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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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allen Seiten zuflogen, bis sie, im Innern des Zuschauerkreises angelangt, unsren
Blicken entschwanden und die feierliche Stille der Erwartung sich über die Ver¬
sammlung lagerte.

Ein Händeklatschen erschallte -- es mochte das Zeichen des Anlaufs sein,
denn alsbald erhob sich ein tausendstimmiges Geschrei, zuweilen von Gelächter
unterbrochen, das den Fall oder das Zurückbleiben eines Bewerbers signalisirte.
Endlich mochte der Sieg nur noch zwischen wenigen schwanken -- neues er¬
wartungsvolles Schweigen und nach einigen Minuten ein gewaltig aus-
brechender, Sieg verkündender Jubelruf--- Hammel oder Schwein war ge¬
wonnen und der Name des glücklichen Läufers flog von Mund zu Mund.

Dem weitern Verlauf der Festlichkeiten entsagend, folgten wir einem Wege,
der sich anfangs durch Wiesen und Felder zieht und endlich zwischen den Ge¬
büschen des östlichen Thalrandes aufwärts führt. Bald waren wir von hohen
grünen Hecken umschlossen, bald öffnete sich eine Aussicht ins Thal. Unter
uns brauste das Festgetön, über allen Feldern sangen die Lerchen und nach
einer Weile hörten wir von dem Felsplateau, dem wir uns näherten, eine
Stimme niederschallen, die bald wie im heftigen Zorne, bald wie im feierlichen
Gebete redete. Es war ein Mönch, der da oben im Sonnenschein von der
Verderbniß der Welt, den Lockungen der Sünde, dem Verdienst der Entsagung
predigte -- ein Verdienst, das ihm in reichem Maße zukommen mochte. Die
abgezehrte Gestalt, die hohle Wange, die friedlose Miene, die Augen voll
zornigen Eifers, voll Angst und Schmerz, sagten noch mehr als seine Worte,
daß der Unglückliche schon lange nicht mehr wünschen und lieben konnte. Ein
bemooster Felsblock war seine Kanzel, vier oder fünf in dunkle Kapuzen ge¬
hüllte Frauen knieten vor ihm -- ihre Seufzer bildeten den Chor zu seinen
Fluch- und Segenssprüchen. Als er uns erblickte, breitete er die Arme aus
und rief: "Da kommen zwei, die sich aus dem schmuzigen Strome der Welt¬
lust gerettet haben!" Dann ermahnte er uns Buße zu thun und mit ihm den
Heiligen zu danken für den unverdienten Segen, den sie uns sündigen Creaturen
zu dieser Stunde gewährten. Aber die Ketzer gingen verstockten Sinnes vor¬
über -- ein Jammerruf des Mönches, ein lauteres Aechzen der Weiber
folgte uns.

Nach einer Viertelstunde war die Höhe erreicht. Noch einmal übersahen
wir das herrliche Thal von Luchon und schauten es an, wie wir beim Scheiden
ein geliebtes Antlitz betrachten, um uns sein Bild für alle Zeiten einzuprägen.
Von dem zitternden Glänze des schönsten Sommernachmittags Übergossen, lagen
die grünen Maisfelder, die Wiesen, die Obstgärten mit der reifenden Last der
Früchte zu unsern Füßen, in ihrer Mitte die schönen Dörfer Montauban und
Juzet; zur Linken die Stadt im Kranze alter Bäume; zur Rechten das Castel-
viel, an dessen Felsengrunde die Pique aufschäumte. Jenseit des Flusses öffnet


allen Seiten zuflogen, bis sie, im Innern des Zuschauerkreises angelangt, unsren
Blicken entschwanden und die feierliche Stille der Erwartung sich über die Ver¬
sammlung lagerte.

Ein Händeklatschen erschallte — es mochte das Zeichen des Anlaufs sein,
denn alsbald erhob sich ein tausendstimmiges Geschrei, zuweilen von Gelächter
unterbrochen, das den Fall oder das Zurückbleiben eines Bewerbers signalisirte.
Endlich mochte der Sieg nur noch zwischen wenigen schwanken — neues er¬
wartungsvolles Schweigen und nach einigen Minuten ein gewaltig aus-
brechender, Sieg verkündender Jubelruf--- Hammel oder Schwein war ge¬
wonnen und der Name des glücklichen Läufers flog von Mund zu Mund.

