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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Herr von Manteuffel in der Creditcommission der ersten Kammer darlegte)
ohne Frage die Richtung gegen Rußland gibt und die Hoffnung erregt, daß
in demselben gemeinsame Maßregeln zur Erreichung der im Wiener Protokoll
festgestellten Zwecke verabredet sein würden. Hart daneben steht als zweites
Motiv die "Entwicklung immer ausgedehnterer, von den streitenden Parteien
ergriffener militärischer Maßregeln und die daraus sür den europäischen
Frieden hervorgehenden Gefahren," -- eine Erwägung, welche als Zweck des
Schutz- und Trutzbündnisses nicht, wie das erste Motiv, eine gemeinsame Action
gegen Rußland, sondern die möglichste Localisirung des Kriegs durch eine-be¬
waffnete Neutralität erwarten läßt. Endlich folgt als drittes Motiv "die
Ueberzeugung, .daß es Deutschland obliegt, einen .hohen Beruf im Beginn die-
'ses Krieges zu erfüllen, um einer Zukunft vorzubeugen, welche für das Wohl¬
ergehen Europas 'nur verhängnisvoll sein könnte," -- eine Erwägung, deren
Kern ich unmöglich ergründen kann.

Ein offensives beiderseitiges Vorgehen soll durch die Incorporation der
Donaufürstenthümer oder durch einen Angriff auf oder den Uebergang- über
den Balkan veranlaßt werden.

Was ist Incorporation der Donaufürstenthümer? Wenn man darunter
die feierliche Proclamation derselben versteht, so wird man begreiflicherweise
warten müssen, bis Nußland seine Gegner zum Frieden gezwungen hat; bis
dahin wird es sich mit dem factischen Besitz genügen lassen, zumal da es Er¬
oberungsgelüste stets beharrlich in Abrede gestellt hat. Versteht man aber un¬
ter Incorporation die Thatsache, nicht den Namen des Besitzstandes, so
ergibt sich die Frage, an welchen Kriterien die wirkliche Besitzergreifung erkannt
werden soll. Und hierauf kann eine lange Reihe verschiedner Antworten er¬
folgen; während einige aus den bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen den
Schluß ziehen werden, daß die Russen schon jetzt sich als Herren des Landes
betrachten, werden andere den Vollzug der Incorporation solange in Abrede
stellen, bis der Huldigungsact erfolgt ist, -- den Rußland ohne Schaden bis
zum Frieden hinausschieben kann.

Die zweite Eventualität für ein offensives Vorgehen subsumirt zwei ganz
verschiedene Fälle: Angriff auf oder Uebergang über den'Balkan, -- eine Zu¬
sammenstellung, die in der Geschichte der Verträge ein Unicum ist. Wenn der
erste gelten soll, ist die Erwähnung des zweiten überflüssig, und umgekehrt.
Offenbar haben sich hier die contrahirenden Parteien nicht einigen können;
und so hat man die von beiden Seiten verlangten Bedingungen für eine Of¬
fensive trotz ihrer Verschiedenartigkeit kühl nebeneinandergestellt, in der Hoff"
mung, daß sie sich gut miteinander vertragen werden. Wir müssen jedoch jeden
Fall einzeln betrachten.

Daß "Angriff aus den Balkan" ein unbestimmt-er Ausdruck sei, sühlt je-^


Herr von Manteuffel in der Creditcommission der ersten Kammer darlegte)
ohne Frage die Richtung gegen Rußland gibt und die Hoffnung erregt, daß
in demselben gemeinsame Maßregeln zur Erreichung der im Wiener Protokoll
festgestellten Zwecke verabredet sein würden. Hart daneben steht als zweites
Motiv die „Entwicklung immer ausgedehnterer, von den streitenden Parteien
ergriffener militärischer Maßregeln und die daraus sür den europäischen
Frieden hervorgehenden Gefahren," — eine Erwägung, welche als Zweck des
Schutz- und Trutzbündnisses nicht, wie das erste Motiv, eine gemeinsame Action
gegen Rußland, sondern die möglichste Localisirung des Kriegs durch eine-be¬
waffnete Neutralität erwarten läßt. Endlich folgt als drittes Motiv „die
Ueberzeugung, .daß es Deutschland obliegt, einen .hohen Beruf im Beginn die-
'ses Krieges zu erfüllen, um einer Zukunft vorzubeugen, welche für das Wohl¬
ergehen Europas 'nur verhängnisvoll sein könnte," — eine Erwägung, deren
Kern ich unmöglich ergründen kann.

Ein offensives beiderseitiges Vorgehen soll durch die Incorporation der
Donaufürstenthümer oder durch einen Angriff auf oder den Uebergang- über
den Balkan veranlaßt werden.

