Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.Vorbild dienen. So tief sie sich in die Prosa des wirklichen Lebens einlassen, Was der Ausbildung des feinern Lustspiels bei uns unübersteigliche 42*
Vorbild dienen. So tief sie sich in die Prosa des wirklichen Lebens einlassen, Was der Ausbildung des feinern Lustspiels bei uns unübersteigliche 42*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98119"/> <p xml:id="ID_1057" prev="#ID_1056"> Vorbild dienen. So tief sie sich in die Prosa des wirklichen Lebens einlassen,<lb/> in der Form behaupten sie stets die Feinheit und Zierlichkeit.ihrer poetischen<lb/> Bildung. Aber Kotzebue trifft allerdings die Hauptschuld, denn er, hat die<lb/> Gattung in Cours gebracht. Ein fernerer sehr schlimmer Fehler ist die Nei¬<lb/> gung zu Sentimentalitäten, die Erinnerung an den Ernst des Lebens, die<lb/> alle Unbefangenheit aufhebt. Um das Komische wirklich zu empfinden, müssen<lb/> wir frei sein, Sorge und Mitleid darf unser Gemüth nicht umstricken. Allein<lb/> diese Fehler sind in der Regel nicht so in, den Organismus des Stücks ver¬<lb/> webt, daß sie nicht in den meisten Fällen leicht beseitigt werden könnten.<lb/> Kotzebue scheint mehr der Neigung des Publicums Concessionen gemacht, zu<lb/> haben, als seiner eignen Neigung gefolgt zu sein. Und so geben denn die<lb/> besseren seiner Possen, z. B. „der Wildfang" (1797), „das Epigramm"' (1801)<lb/> „die deutschen Kleinstädter (1802, aus welchem Stücke der Name Krähwinkel<lb/> in Deutschland populär geworden ist), „der Wirrwarr" (1802) „Pagenstreiche"<lb/> (180i), „des Esels Schatten" (1809) noch immer reiche Ausbeute, und Figuren<lb/> wie der Schneider Fips, der Pachter Feldkümmel, der Commissionsrath Frosch,<lb/> Elias Krumm u. s. w. fahren fort in den Händen geschickter Virtuosen das<lb/> Publicum zu ergötzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1058" next="#ID_1059"> Was der Ausbildung des feinern Lustspiels bei uns unübersteigliche<lb/> Schwierigkeiten in den Weg setzt, ist der vollständige Mangel einer sittlichen<lb/> Basis oder wenn man sich allgemeiner ausdrücken will, eines bestimmten ge¬<lb/> sellschaftlichen Tons. - Der Tragödiendichter empfindet das weniger, denn seine<lb/> Handlung spielt immer mehr oder minder in einer idealen Welt; aber der<lb/> Lustspieldichter, auch wenn er sich in das Reich der Elfen, der Märchen und<lb/> der Träume flüchtet, muß uns doch immer gesellschaftliche Verhältnisse zeich¬<lb/> nen und kann sich daher an das Gegebene anschließen. Hier ist nun der<lb/> Dichter in der üblen Lage, daß er sich nicht blos die Handlung, sondern auch<lb/> den Ton selbst erfinden muß. In Kotzebues Zeiten war der Uebelstand noch<lb/> größer. Jeder einzelne Dichter färbte die Situation und die Formen der Ge¬<lb/> sellschaft nach seinem eignen individuellen , Geschmack oder nach der Gewohnheit<lb/> der Kreise, in denen er sich bewegte, Kotzebue beschränkt sich keineswegs auf<lb/> den Bürgerstand, wie Jffland, er liebt es vielmehr, sich in adligen Cirkeln zu<lb/> bewegen und steigt nicht selten bis zu Fürsten auf. Aber seine Edelfräulein<lb/> und' Prinzessinnen drücken sich grade so wie seine Indianerinnen nicht anders<lb/> aus, als wenn sie Zofen wären, die viele sentimentale Romane gelesen hätten.<lb/> Die schlechten Gewohnheiten des französischen Theaters haben schon damals<lb/> sehr wesentlich aus unsere Bühne eingewirkt, aber seine bessern Seiten, die<lb/> feinen und gebilveten Formen des Umgangs würden wir bei uns vergebens<lb/> suchen. Durch diese Unsicherheit des Tons werden auch die sittlichen Begriffe<lb/> verwirrt. Das entgegengesetzte Extrem, die absolute Herrschaft verfeinerter</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0339]
