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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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dcrmann. Gleich am rechten Donauufer erheben sich die Vorhügel des Ge-
birgszugs; und wer von Gebirgen nicht die Vorstellung hat, daß sie sich wie
auf den alten Landkarten schmal und lang wie Bandwürmer hinziehen, wird
jedes Vordringen der Russen in Bulgarien als einen Angriff auf den Balkan
betrachten müssen; wie es denn in der That auch keinen andern Sinn hat.
Diese Auffassung ist aber nicht die der-Kontrahenten; sie hätten dann die er¬
wähnte Eventualität als bereits eingetreten betrachten müssen. Da nun die
contrahirenden Parteien in dem von den Russen bewerkstelligten Donauüber¬
gange augenscheinlich noch nicht den Beginn des Angriffs auf den Balkan er¬
blicken, so müssen sie zur Firirung dieses Moments sich eine Linie durch Bul¬
garien gezogen- denken, von deren Überschreitung -- ihrer Ansicht nach --
der eigentliche Angriff auf den Balkan datirt werden soll. Aber eine solche
Linie mitten durch Bulgarien eristirt nicht in der Natur, und wir zweifeln
auch, daß sie in der Idee eristirt. Die Natur hat der Balkanerhebung keine
andere Nordgrenze gesteckt, als das Bett der Donau auf ihrem ganzen Laufe
bis.Rassowa und die tiefe Thalsenkung am Trajanswalle, die man seit alter
Zeit sür einen Donaudurchstich im Auge gehabt hat. Wann wird nun der
Angriff auf den Balkan als erfolgt betrachtet werden?

Den zweiten Fall, Uebergang über, den Balkan, können wir füglich.zu
den Acten schreiben. Er liegt außer aller Wahrscheinlichkeit. Daß die Russen
sich in Bulgarien,, am nördlichen AbHange des Gebirgs, möglichst festsetzen
wollen, schon wegen des uneingeschränkten Besitzes der Donaulinie, kann man
mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen; aber sie selbst denken schwerlich daran,
den so sehr schwierigen Uebergang über ein Gelurge zu erzwingen, an dessen
Südabhang sie von der ungeschwächten Armee der Verbündeten erwartet wer¬
den. Ein- solches Unternehmen würde nur dann rathsam und ausführbar er¬
scheinen, wenn es der russischen Politik gelungen wäre, die Alliirten zu ent¬
zweien, die Pforte des Schutzes der Westmächte zu berauben; und ob in die¬
sem Falle die deutschen Staaten ohne die Westmächte einen Kampf aufnehmen
werden, den sie mit den Westmächten aufzunehmen zauberten, ist eine Frage,
deren Entscheidung wir dem Urtheil der Leser überlassen wollen. Die eine
Eventualität -- ausgesprochene Incorporation der Donaufürstenthümer -- ist
nur zu erwarten, wenn der Krieg beendigt ist; die andere, Uebergang über
den Balkan, nur dann, wenn das jetzige Allianzensystem zerstört ist, -- und
das wäre ein Ereignis), welches ganz neue Verabredungen erforderlich machen
würde.

So verschwimmen die Vertragsbestimmungen, denen man allein eine klare
Praktische Bedeutung beimißt, bei genauerer Betrachtung entweder im Nebel
der Ungewißheit, oder sie knüpfen an Ereignisse an, deren Eintreten erst nach
Entscheidung der Dinge oder unter gänzlich veränderten und für die Action


dcrmann. Gleich am rechten Donauufer erheben sich die Vorhügel des Ge-
birgszugs; und wer von Gebirgen nicht die Vorstellung hat, daß sie sich wie
auf den alten Landkarten schmal und lang wie Bandwürmer hinziehen, wird
jedes Vordringen der Russen in Bulgarien als einen Angriff auf den Balkan
betrachten müssen; wie es denn in der That auch keinen andern Sinn hat.
Diese Auffassung ist aber nicht die der-Kontrahenten; sie hätten dann die er¬
wähnte Eventualität als bereits eingetreten betrachten müssen. Da nun die
contrahirenden Parteien in dem von den Russen bewerkstelligten Donauüber¬
gange augenscheinlich noch nicht den Beginn des Angriffs auf den Balkan er¬
blicken, so müssen sie zur Firirung dieses Moments sich eine Linie durch Bul¬
garien gezogen- denken, von deren Überschreitung — ihrer Ansicht nach —
der eigentliche Angriff auf den Balkan datirt werden soll. Aber eine solche
Linie mitten durch Bulgarien eristirt nicht in der Natur, und wir zweifeln
auch, daß sie in der Idee eristirt. Die Natur hat der Balkanerhebung keine
andere Nordgrenze gesteckt, als das Bett der Donau auf ihrem ganzen Laufe
bis.Rassowa und die tiefe Thalsenkung am Trajanswalle, die man seit alter
Zeit sür einen Donaudurchstich im Auge gehabt hat. Wann wird nun der
Angriff auf den Balkan als erfolgt betrachtet werden?

