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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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tausend Schritte von Menschenwohnungen entfernt und doch still 'und einsam,
von Gebüsch umschlossen, von Wiesen umgeben, belebt durch das Zirpen der
Grille, das Rauschen des Wassers, erfüllt von dem frischen Duft, den Laub
und Kräuter beim Untergang der Sonne- aushauchen.

Und überdies ist das kleine Gehege für die glaubensstarken Kinder des
Gebirges durch die Erinnerung an die Wunder Se. Aventins geweiht.

Der heilige Mann hatte den Mauren das Christenthum gepredigt; er
wurde mißhandelt, gefangen, zum Tode verurtheilt und entrann seinen Pei-
nigerir nur durch den Beistand der Mutter Gottes. Aber die blutgierigen
Mauren verfolgten ihn auf der Flucht durchs Gebirge und holten ihn auf der
Höhe von Castel Blancat ein. Der Rückweg war ihm abgeschnitten, vor ihm
gähnte der Abgrund, da gab Maria dem Heiligen Kraft, mit einem Satze
ins Thal zu steigen und bei dieser Gelegenheit drückte er dem Granitblocke,
der noch heute neben der Kapelle zu sehen ist, die Spuren seiner Füße ein.
Nur sagt die Mythe nicht, warum der Beistand der Himmelskönigin sich/ nicht
weiter erstreckte -- wir hören nur, daß Se. Aventin in Andacht versunken
neben dem Steine auf den Knieen lag, bis die Mauren den Weg ins Thal
gefunden hatten , den Flüchtling einholten und ihm den Kopf abschlugen.
Nun kehrte Marias Interesse plötzlich wieder: zu ihrer Ehre, zum eignen Ruhm
und zur ewigen Erbauung der Christenheit, hieß sie ihren treuen Knecht noch
einmal aufstehen und mit dem Kops in den Händen zu der Stätte gehen, wo
sein heiliger Leib im Grabe 'zu ruhen wünschte. Er gehorchte, ging aber nur
wenige hundert Schritte weit und legte sich dann friedlich ins Gras. Einige
Tage später fanden ihn die Bewohner des naheliegenden Dorfes, das jetzt
seinen Namen trägt -- und entweder war das erblaßte Haupt vom obligaten
Heiligenschein umgeben,- oder Engel hatten geredet, kurz sie wußten, wen sie
vor sich hatten und trugen die heiligen Ueberreste in die Kirche ihres Heimat¬
ortes, um sie dort zu begraben. Aber das war Se. Aventin nicht recht. Er
nahm seinen armen Kopf noch einmal auf und wanderte bei Nacht und Nebel
an die liebgewordene Stelle zurück- ^Nein verstand und ehrte seinen Wünsch.
Die kleine Kapelle wurde von einigen Frommen gebaut; sein heiliger Leib ist
in ihrem Gewölbe zur Ruhe gekommen -- aber sein Schutz und Segen ist
immer lebendig. Wer vorübergeht um den Port dOo zu Passiren versäumt
nicht, aus der Schwelle des kleinen Tempels ein Ave Maria zu beten und
durch das Gitterfenster eine milde Gabe -- gewöhnlich ein Zweisousstück --
fallen zu lassen. Dafür hält Se. Aventin böse Geister und böse Gedanken
fern, gibt den Füßen Sicherheit, den Augen Schärfe -- und hoffentlich sorgt
ein anderer-Heiliger sür die Vorsicht und Umsicht,-die der'arme Aventin sehr
sich selbst nicht besaß.

Nach kurzer Rast gehen wir weiter. Die lebhaften Tinten des Abendhimmels


tausend Schritte von Menschenwohnungen entfernt und doch still 'und einsam,
von Gebüsch umschlossen, von Wiesen umgeben, belebt durch das Zirpen der
Grille, das Rauschen des Wassers, erfüllt von dem frischen Duft, den Laub
und Kräuter beim Untergang der Sonne- aushauchen.

Und überdies ist das kleine Gehege für die glaubensstarken Kinder des
Gebirges durch die Erinnerung an die Wunder Se. Aventins geweiht.

Der heilige Mann hatte den Mauren das Christenthum gepredigt; er
wurde mißhandelt, gefangen, zum Tode verurtheilt und entrann seinen Pei-
nigerir nur durch den Beistand der Mutter Gottes. Aber die blutgierigen
Mauren verfolgten ihn auf der Flucht durchs Gebirge und holten ihn auf der
Höhe von Castel Blancat ein. Der Rückweg war ihm abgeschnitten, vor ihm
gähnte der Abgrund, da gab Maria dem Heiligen Kraft, mit einem Satze
ins Thal zu steigen und bei dieser Gelegenheit drückte er dem Granitblocke,
der noch heute neben der Kapelle zu sehen ist, die Spuren seiner Füße ein.
Nur sagt die Mythe nicht, warum der Beistand der Himmelskönigin sich/ nicht
weiter erstreckte — wir hören nur, daß Se. Aventin in Andacht versunken
neben dem Steine auf den Knieen lag, bis die Mauren den Weg ins Thal
gefunden hatten , den Flüchtling einholten und ihm den Kopf abschlugen.
Nun kehrte Marias Interesse plötzlich wieder: zu ihrer Ehre, zum eignen Ruhm
und zur ewigen Erbauung der Christenheit, hieß sie ihren treuen Knecht noch
einmal aufstehen und mit dem Kops in den Händen zu der Stätte gehen, wo
sein heiliger Leib im Grabe 'zu ruhen wünschte. Er gehorchte, ging aber nur
wenige hundert Schritte weit und legte sich dann friedlich ins Gras. Einige
Tage später fanden ihn die Bewohner des naheliegenden Dorfes, das jetzt
seinen Namen trägt — und entweder war das erblaßte Haupt vom obligaten
Heiligenschein umgeben,- oder Engel hatten geredet, kurz sie wußten, wen sie
vor sich hatten und trugen die heiligen Ueberreste in die Kirche ihres Heimat¬
ortes, um sie dort zu begraben. Aber das war Se. Aventin nicht recht. Er
nahm seinen armen Kopf noch einmal auf und wanderte bei Nacht und Nebel
an die liebgewordene Stelle zurück- ^Nein verstand und ehrte seinen Wünsch.
Die kleine Kapelle wurde von einigen Frommen gebaut; sein heiliger Leib ist
in ihrem Gewölbe zur Ruhe gekommen — aber sein Schutz und Segen ist
immer lebendig. Wer vorübergeht um den Port dOo zu Passiren versäumt
nicht, aus der Schwelle des kleinen Tempels ein Ave Maria zu beten und
durch das Gitterfenster eine milde Gabe — gewöhnlich ein Zweisousstück —
fallen zu lassen. Dafür hält Se. Aventin böse Geister und böse Gedanken
fern, gibt den Füßen Sicherheit, den Augen Schärfe — und hoffentlich sorgt
ein anderer-Heiliger sür die Vorsicht und Umsicht,-die der'arme Aventin sehr
sich selbst nicht besaß.

Nach kurzer Rast gehen wir weiter. Die lebhaften Tinten des Abendhimmels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/373>, abgerufen am 23.07.2024.