Dem weitern Verlauf der Festlichkeiten entsagend, folgten wir einem Wege,
der sich anfangs durch Wiesen und Felder zieht und endlich zwischen den Ge¬
büschen des östlichen Thalrandes aufwärts führt. Bald waren wir von hohen
grünen Hecken umschlossen, bald öffnete sich eine Aussicht ins Thal. Unter
uns brauste das Festgetön, über allen Feldern sangen die Lerchen und nach
einer Weile hörten wir von dem Felsplateau, dem wir uns näherten, eine
Stimme niederschallen, die bald wie im heftigen Zorne, bald wie im feierlichen
Gebete redete. Es war ein Mönch, der da oben im Sonnenschein von der
Verderbniß der Welt, den Lockungen der Sünde, dem Verdienst der Entsagung
predigte — ein Verdienst, das ihm in reichem Maße zukommen mochte. Die
abgezehrte Gestalt, die hohle Wange, die friedlose Miene, die Augen voll
zornigen Eifers, voll Angst und Schmerz, sagten noch mehr als seine Worte,
daß der Unglückliche schon lange nicht mehr wünschen und lieben konnte. Ein
bemooster Felsblock war seine Kanzel, vier oder fünf in dunkle Kapuzen ge¬
hüllte Frauen knieten vor ihm — ihre Seufzer bildeten den Chor zu seinen
Fluch- und Segenssprüchen. Als er uns erblickte, breitete er die Arme aus
und rief: „Da kommen zwei, die sich aus dem schmuzigen Strome der Welt¬
lust gerettet haben!" Dann ermahnte er uns Buße zu thun und mit ihm den
Heiligen zu danken für den unverdienten Segen, den sie uns sündigen Creaturen
zu dieser Stunde gewährten. Aber die Ketzer gingen verstockten Sinnes vor¬
über — ein Jammerruf des Mönches, ein lauteres Aechzen der Weiber
folgte uns.

Nach einer Viertelstunde war die Höhe erreicht. Noch einmal übersahen
wir das herrliche Thal von Luchon und schauten es an, wie wir beim Scheiden
ein geliebtes Antlitz betrachten, um uns sein Bild für alle Zeiten einzuprägen.
Von dem zitternden Glänze des schönsten Sommernachmittags Übergossen, lagen
die grünen Maisfelder, die Wiesen, die Obstgärten mit der reifenden Last der
Früchte zu unsern Füßen, in ihrer Mitte die schönen Dörfer Montauban und
Juzet; zur Linken die Stadt im Kranze alter Bäume; zur Rechten das Castel-
viel, an dessen Felsengrunde die Pique aufschäumte. Jenseit des Flusses öffnet


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[0423] allen Seiten zuflogen, bis sie, im Innern des Zuschauerkreises angelangt, unsren Blicken entschwanden und die feierliche Stille der Erwartung sich über die Ver¬ sammlung lagerte. Ein Händeklatschen erschallte — es mochte das Zeichen des Anlaufs sein, denn alsbald erhob sich ein tausendstimmiges Geschrei, zuweilen von Gelächter unterbrochen, das den Fall oder das Zurückbleiben eines Bewerbers signalisirte. Endlich mochte der Sieg nur noch zwischen wenigen schwanken — neues er¬ wartungsvolles Schweigen und nach einigen Minuten ein gewaltig aus- brechender, Sieg verkündender Jubelruf--- Hammel oder Schwein war ge¬ wonnen und der Name des glücklichen Läufers flog von Mund zu Mund. Dem weitern Verlauf der Festlichkeiten entsagend, folgten wir einem Wege, der sich anfangs durch Wiesen und Felder zieht und endlich zwischen den Ge¬ büschen des östlichen Thalrandes aufwärts führt. Bald waren wir von hohen grünen Hecken umschlossen, bald öffnete sich eine Aussicht ins Thal. Unter uns brauste das Festgetön, über allen Feldern sangen die Lerchen und nach einer Weile hörten wir von dem Felsplateau, dem wir uns näherten, eine Stimme niederschallen, die bald wie im heftigen Zorne, bald wie im feierlichen Gebete redete. Es war ein Mönch, der da oben im Sonnenschein von der Verderbniß der Welt, den Lockungen der Sünde, dem Verdienst der Entsagung predigte — ein Verdienst, das ihm in reichem Maße zukommen mochte. Die abgezehrte Gestalt, die hohle Wange, die friedlose Miene, die Augen voll zornigen Eifers, voll Angst und Schmerz, sagten noch mehr als seine Worte, daß der Unglückliche schon lange nicht mehr wünschen und lieben konnte. Ein bemooster Felsblock war seine Kanzel, vier oder fünf in dunkle Kapuzen ge¬ hüllte Frauen knieten vor ihm — ihre Seufzer bildeten den Chor zu seinen Fluch- und Segenssprüchen. Als er uns erblickte, breitete er die Arme aus und rief: „Da kommen zwei, die sich aus dem schmuzigen Strome der Welt¬ lust gerettet haben!" Dann ermahnte er uns Buße zu thun und mit ihm den Heiligen zu danken für den unverdienten Segen, den sie uns sündigen Creaturen zu dieser Stunde gewährten. Aber die Ketzer gingen verstockten Sinnes vor¬ über — ein Jammerruf des Mönches, ein lauteres Aechzen der Weiber folgte uns. Nach einer Viertelstunde war die Höhe erreicht. Noch einmal übersahen wir das herrliche Thal von Luchon und schauten es an, wie wir beim Scheiden ein geliebtes Antlitz betrachten, um uns sein Bild für alle Zeiten einzuprägen. Von dem zitternden Glänze des schönsten Sommernachmittags Übergossen, lagen die grünen Maisfelder, die Wiesen, die Obstgärten mit der reifenden Last der Früchte zu unsern Füßen, in ihrer Mitte die schönen Dörfer Montauban und Juzet; zur Linken die Stadt im Kranze alter Bäume; zur Rechten das Castel- viel, an dessen Felsengrunde die Pique aufschäumte. Jenseit des Flusses öffnet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/422>, abgerufen am 03.07.2024.