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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Interessen bei ihm im Spiele waren; sobald man sich aus der Indolenz zu
dem Bestreben aufraffte, sür die Förderung deutscher Interessen zu wirken,
mußte sich die Ueberzeugung aufdrängen, daß die einfache Herstellung des
gtatus quo auto nicht das Ziel einer nationalen, deutschen Politik sein könne.

Durch diese Hinweisung auf Abänderungen des bisherigen Zustandes, die
bei der Ordnung der orientalischen Angelegenheiten erstrebt werden sollen, ge¬
winnt auch der wichtigste Satz deö letzten Wiener Protokolls eine authentische
Interpretation, Die vier vereinigten Regierungen erkennen an, daß sowol der
englisch-französische, wie der östreichisch-preußische Vertrag die Tendenz haben,
die Aufrechterhaltung der in den früheren Protokollen niedergelegten Grundsätze
sicherzustellen. Bereits, das Protokoll vom 9. April schien, wie ich seiner Zeit
bemerklich machte, eine Andeutung zu enthalten, daß die vier Verbündeten von
einer einfachen Wiederherstellung des si^of <M) eines abzusehen gesonnen
wären; wenn sie sich verpflichteten, "gemeinschaftlich die Garantien aufzusuchen,
welche am geeignetsten sind, die Existenz des ottomanischen Reiches mit dein
allgemeinen Gleichgewicht Europas zu vereinigen", so mußte daraus gefolgert
werden, daß sie die Begründung eines neuen und bessern Zustandes im
Auge hatten. Diese Interpretation war die richtige. Der englisch-fran¬
zösische Vertrag sprach dieselbe Tendenz bestimmter aus: der Friede sollte auf
"festen und dauerhaften Grundlagen bewirkt", Europa "gegen die Wiederkehr"
so beklagenswerther Verwicklungen gesichert werden. Wenn nun Oestreich und
Preußen "nach reiflicher Prüfung" erklären, daß die Tendenz des englisch¬
französischen Vertrags den Principien der frühern Protokolle und namentlich
des Protokolls vom 9. April entspricht, so folgt daraus, daß der aus dem
letztern oben hervorgehobene Satz wirklich auf eine beabsichtigte Aenderung des
8tatti8 ciuo arts bezogen werden muß, und daß auch die deutschen Staaten eine
solche Aenderung für wünschenswert!) halten. Die Mittheilung an den Bundes¬
tag gibt dieser. Auffassung einen neuen Anhalt, da sie jene Tendenz vom
deutschen Standpunkt specialisirt. Während nämlich die Westmächte lediglich
im allgemeinen europäischen Interesse auf eine Umgestaltung der Dinge
hindeuten, hebt die Mittheilung die Zielpunkte hervor, die vom speciell
deutschen Standpunkt zu verfolgen sind: Befreiung des Donauhandels
von seinen Beschränkungen, und die Herstellung von Zuständen, wie sie
den Interessen Mitteleuropas entsprechen, in den Donausürstenthümern,
in Landschaften, die im Kreise deutscher Macht liegen, deutscher Intelli¬
genz und Arbeitskraft ein weites und fruchtbares Feld des Wetteifers mit an¬
dern Nationen darbieten. So zieht sich durch die vier erwähnten Actenstücke
derselbe Gedanke, stets an Klarheit gewinnend und durch Specialisirung immer
bestimmter aus dem Gebiete der Phraseologie heraustretend. Die Mittheilung
an den Bundestag nimmt also durch schärfere Charakteristik der Streitfrage und


Interessen bei ihm im Spiele waren; sobald man sich aus der Indolenz zu
dem Bestreben aufraffte, sür die Förderung deutscher Interessen zu wirken,
mußte sich die Ueberzeugung aufdrängen, daß die einfache Herstellung des
gtatus quo auto nicht das Ziel einer nationalen, deutschen Politik sein könne.

Durch diese Hinweisung auf Abänderungen des bisherigen Zustandes, die
bei der Ordnung der orientalischen Angelegenheiten erstrebt werden sollen, ge¬
winnt auch der wichtigste Satz deö letzten Wiener Protokolls eine authentische
Interpretation, Die vier vereinigten Regierungen erkennen an, daß sowol der
englisch-französische, wie der östreichisch-preußische Vertrag die Tendenz haben,
die Aufrechterhaltung der in den früheren Protokollen niedergelegten Grundsätze
sicherzustellen. Bereits, das Protokoll vom 9. April schien, wie ich seiner Zeit
bemerklich machte, eine Andeutung zu enthalten, daß die vier Verbündeten von
einer einfachen Wiederherstellung des si^of <M) eines abzusehen gesonnen
wären; wenn sie sich verpflichteten, „gemeinschaftlich die Garantien aufzusuchen,
welche am geeignetsten sind, die Existenz des ottomanischen Reiches mit dein
allgemeinen Gleichgewicht Europas zu vereinigen", so mußte daraus gefolgert
werden, daß sie die Begründung eines neuen und bessern Zustandes im
Auge hatten. Diese Interpretation war die richtige. Der englisch-fran¬
zösische Vertrag sprach dieselbe Tendenz bestimmter aus: der Friede sollte auf
„festen und dauerhaften Grundlagen bewirkt", Europa „gegen die Wiederkehr"
so beklagenswerther Verwicklungen gesichert werden. Wenn nun Oestreich und
Preußen „nach reiflicher Prüfung" erklären, daß die Tendenz des englisch¬
französischen Vertrags den Principien der frühern Protokolle und namentlich
des Protokolls vom 9. April entspricht, so folgt daraus, daß der aus dem
letztern oben hervorgehobene Satz wirklich auf eine beabsichtigte Aenderung des
8tatti8 ciuo arts bezogen werden muß, und daß auch die deutschen Staaten eine
solche Aenderung für wünschenswert!) halten. Die Mittheilung an den Bundes¬
tag gibt dieser. Auffassung einen neuen Anhalt, da sie jene Tendenz vom
deutschen Standpunkt specialisirt. Während nämlich die Westmächte lediglich
im allgemeinen europäischen Interesse auf eine Umgestaltung der Dinge
hindeuten, hebt die Mittheilung die Zielpunkte hervor, die vom speciell
deutschen Standpunkt zu verfolgen sind: Befreiung des Donauhandels
von seinen Beschränkungen, und die Herstellung von Zuständen, wie sie
den Interessen Mitteleuropas entsprechen, in den Donausürstenthümern,
in Landschaften, die im Kreise deutscher Macht liegen, deutscher Intelli¬
genz und Arbeitskraft ein weites und fruchtbares Feld des Wetteifers mit an¬
dern Nationen darbieten. So zieht sich durch die vier erwähnten Actenstücke
derselbe Gedanke, stets an Klarheit gewinnend und durch Specialisirung immer
bestimmter aus dem Gebiete der Phraseologie heraustretend. Die Mittheilung
an den Bundestag nimmt also durch schärfere Charakteristik der Streitfrage und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/437>, abgerufen am 23.07.2024.