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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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sprachen. Uebrigens hatten alle vortrefflich gelernt, sprachen das Französische
ziemlich gut und einige waren nicht ohne Würde.

Das Publicum hörte aufmerksam zu; wollte sich hier und da ein spöttischer
Alter eine Bemerkung erlauben, so brachten ihn die mißbilligenden Blicke oder
Rippenstöße der Nachbarinnen bald zum Schweigen, und dann standen diese
wieder andächtig da, wie in der Kirche, mit gefallenen Händen und als der
alte Priester den Fluch sprach:


,,^e clvvous " l'ex,it l,i> toto erimmelle.
Va! l'uis! l'Immimilv ^ rv.jettL loin ä'ellg--
l^uis! ^'uUueKe ü los l'stiiuiclon o>. I'eil'loi --
I^e to^or put^ernst n'a plus ac l'vu pour wi>
I^'^ulvl plus cle reka^o

bekreuzten sich Zuhörer und Mitspieler mit dem Ausdruck des Entsetzens. Die
Tragödie machte offenbar auf diese empfänglichen Seelen tiefen Eindruck, trotz
des wunderlichen Gewandes, in dem sie erschien und gewiß hätten Rührung
und Spannung bis ans Ende gedauert, wäre nicht plötzlich die Nachricht
hereingedrungen, daß der Zug der "Kämpfer" vom Gemeindehause aufgebrochen
sei. Unbeschreibliche Verwirrung! In allen Mienen die Frage: bleiben wir
oder gehen wir? Vor uns die beweinenswürdigen Schicksale indischer Helden
und Heldinnen, und draußen das lustige Schauspiel des Wettlaufs und der
Kletterstange. -- Schon ließ sich das landesübliche Orchester hören, Flöte,
Cither und Tambourin---"Ihr könnt nachher fertig spielen!" schreit
ein muthiger Alter. Die Schauspieler stutzen, der Strom der Verse versiegt,
der Bann ist gebrochen. Mit dem Rufe: "Sie kommen, sie kommen!" stürzen
die Zuschauer hinaus -- Krieger, Brahmanen und Hindumädchen, Schmuck
und Gewänder abwerfend eilen hinterdrein. -- Jeder sucht so schnell als möglich
einen Platz an der Barriere der Rennbahn zu erhalten -- dabei werden Rippen¬
stöße, Flüche, kräftige Witze verschwendet, aber jeder sucht seine Dame so gut
als möglich zu schützen und zu placiren.

Jetzt kam der Zug vom Dorfe her: vorangingen die Musikanten, dann
erschien, von geputzt'en Kindern geführt oder vielmehr gezerrt, ein mit Blumen
und Bändern geziertes Schwein, der erste Preis des Wettlaufs. Daraufkam
der Fahnenträger der Gemeinde; ihm folgte das zweite Opfer der Lustbarkeit,
ein schwermüthiger Hammel, dem gewiß seine einsame Trift viel besser behagte,
als die schreiende Menge, die ihn umgab. Die Kampfrichter, ältere Männer,
ernst wie Minos, und einige zwanzig junge Burschen beschlossen den Zug.
Zum Wettlauf bereit trugen sie Espadrilles an den nackten Füßen und hielten
Jacke, Barret, Schärpe und Halstuch im Arme. Ihre Haltung und Miene
verrieth, daß sie sich als Helden des Tages fühlten; mit gemessenem Kopfnicken
beantworteten sie die neckischen, spottenden, anfeuernden Worte, die ihnen von


sprachen. Uebrigens hatten alle vortrefflich gelernt, sprachen das Französische
ziemlich gut und einige waren nicht ohne Würde.

Das Publicum hörte aufmerksam zu; wollte sich hier und da ein spöttischer
Alter eine Bemerkung erlauben, so brachten ihn die mißbilligenden Blicke oder
Rippenstöße der Nachbarinnen bald zum Schweigen, und dann standen diese
wieder andächtig da, wie in der Kirche, mit gefallenen Händen und als der
alte Priester den Fluch sprach:


,,^e clvvous » l'ex,it l,i> toto erimmelle.
Va! l'uis! l'Immimilv ^ rv.jettL loin ä'ellg--
l^uis! ^'uUueKe ü los l'stiiuiclon o>. I'eil'loi —
I^e to^or put^ernst n'a plus ac l'vu pour wi>
I^'^ulvl plus cle reka^o

bekreuzten sich Zuhörer und Mitspieler mit dem Ausdruck des Entsetzens. Die
Tragödie machte offenbar auf diese empfänglichen Seelen tiefen Eindruck, trotz
des wunderlichen Gewandes, in dem sie erschien und gewiß hätten Rührung
und Spannung bis ans Ende gedauert, wäre nicht plötzlich die Nachricht
hereingedrungen, daß der Zug der „Kämpfer" vom Gemeindehause aufgebrochen
sei. Unbeschreibliche Verwirrung! In allen Mienen die Frage: bleiben wir
oder gehen wir? Vor uns die beweinenswürdigen Schicksale indischer Helden
und Heldinnen, und draußen das lustige Schauspiel des Wettlaufs und der
Kletterstange. — Schon ließ sich das landesübliche Orchester hören, Flöte,
Cither und Tambourin---„Ihr könnt nachher fertig spielen!" schreit
ein muthiger Alter. Die Schauspieler stutzen, der Strom der Verse versiegt,
der Bann ist gebrochen. Mit dem Rufe: „Sie kommen, sie kommen!" stürzen
die Zuschauer hinaus — Krieger, Brahmanen und Hindumädchen, Schmuck
und Gewänder abwerfend eilen hinterdrein. — Jeder sucht so schnell als möglich
einen Platz an der Barriere der Rennbahn zu erhalten — dabei werden Rippen¬
stöße, Flüche, kräftige Witze verschwendet, aber jeder sucht seine Dame so gut
als möglich zu schützen und zu placiren.

Jetzt kam der Zug vom Dorfe her: vorangingen die Musikanten, dann
erschien, von geputzt'en Kindern geführt oder vielmehr gezerrt, ein mit Blumen
und Bändern geziertes Schwein, der erste Preis des Wettlaufs. Daraufkam
der Fahnenträger der Gemeinde; ihm folgte das zweite Opfer der Lustbarkeit,
ein schwermüthiger Hammel, dem gewiß seine einsame Trift viel besser behagte,
als die schreiende Menge, die ihn umgab. Die Kampfrichter, ältere Männer,
ernst wie Minos, und einige zwanzig junge Burschen beschlossen den Zug.
Zum Wettlauf bereit trugen sie Espadrilles an den nackten Füßen und hielten
Jacke, Barret, Schärpe und Halstuch im Arme. Ihre Haltung und Miene
verrieth, daß sie sich als Helden des Tages fühlten; mit gemessenem Kopfnicken
beantworteten sie die neckischen, spottenden, anfeuernden Worte, die ihnen von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/421>, abgerufen am 23.07.2024.