Beziehung auf Deutschland zu erblicken ver¬
mochte und demgemäß die Neutralität Deutschlands für einen Act der Weisheit
hielt, scheint hier fast ip ihr Gegentheil umgewandelt. Oestreich und Preußen
erkennen nicht blos an, daß der Streit zwischen Nußland und der Pforte „die
allgemeinen Interessen Europas und also auch die der eignen Staaten berührt";
sondern sie räumen ein, daß er innerhalb der Machtsphäre Deutschlands Ge¬
fahren herbeigeführt hat, welche die speciellen Interessen Deutschlands be¬
drohen, daß die Uebergriffe. Rußlands eine directe Verletzung Deutschlands in
politischer, moralischer und materieller Hinsicht involviren.

Das ist ein bedeutungsvolles Zugeständnis^, aus dessen klarer Formulirung
sich Folgerungen ergeben, die weit über die Stipulationen des östreichisch-preu¬
ßischen Vertrags hinausgehen. Ist es nach solchen Prämissen gerechtfertigt zu
warten, bis die Russen die Donaufürstenthümer incorporiren oder den Balkan
angreifen? kann es als genügend betrachtet werden, daß einer der contrahirenden
Theile, wenn Nußland die Fürstentümer nicht räumt, „Maßregeln trifft" und
der andere ihn deckt? ist es nicht vielmehr ein Gebot der Ehre und der Selbst¬
vertheidigung, daß beide Staaten den Feind, der gewaltsam in „den Kreis ihrer
Macht" eingedrungen ist, mit vereinter Kraft vertreiben? Wenn die Auf¬
fassung, die in der Mittheilung niedergelegt ist, auch nicht in positiven Ver¬
pflichtungen Gestalt gewonnen hat, so liegt in ihr doch eine Macht der Wahr¬
heit, vor der die Unzulänglichkeit zaghafter Vertragsclauseln sich früher oder
später beugen wird, und es ist ein Fortschritt, daß wir den deutschen Regierungen
diesen Spiegel ihrer eignen Erklärung vorhalten können.




Briefe Ifflands an den Freiherrn v. Dalberg.

Als im Jahre -1778 der Ku fürst Karl Theodor von Mannheim seine Residenz nach
München verlegte, und die bisher blühende Stadt aller.Hilfsmittel ihres Glanzes n»d Wohl¬
standes beraubt war, schlug der Freiherr Wolfgang Heribert von Dalberg, damals
Vicepräsideut der Kammer, dem Minister von Hompesch vor, ma» solle, um Mannheim zu
heben, entweder die Universität von.Heidelberg dahin übersiedeln, oder eine angemessene
Summe bewilligen, um durch öffentliche Vergnügungen den Adel in die Stadt zu ziehe»,
wofür ein Theater das geeignetste sein würde, bei dessen Leitung dann auch die früheren nicht
zur Ausführung gekommenen Pläne zur Hebung der dramatische» Kunst in Deutschland, realisirt
werden konnten. Diesem Vorschlag wurde entsprochen und Dalberg die Leitung des Theaters
übertragen. Mit welchem wahren Interesse für die Kunst und die ihn, nntcrgcbeiie» Künstler
er sich dieser Aufgabe unterzog, und welche Bedeutung die Mannheimer Bühne gewann, ist


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[0439] durch bestimmtere Hinweisung auf das zu erreichende Ziel unter den von den deutschen Regierungen ausgegangenen und auf die orientalische Frage bezüg¬ lichen Ackerstücken eine sehr hervorragende Stelle ein. Die Politik, welche unter dem Motto: was gehen uns die Türken an? bei den Ereignissen im Orient nur eine sehr entfernte Beziehung auf Deutschland zu erblicken ver¬ mochte und demgemäß die Neutralität Deutschlands für einen Act der Weisheit hielt, scheint hier fast ip ihr Gegentheil umgewandelt. Oestreich und Preußen erkennen nicht blos an, daß der Streit zwischen Nußland und der Pforte „die allgemeinen Interessen Europas und also auch die der eignen Staaten berührt"; sondern sie räumen ein, daß er innerhalb der Machtsphäre Deutschlands Ge¬ fahren herbeigeführt hat, welche die speciellen Interessen Deutschlands be¬ drohen, daß die Uebergriffe. Rußlands eine directe Verletzung Deutschlands in politischer, moralischer und materieller Hinsicht involviren. Das ist ein bedeutungsvolles Zugeständnis^, aus dessen klarer Formulirung sich Folgerungen ergeben, die weit über die Stipulationen des östreichisch-preu¬ ßischen Vertrags hinausgehen. Ist es nach solchen Prämissen gerechtfertigt zu warten, bis die Russen die Donaufürstenthümer incorporiren oder den Balkan angreifen? kann es als genügend betrachtet werden, daß einer der contrahirenden Theile, wenn Nußland die Fürstentümer nicht räumt, „Maßregeln trifft" und der andere ihn deckt? ist es nicht vielmehr ein Gebot der Ehre und der Selbst¬ vertheidigung, daß beide Staaten den Feind, der gewaltsam in „den Kreis ihrer Macht" eingedrungen ist, mit vereinter Kraft vertreiben? Wenn die Auf¬ fassung, die in der Mittheilung niedergelegt ist, auch nicht in positiven Ver¬ pflichtungen Gestalt gewonnen hat, so liegt in ihr doch eine Macht der Wahr¬ heit, vor der die Unzulänglichkeit zaghafter Vertragsclauseln sich früher oder später beugen wird, und es ist ein Fortschritt, daß wir den deutschen Regierungen diesen Spiegel ihrer eignen Erklärung vorhalten können. Briefe Ifflands an den Freiherrn v. Dalberg. Als im Jahre -1778 der Ku fürst Karl Theodor von Mannheim seine Residenz nach München verlegte, und die bisher blühende Stadt aller.Hilfsmittel ihres Glanzes n»d Wohl¬ standes beraubt war, schlug der Freiherr Wolfgang Heribert von Dalberg, damals Vicepräsideut der Kammer, dem Minister von Hompesch vor, ma» solle, um Mannheim zu heben, entweder die Universität von.Heidelberg dahin übersiedeln, oder eine angemessene Summe bewilligen, um durch öffentliche Vergnügungen den Adel in die Stadt zu ziehe», wofür ein Theater das geeignetste sein würde, bei dessen Leitung dann auch die früheren nicht zur Ausführung gekommenen Pläne zur Hebung der dramatische» Kunst in Deutschland, realisirt werden konnten. Diesem Vorschlag wurde entsprochen und Dalberg die Leitung des Theaters übertragen. Mit welchem wahren Interesse für die Kunst und die ihn, nntcrgcbeiie» Künstler er sich dieser Aufgabe unterzog, und welche Bedeutung die Mannheimer Bühne gewann, ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/438>, abgerufen am 03.07.2024.