Den zweiten Fall, Uebergang über, den Balkan, können wir füglich.zu
den Acten schreiben. Er liegt außer aller Wahrscheinlichkeit. Daß die Russen
sich in Bulgarien,, am nördlichen AbHange des Gebirgs, möglichst festsetzen
wollen, schon wegen des uneingeschränkten Besitzes der Donaulinie, kann man
mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen; aber sie selbst denken schwerlich daran,
den so sehr schwierigen Uebergang über ein Gelurge zu erzwingen, an dessen
Südabhang sie von der ungeschwächten Armee der Verbündeten erwartet wer¬
den. Ein- solches Unternehmen würde nur dann rathsam und ausführbar er¬
scheinen, wenn es der russischen Politik gelungen wäre, die Alliirten zu ent¬
zweien, die Pforte des Schutzes der Westmächte zu berauben; und ob in die¬
sem Falle die deutschen Staaten ohne die Westmächte einen Kampf aufnehmen
werden, den sie mit den Westmächten aufzunehmen zauberten, ist eine Frage,
deren Entscheidung wir dem Urtheil der Leser überlassen wollen. Die eine
Eventualität — ausgesprochene Incorporation der Donaufürstenthümer — ist
nur zu erwarten, wenn der Krieg beendigt ist; die andere, Uebergang über
den Balkan, nur dann, wenn das jetzige Allianzensystem zerstört ist, — und
das wäre ein Ereignis), welches ganz neue Verabredungen erforderlich machen
würde.

So verschwimmen die Vertragsbestimmungen, denen man allein eine klare
Praktische Bedeutung beimißt, bei genauerer Betrachtung entweder im Nebel
der Ungewißheit, oder sie knüpfen an Ereignisse an, deren Eintreten erst nach
Entscheidung der Dinge oder unter gänzlich veränderten und für die Action


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[0399] dcrmann. Gleich am rechten Donauufer erheben sich die Vorhügel des Ge- birgszugs; und wer von Gebirgen nicht die Vorstellung hat, daß sie sich wie auf den alten Landkarten schmal und lang wie Bandwürmer hinziehen, wird jedes Vordringen der Russen in Bulgarien als einen Angriff auf den Balkan betrachten müssen; wie es denn in der That auch keinen andern Sinn hat. Diese Auffassung ist aber nicht die der-Kontrahenten; sie hätten dann die er¬ wähnte Eventualität als bereits eingetreten betrachten müssen. Da nun die contrahirenden Parteien in dem von den Russen bewerkstelligten Donauüber¬ gange augenscheinlich noch nicht den Beginn des Angriffs auf den Balkan er¬ blicken, so müssen sie zur Firirung dieses Moments sich eine Linie durch Bul¬ garien gezogen- denken, von deren Überschreitung — ihrer Ansicht nach — der eigentliche Angriff auf den Balkan datirt werden soll. Aber eine solche Linie mitten durch Bulgarien eristirt nicht in der Natur, und wir zweifeln auch, daß sie in der Idee eristirt. Die Natur hat der Balkanerhebung keine andere Nordgrenze gesteckt, als das Bett der Donau auf ihrem ganzen Laufe bis.Rassowa und die tiefe Thalsenkung am Trajanswalle, die man seit alter Zeit sür einen Donaudurchstich im Auge gehabt hat. Wann wird nun der Angriff auf den Balkan als erfolgt betrachtet werden? Den zweiten Fall, Uebergang über, den Balkan, können wir füglich.zu den Acten schreiben. Er liegt außer aller Wahrscheinlichkeit. Daß die Russen sich in Bulgarien,, am nördlichen AbHange des Gebirgs, möglichst festsetzen wollen, schon wegen des uneingeschränkten Besitzes der Donaulinie, kann man mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen; aber sie selbst denken schwerlich daran, den so sehr schwierigen Uebergang über ein Gelurge zu erzwingen, an dessen Südabhang sie von der ungeschwächten Armee der Verbündeten erwartet wer¬ den. Ein- solches Unternehmen würde nur dann rathsam und ausführbar er¬ scheinen, wenn es der russischen Politik gelungen wäre, die Alliirten zu ent¬ zweien, die Pforte des Schutzes der Westmächte zu berauben; und ob in die¬ sem Falle die deutschen Staaten ohne die Westmächte einen Kampf aufnehmen werden, den sie mit den Westmächten aufzunehmen zauberten, ist eine Frage, deren Entscheidung wir dem Urtheil der Leser überlassen wollen. Die eine Eventualität — ausgesprochene Incorporation der Donaufürstenthümer — ist nur zu erwarten, wenn der Krieg beendigt ist; die andere, Uebergang über den Balkan, nur dann, wenn das jetzige Allianzensystem zerstört ist, — und das wäre ein Ereignis), welches ganz neue Verabredungen erforderlich machen würde. So verschwimmen die Vertragsbestimmungen, denen man allein eine klare Praktische Bedeutung beimißt, bei genauerer Betrachtung entweder im Nebel der Ungewißheit, oder sie knüpfen an Ereignisse an, deren Eintreten erst nach Entscheidung der Dinge oder unter gänzlich veränderten und für die Action

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/398>, abgerufen am 03.07.2024.