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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Fast noch wichtiger erschien mir ein anderes Bedenken, ob sich namentlich in
unsren kleinstaatlichen Verhältnissen eine hinreichende Anzahl von Männern finden
werde, deren Urtheil man sich vorkommendenfalls lieber unterwerfen möchte, als
der Einsicht und Bildung einer rechtsgelehrten Richterbank.

Dies war meine Ansicht von der Sache, als ich vor einigen Monaten durch
das Loos berufen wurde, selbst als Geschworener einzutreten; ich folgte dem Rufe
mit nicht geringer Theilnahme und spreche hier ans, was ich während der vierzehn¬
tägiger Sitzung erfahren und gelernt habe. ,

> Infolge gesetzlicher Ablehnuugsgrüude war die geringste gesetzliche Anzahl
von Geschworenen erschienen, dreißig, nnter ihnen zwei für jenen Fall nen auf¬
gelöste Ergänzungsgeschworene. Von dieser Liste gehörten zweiundzwanzig der
ländlichen, acht der städtischen Bevö.lkernng an; jene waren meist Schultheißen,
Müller, Wirthe; diese Handwerker, Kaufleute, Fabrikanten, ein Staatsdiener.
Bedenkliche Gemüther fürchteten, es werde der Geschworenenvank an "Intelligenz"
fehlen.

Dreizehn Anklagen gegen 17 Angeklagte kamen zur Verhandlung: eine we¬
gen Beleidigung eines auswärtigen Regenten, eine wegen LandfriedeusbruchS,
eine wegen Veruntreuung, eine wegen Raubs, zwei wegen Fleischesvergehen, drei
wegen ausgezeichneten Diebstahls, vier wegen Meineids. Freisprechungen er¬
folgten nur in der Sache wegen Beleidigung eines auswärtigen Regenten, in
der wegen Landfriedensbruch in Betreff des einen von drei Angeklagten, und in
einer Meineidsache. Nur in einem Falle waren die Urtheile der unbetheiligten
Zuhörer, Juristen und Nichtjnristen, über den Wahlspruch der Geschworenen ge¬
theilt; in allen übrigen, zum Theil ziemlich verwickelten Fällen fand derselbe all¬
gemeine Billigung.

Der erste mir keineswegs gleichgiltige Umstand war die Vereidigung der
Geschworenen. Ich hatte es sehr vernünftig gefunden, als im Laufe des vorigen
Winters aus der Mitte der preußischen Kammern der Vorschlag hervorging, in
Zukunft sämmtliche Geschworenen nur einmal ^zu Anfang der Sitzung für alle Fälle
zu vereidigen; und ich hatte damals nicht recht begriffen, weshalb der in der einen
Kammer angenommene Antrag in der andern abgeworfen wurde. Jetzt weiß ich,
daß jener Antrag fallen mußte, wenn nicht die Schwurgerichte falle" sollten. Denn
der-Eindruck, den das Geschworenengericht auf den Angeklagten und die Zuhörer
machen soll, der Glaube an den Wahrspruch.und an seine Gerechtigkeit beruht
ganz wesentlich darauf, daß die Zwölf Geschworenen ihren Eid dem Angeklagten
Ange in Auge aussprechen, daß er zwölfmal hört: "so wahr mir Gott helfe",
daß damit jeder Gedanke an eine wissentliche und willentliche Nechtsvcrdrehnng
von vornherein unmöglich wird. Dieser Eindruck war in den Sitzungen selbst
ganz unverkennbar; er ist auch, wenngleich mitunter in absonderlicher Form, bereits
in den Volksglauben eingedrungen : ein Angeklagter legte uach langem Leugnen


Fast noch wichtiger erschien mir ein anderes Bedenken, ob sich namentlich in
unsren kleinstaatlichen Verhältnissen eine hinreichende Anzahl von Männern finden
werde, deren Urtheil man sich vorkommendenfalls lieber unterwerfen möchte, als
der Einsicht und Bildung einer rechtsgelehrten Richterbank.

Dies war meine Ansicht von der Sache, als ich vor einigen Monaten durch
das Loos berufen wurde, selbst als Geschworener einzutreten; ich folgte dem Rufe
mit nicht geringer Theilnahme und spreche hier ans, was ich während der vierzehn¬
tägiger Sitzung erfahren und gelernt habe. ,

> Infolge gesetzlicher Ablehnuugsgrüude war die geringste gesetzliche Anzahl
von Geschworenen erschienen, dreißig, nnter ihnen zwei für jenen Fall nen auf¬
gelöste Ergänzungsgeschworene. Von dieser Liste gehörten zweiundzwanzig der
ländlichen, acht der städtischen Bevö.lkernng an; jene waren meist Schultheißen,
Müller, Wirthe; diese Handwerker, Kaufleute, Fabrikanten, ein Staatsdiener.
Bedenkliche Gemüther fürchteten, es werde der Geschworenenvank an „Intelligenz"
fehlen.

Dreizehn Anklagen gegen 17 Angeklagte kamen zur Verhandlung: eine we¬
gen Beleidigung eines auswärtigen Regenten, eine wegen LandfriedeusbruchS,
eine wegen Veruntreuung, eine wegen Raubs, zwei wegen Fleischesvergehen, drei
wegen ausgezeichneten Diebstahls, vier wegen Meineids. Freisprechungen er¬
folgten nur in der Sache wegen Beleidigung eines auswärtigen Regenten, in
der wegen Landfriedensbruch in Betreff des einen von drei Angeklagten, und in
einer Meineidsache. Nur in einem Falle waren die Urtheile der unbetheiligten
Zuhörer, Juristen und Nichtjnristen, über den Wahlspruch der Geschworenen ge¬
theilt; in allen übrigen, zum Theil ziemlich verwickelten Fällen fand derselbe all¬
gemeine Billigung.

Der erste mir keineswegs gleichgiltige Umstand war die Vereidigung der
Geschworenen. Ich hatte es sehr vernünftig gefunden, als im Laufe des vorigen
Winters aus der Mitte der preußischen Kammern der Vorschlag hervorging, in
Zukunft sämmtliche Geschworenen nur einmal ^zu Anfang der Sitzung für alle Fälle
zu vereidigen; und ich hatte damals nicht recht begriffen, weshalb der in der einen
Kammer angenommene Antrag in der andern abgeworfen wurde. Jetzt weiß ich,
daß jener Antrag fallen mußte, wenn nicht die Schwurgerichte falle» sollten. Denn
der-Eindruck, den das Geschworenengericht auf den Angeklagten und die Zuhörer
machen soll, der Glaube an den Wahrspruch.und an seine Gerechtigkeit beruht
ganz wesentlich darauf, daß die Zwölf Geschworenen ihren Eid dem Angeklagten
Ange in Auge aussprechen, daß er zwölfmal hört: „so wahr mir Gott helfe",
daß damit jeder Gedanke an eine wissentliche und willentliche Nechtsvcrdrehnng
von vornherein unmöglich wird. Dieser Eindruck war in den Sitzungen selbst
ganz unverkennbar; er ist auch, wenngleich mitunter in absonderlicher Form, bereits
in den Volksglauben eingedrungen : ein Angeklagter legte uach langem Leugnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/257>, abgerufen am 22.12.2024.