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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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sittlicher Voraussetzungen, wie wir sie bei Ccilderon finden, macht zwar eine
buntere Mannigfaltigkeit des Lebens unmöglich, aber es schließt wenigstens
die wüsten Extravaganzen der Einbildungskraft aus. Wir wollen Kur auf ein
Beispiel aufmerksam Machen. Da der Knoten des Lustspiels gewöhnlich sich
auf ein Eheverhältniß bezieht, so ist der Standesunterschied, der liebende Herzen
trennt, seit alter Zeit ein beliebtes Motiv gewesen. In der Zeit Calderons
dachte man sich eine Mesalliance gar nicht als'möglich. Ein Dichter da¬
gegen, wie- Kotzebue, der überall die Stimme der Natur gegen die künstlichen
Formen der Sitte geltend machen, möchte, und der es doch wieder vermeiden
muß, einem hohen Adel und einem verehrungswürdigen Publicum, welches
seine Stücke besucht, beschwerlich zu fallen, kommt durch einen solchen Conflict
in unauflösliche Verlegenheiten, denen er sich nur durch eine äußerliche Lösung
zu entziehen weiß. Im Anfang, wo die Stimme der Natur bei ihm noch ver¬
nehmlicher sprach, wird das Vorurtheil des Adels nur bei , ganz lächerlichen
Personen geduldet, allmälig aber merkt er bei feinem Publicum, daß dieses
Vorurtheil doch noch nicht so ganz ausgerottet ist, und so finden wir regel¬
mäßig in seinen spätern Stücken, in denen sich ein Junker in eine Schul¬
meisterstochter oder eine Bäuerin verliebt, daß sich zuletzt die Dirne als
adliges Fräulein herausstellt. Trotzdem wagt keine seiner Personen dieses
Vorurtheil laut und offen auszusprechen, sie bemänteln es durch gesellschaftliche
Rücksichten, durch die Ungleichheit der Erziehung u. dergl., und es ist zuweilen
höchst spaßhaft, wie sie sich drehen und wenden, um das Ding nicht beim
rechten Namen zu nennen. Freilich in einer poetischen Welt, wo-die jungen
Lieutenants massenweise Almosen austheilen und für arme bedrängte Wittwen
forgen, wäre der Adelsstolz bei einem wirklich gebildeten Manne eine un¬
erhörte Abnormität. Die sentimentale Welt, in welche uns Kotzebue einführt,
steht der Wirklichkeit noch viel serner, als die ideale Welt Goethes, und
Schillers.

Daher wird in seinen Lustspielen der Satire auch meistens die Spitze
abgebrochen. Eine Satire, die poetisch auf uns einwirken soll, muß gegen
reale, positive, allgemeine Seiten des Lebens gerichtet sein. Kotzebues Satire
dagegen bezieht sich nur auf Oberflächlichkeiten der Gesellschaft, abgesehen von
seinen literarischen Satiren, in denen er immer ganz roh und gemein ist.
Lehrreich ist ein Stück, welches seiner Zeit auf den deutschen Bühnen viel
Erfolg gehabt hat, "die Sucht zu glänzen" -1801. Das Bestreben, sich
auszuzeichnen, wirv als die Quelle der menschlichen Verkehrtheiten dargestellt.
In einer Familie hat jedes Mitglied eine bestimmte fire Idee. Der Vater
legt, um der Modethorheit zu huldigen, große Mineraliensammlungen an; die
Neigung der Mutter hat sich auf glänzenden Schmuck geworfen; die Tochter
treibt Wissenschaft und Kunst; der Sohn ist ein leidenschaftlicher Kantianer,


sittlicher Voraussetzungen, wie wir sie bei Ccilderon finden, macht zwar eine
buntere Mannigfaltigkeit des Lebens unmöglich, aber es schließt wenigstens
die wüsten Extravaganzen der Einbildungskraft aus. Wir wollen Kur auf ein
Beispiel aufmerksam Machen. Da der Knoten des Lustspiels gewöhnlich sich
auf ein Eheverhältniß bezieht, so ist der Standesunterschied, der liebende Herzen
trennt, seit alter Zeit ein beliebtes Motiv gewesen. In der Zeit Calderons
dachte man sich eine Mesalliance gar nicht als'möglich. Ein Dichter da¬
gegen, wie- Kotzebue, der überall die Stimme der Natur gegen die künstlichen
Formen der Sitte geltend machen, möchte, und der es doch wieder vermeiden
muß, einem hohen Adel und einem verehrungswürdigen Publicum, welches
seine Stücke besucht, beschwerlich zu fallen, kommt durch einen solchen Conflict
in unauflösliche Verlegenheiten, denen er sich nur durch eine äußerliche Lösung
zu entziehen weiß. Im Anfang, wo die Stimme der Natur bei ihm noch ver¬
nehmlicher sprach, wird das Vorurtheil des Adels nur bei , ganz lächerlichen
Personen geduldet, allmälig aber merkt er bei feinem Publicum, daß dieses
Vorurtheil doch noch nicht so ganz ausgerottet ist, und so finden wir regel¬
mäßig in seinen spätern Stücken, in denen sich ein Junker in eine Schul¬
meisterstochter oder eine Bäuerin verliebt, daß sich zuletzt die Dirne als
adliges Fräulein herausstellt. Trotzdem wagt keine seiner Personen dieses
Vorurtheil laut und offen auszusprechen, sie bemänteln es durch gesellschaftliche
Rücksichten, durch die Ungleichheit der Erziehung u. dergl., und es ist zuweilen
höchst spaßhaft, wie sie sich drehen und wenden, um das Ding nicht beim
rechten Namen zu nennen. Freilich in einer poetischen Welt, wo-die jungen
Lieutenants massenweise Almosen austheilen und für arme bedrängte Wittwen
forgen, wäre der Adelsstolz bei einem wirklich gebildeten Manne eine un¬
erhörte Abnormität. Die sentimentale Welt, in welche uns Kotzebue einführt,
steht der Wirklichkeit noch viel serner, als die ideale Welt Goethes, und
Schillers.

Daher wird in seinen Lustspielen der Satire auch meistens die Spitze
abgebrochen. Eine Satire, die poetisch auf uns einwirken soll, muß gegen
reale, positive, allgemeine Seiten des Lebens gerichtet sein. Kotzebues Satire
dagegen bezieht sich nur auf Oberflächlichkeiten der Gesellschaft, abgesehen von
seinen literarischen Satiren, in denen er immer ganz roh und gemein ist.
Lehrreich ist ein Stück, welches seiner Zeit auf den deutschen Bühnen viel
Erfolg gehabt hat, „die Sucht zu glänzen" -1801. Das Bestreben, sich
auszuzeichnen, wirv als die Quelle der menschlichen Verkehrtheiten dargestellt.
In einer Familie hat jedes Mitglied eine bestimmte fire Idee. Der Vater
legt, um der Modethorheit zu huldigen, große Mineraliensammlungen an; die
Neigung der Mutter hat sich auf glänzenden Schmuck geworfen; die Tochter
treibt Wissenschaft und Kunst; der Sohn ist ein leidenschaftlicher Kantianer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/339>, abgerufen am 23.07.2024.