Was ist Incorporation der Donaufürstenthümer? Wenn man darunter
die feierliche Proclamation derselben versteht, so wird man begreiflicherweise
warten müssen, bis Nußland seine Gegner zum Frieden gezwungen hat; bis
dahin wird es sich mit dem factischen Besitz genügen lassen, zumal da es Er¬
oberungsgelüste stets beharrlich in Abrede gestellt hat. Versteht man aber un¬
ter Incorporation die Thatsache, nicht den Namen des Besitzstandes, so
ergibt sich die Frage, an welchen Kriterien die wirkliche Besitzergreifung erkannt
werden soll. Und hierauf kann eine lange Reihe verschiedner Antworten er¬
folgen; während einige aus den bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen den
Schluß ziehen werden, daß die Russen schon jetzt sich als Herren des Landes
betrachten, werden andere den Vollzug der Incorporation solange in Abrede
stellen, bis der Huldigungsact erfolgt ist, — den Rußland ohne Schaden bis
zum Frieden hinausschieben kann.

Die zweite Eventualität für ein offensives Vorgehen subsumirt zwei ganz
verschiedene Fälle: Angriff auf oder Uebergang über den'Balkan, — eine Zu¬
sammenstellung, die in der Geschichte der Verträge ein Unicum ist. Wenn der
erste gelten soll, ist die Erwähnung des zweiten überflüssig, und umgekehrt.
Offenbar haben sich hier die contrahirenden Parteien nicht einigen können;
und so hat man die von beiden Seiten verlangten Bedingungen für eine Of¬
fensive trotz ihrer Verschiedenartigkeit kühl nebeneinandergestellt, in der Hoff"
mung, daß sie sich gut miteinander vertragen werden. Wir müssen jedoch jeden
Fall einzeln betrachten.

Daß „Angriff aus den Balkan" ein unbestimmt-er Ausdruck sei, sühlt je-^


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[0398] Herr von Manteuffel in der Creditcommission der ersten Kammer darlegte) ohne Frage die Richtung gegen Rußland gibt und die Hoffnung erregt, daß in demselben gemeinsame Maßregeln zur Erreichung der im Wiener Protokoll festgestellten Zwecke verabredet sein würden. Hart daneben steht als zweites Motiv die „Entwicklung immer ausgedehnterer, von den streitenden Parteien ergriffener militärischer Maßregeln und die daraus sür den europäischen Frieden hervorgehenden Gefahren," — eine Erwägung, welche als Zweck des Schutz- und Trutzbündnisses nicht, wie das erste Motiv, eine gemeinsame Action gegen Rußland, sondern die möglichste Localisirung des Kriegs durch eine-be¬ waffnete Neutralität erwarten läßt. Endlich folgt als drittes Motiv „die Ueberzeugung, .daß es Deutschland obliegt, einen .hohen Beruf im Beginn die- 'ses Krieges zu erfüllen, um einer Zukunft vorzubeugen, welche für das Wohl¬ ergehen Europas 'nur verhängnisvoll sein könnte," — eine Erwägung, deren Kern ich unmöglich ergründen kann. Ein offensives beiderseitiges Vorgehen soll durch die Incorporation der Donaufürstenthümer oder durch einen Angriff auf oder den Uebergang- über den Balkan veranlaßt werden. Was ist Incorporation der Donaufürstenthümer? Wenn man darunter die feierliche Proclamation derselben versteht, so wird man begreiflicherweise warten müssen, bis Nußland seine Gegner zum Frieden gezwungen hat; bis dahin wird es sich mit dem factischen Besitz genügen lassen, zumal da es Er¬ oberungsgelüste stets beharrlich in Abrede gestellt hat. Versteht man aber un¬ ter Incorporation die Thatsache, nicht den Namen des Besitzstandes, so ergibt sich die Frage, an welchen Kriterien die wirkliche Besitzergreifung erkannt werden soll. Und hierauf kann eine lange Reihe verschiedner Antworten er¬ folgen; während einige aus den bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen den Schluß ziehen werden, daß die Russen schon jetzt sich als Herren des Landes betrachten, werden andere den Vollzug der Incorporation solange in Abrede stellen, bis der Huldigungsact erfolgt ist, — den Rußland ohne Schaden bis zum Frieden hinausschieben kann. Die zweite Eventualität für ein offensives Vorgehen subsumirt zwei ganz verschiedene Fälle: Angriff auf oder Uebergang über den'Balkan, — eine Zu¬ sammenstellung, die in der Geschichte der Verträge ein Unicum ist. Wenn der erste gelten soll, ist die Erwähnung des zweiten überflüssig, und umgekehrt. Offenbar haben sich hier die contrahirenden Parteien nicht einigen können; und so hat man die von beiden Seiten verlangten Bedingungen für eine Of¬ fensive trotz ihrer Verschiedenartigkeit kühl nebeneinandergestellt, in der Hoff" mung, daß sie sich gut miteinander vertragen werden. Wir müssen jedoch jeden Fall einzeln betrachten. Daß „Angriff aus den Balkan" ein unbestimmt-er Ausdruck sei, sühlt je-^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/397>, abgerufen am 01.10.2024.