Vorbild dienen. So tief sie sich in die Prosa des wirklichen Lebens einlassen,
in der Form behaupten sie stets die Feinheit und Zierlichkeit.ihrer poetischen
Bildung. Aber Kotzebue trifft allerdings die Hauptschuld, denn er, hat die
Gattung in Cours gebracht. Ein fernerer sehr schlimmer Fehler ist die Nei¬
gung zu Sentimentalitäten, die Erinnerung an den Ernst des Lebens, die
alle Unbefangenheit aufhebt. Um das Komische wirklich zu empfinden, müssen
wir frei sein, Sorge und Mitleid darf unser Gemüth nicht umstricken. Allein
diese Fehler sind in der Regel nicht so in, den Organismus des Stücks ver¬
webt, daß sie nicht in den meisten Fällen leicht beseitigt werden könnten.
Kotzebue scheint mehr der Neigung des Publicums Concessionen gemacht, zu
haben, als seiner eignen Neigung gefolgt zu sein. Und so geben denn die
besseren seiner Possen, z. B. „der Wildfang" (1797), „das Epigramm"' (1801)
„die deutschen Kleinstädter (1802, aus welchem Stücke der Name Krähwinkel
in Deutschland populär geworden ist), „der Wirrwarr" (1802) „Pagenstreiche"
(180i), „des Esels Schatten" (1809) noch immer reiche Ausbeute, und Figuren
wie der Schneider Fips, der Pachter Feldkümmel, der Commissionsrath Frosch,
Elias Krumm u. s. w. fahren fort in den Händen geschickter Virtuosen das
Publicum zu ergötzen.
Was der Ausbildung des feinern Lustspiels bei uns unübersteigliche
Schwierigkeiten in den Weg setzt, ist der vollständige Mangel einer sittlichen
Basis oder wenn man sich allgemeiner ausdrücken will, eines bestimmten ge¬
sellschaftlichen Tons. - Der Tragödiendichter empfindet das weniger, denn seine
Handlung spielt immer mehr oder minder in einer idealen Welt; aber der
Lustspieldichter, auch wenn er sich in das Reich der Elfen, der Märchen und
der Träume flüchtet, muß uns doch immer gesellschaftliche Verhältnisse zeich¬
nen und kann sich daher an das Gegebene anschließen. Hier ist nun der
Dichter in der üblen Lage, daß er sich nicht blos die Handlung, sondern auch
den Ton selbst erfinden muß. In Kotzebues Zeiten war der Uebelstand noch
größer. Jeder einzelne Dichter färbte die Situation und die Formen der Ge¬
sellschaft nach seinem eignen individuellen , Geschmack oder nach der Gewohnheit
der Kreise, in denen er sich bewegte, Kotzebue beschränkt sich keineswegs auf
den Bürgerstand, wie Jffland, er liebt es vielmehr, sich in adligen Cirkeln zu
bewegen und steigt nicht selten bis zu Fürsten auf. Aber seine Edelfräulein
und' Prinzessinnen drücken sich grade so wie seine Indianerinnen nicht anders
aus, als wenn sie Zofen wären, die viele sentimentale Romane gelesen hätten.
Die schlechten Gewohnheiten des französischen Theaters haben schon damals
sehr wesentlich aus unsere Bühne eingewirkt, aber seine bessern Seiten, die
feinen und gebilveten Formen des Umgangs würden wir bei uns vergebens
suchen. Durch diese Unsicherheit des Tons werden auch die sittlichen Begriffe
verwirrt. Das entgegengesetzte Extrem, die absolute Herrschaft verfeinerter
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