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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Inzwischen gewähren uns die vielfachen Krümmungen des Weges manchen
schönen Blick in das eben verlassene Thal und gleich beim Beginn des Steigens
erfreut uns die Cascade de la Madeleine, die wie ein weiter durchsichtiger
Schleier am gegenüberliegenden Thalrande niederrauscht, überragt vom Felsen-
kegel des Pic dEsquiero, wo ihre Quellen entspringen. Dann erblicken wir
ub"c uns den weißen schäumenden Katarakt, Cascade de la Panache genannt,
der die Wasser des Svculvjo in den Abgrund stürzt, über den wir uns mehr
und mehr erheben -- und in dieser wilden Umgebung duftet der Dianthus
superbus, die blauen, giftigen Blumen des Eisenhutes schmücken den Stein,
die Gentiana und das prächtige Rhododendron beginnen sich zu zeigen, die stei¬
gende Sonne wirft wunderbare Lichter in die Schluchten und Felsspalten --
unter uns und über uns läßt sie hier und da einen Haidestrich oder ein von
Moos und Flechten bedecktes Felsstück in den wunderbarsten Farben schimmern.

Nach dreiviertelstündigen, beschwerlichen Steigen ist die Höhe des Berges,
erreicht. Von hier aus senkt sich der Weg'zum Felscndamme,'der, sich nur
wenig über den See erhebend, durch eine Oeffnung den Abfluß des Wassers
gestattet. Aber weder die Brücke, die über den Gießbach führt, noch seine
Cascaden vermögen uns zu fesseln, denn im Hintergrunde des weiten Felsen¬
beckens, das sich vor uns öffnet, glänzt der prachtvolle Katarakt von Secul6jo
und ungeduldig eilen wir vorwärts, um überrascht, geblendet, sprachlos vor
der Herrlichkeit' zu stehen, die keines Dichters Wort und keines Malers Pinsel
wiederzugeben vermöchte. . '

Vor uns liegt ein klarer, grünschimmernder Bergsee, in den sich von
9S0 Fuß hoher Felswand niederstürzend, die Fluten des Wasserfalles von
Espingo ergießen. Wo in der Mitte des Falles eine Klippe aus dem Felsen
hervortritt und wo die donnernde Flut das Becken von Sveul^jo erreicht,
bilden die zerstiebenden Wasser ein Dunstgewebe,, das von tausend schimmernden,
blitzenden Funken durchzuckt ist und tausend hellglänzende Tropfen über das
Gras am Ufer verspritzt. Und während die Ruhe des Sees kaum in der
nächsten Nähe des Falles zu heftigem Wellenschlägen aufgerüttelt wird , scheinen
die Bergkolosse ringsumher, unter den donnernden Schlägen des Katarakts
zu beben.

Zur Rechten selM wir den Pic de Nöre mit schimmernden Eiskronen,
daneben den Eöpujol; über der Cascade das weiße Haupt des Montarquet,
weiter hinter den riesigen Quouairat und endlich den Mont-Arrouy, zwischen
deren Felszacken, Hörnern und Mauern sich breite Schnee- und Eislager hin¬
ziehen*), und über dieser Pracht die Lichtfluten des schönsten Sommertages,
das tiefe Blau des Himmels und keine Stimme ringsumher als das Brausen



") Der See von Sveul^jo liegt 4308 Fuß über der Meeresfläche, der Qnonairat erhebt
sich bis zu Fuß, der Mont Arrvuy bis zu 86Z8 Fuß-

Inzwischen gewähren uns die vielfachen Krümmungen des Weges manchen
schönen Blick in das eben verlassene Thal und gleich beim Beginn des Steigens
erfreut uns die Cascade de la Madeleine, die wie ein weiter durchsichtiger
Schleier am gegenüberliegenden Thalrande niederrauscht, überragt vom Felsen-
kegel des Pic dEsquiero, wo ihre Quellen entspringen. Dann erblicken wir
ub«c uns den weißen schäumenden Katarakt, Cascade de la Panache genannt,
der die Wasser des Svculvjo in den Abgrund stürzt, über den wir uns mehr
und mehr erheben — und in dieser wilden Umgebung duftet der Dianthus
superbus, die blauen, giftigen Blumen des Eisenhutes schmücken den Stein,
die Gentiana und das prächtige Rhododendron beginnen sich zu zeigen, die stei¬
gende Sonne wirft wunderbare Lichter in die Schluchten und Felsspalten —
unter uns und über uns läßt sie hier und da einen Haidestrich oder ein von
Moos und Flechten bedecktes Felsstück in den wunderbarsten Farben schimmern.

Nach dreiviertelstündigen, beschwerlichen Steigen ist die Höhe des Berges,
erreicht. Von hier aus senkt sich der Weg'zum Felscndamme,'der, sich nur
wenig über den See erhebend, durch eine Oeffnung den Abfluß des Wassers
gestattet. Aber weder die Brücke, die über den Gießbach führt, noch seine
Cascaden vermögen uns zu fesseln, denn im Hintergrunde des weiten Felsen¬
beckens, das sich vor uns öffnet, glänzt der prachtvolle Katarakt von Secul6jo
und ungeduldig eilen wir vorwärts, um überrascht, geblendet, sprachlos vor
der Herrlichkeit' zu stehen, die keines Dichters Wort und keines Malers Pinsel
wiederzugeben vermöchte. . '

Vor uns liegt ein klarer, grünschimmernder Bergsee, in den sich von
9S0 Fuß hoher Felswand niederstürzend, die Fluten des Wasserfalles von
Espingo ergießen. Wo in der Mitte des Falles eine Klippe aus dem Felsen
hervortritt und wo die donnernde Flut das Becken von Sveul^jo erreicht,
bilden die zerstiebenden Wasser ein Dunstgewebe,, das von tausend schimmernden,
blitzenden Funken durchzuckt ist und tausend hellglänzende Tropfen über das
Gras am Ufer verspritzt. Und während die Ruhe des Sees kaum in der
nächsten Nähe des Falles zu heftigem Wellenschlägen aufgerüttelt wird , scheinen
die Bergkolosse ringsumher, unter den donnernden Schlägen des Katarakts
zu beben.

Zur Rechten selM wir den Pic de Nöre mit schimmernden Eiskronen,
daneben den Eöpujol; über der Cascade das weiße Haupt des Montarquet,
weiter hinter den riesigen Quouairat und endlich den Mont-Arrouy, zwischen
deren Felszacken, Hörnern und Mauern sich breite Schnee- und Eislager hin¬
ziehen*), und über dieser Pracht die Lichtfluten des schönsten Sommertages,
das tiefe Blau des Himmels und keine Stimme ringsumher als das Brausen



») Der See von Sveul^jo liegt 4308 Fuß über der Meeresfläche, der Qnonairat erhebt
sich bis zu Fuß, der Mont Arrvuy bis zu 86Z8 Fuß-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/375>, abgerufen am 23.07.2024.