Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

noch in der Voruntersuchung ein freiwilliges Geständniß ab. Warum? Eine
Mitgefangene hatte ihm gesagt: "das Leugnen hilft dir nichts, und wenn du es
abschworst, da kommen zwölf Männer ans dem ganzen Lande und überschwören
dich, und dn kommst ins Zuchthaus." Hier haben wir die unverkennbare ^Ein¬
wirkung deö unmittelbar vor dem Angeklagten geleisteten Eides; eine rechts¬
gelehrte Richterbank bei öffentlichem und mündlichem Verfahren kann nicht in glei¬
cher Weise für jeden einzelnen Fall ihren Diensteid feierlich erneuern. Noch könnte
man einwenden, eS genüge, wenn vor der ersten Sitzung sämmtliche Geschworene
in Gegenwart sämmtlicher Angeklagten vereidigt würden. Aber abgesehen von.
den Schwierigkeiten und Bedenken, die diese gleichzeitige Vorführung sämmtlicher
Angeklagten fast unmöglich machen, so hätte dann doch kein Angeklagter blos die
Geschworenen vor sich, die über ihn richten werden; der ganze Vorgang würde
in einer Weise verallgemeinert, welche den unmittelbaren sittlichen Eindruck min¬
destens sehr abschwächen müßte.

Aehnlich verhält es sich mit den Zeugeueiden: freilich ist es ein Uebelstand,
wenn deren in wenigen Stunden vielleicht ein Dutzend geschworen werden; aber
wurden die Zeugen bei dem alten Verfahren etwa nicht vereidigt? freilich nicht
ans einmal und nicht öffentlich, aber die Menge der Eide blieb doch dieselbe, und
vor Untersuchungsrichter und Protokollführer allein waren sie gewiß nicht feier¬
licher als vor einem Gerichtshöfe, dessen Präsident den Ernst der Sache zu wah¬
ren weiß. In der Voruntersuchung werden die Zeugen, wenigstens nach unsre
Gesetzgebung, möglichst selten vereidigt, und noch jn der Hauptverhandlung steht
es dem Präsidenten im Einvernehmen mit Staatsanwaltschaft und Verthei¬
digung frei, den Zengeneid zu erlasse". Eine Vermehrung der Eide findet hier
also entschieden nicht statt; daß aber die öffentliche Ablegung derselben unter er¬
höhter Feierlichkeit ein Uebelstand sei, das wird wol niemand behaupten.

Dennoch hat man wenigstens anzudeuten versucht, daß die Schwurgerichte
mit ihren zahlreichen öffentlichen Eiden an der auffallenden Vermehrung - der
Meineidsprocesse mehr oder weniger schuld seien. Es ist dies gewiß eine sehr
leichtsinnige Behauptung, schon deshalb, weil die Wirksamkeit der Schwurgerichte
bis' jetzt eine viel zu kurze ist, als daß sie schon einen so tiefeingreisenden Einfluß
selbst auf die abgelegensten Landgemeinden hätten ausüben können; sticht doch viel
mehr die Masse des Volkes das Hauptmerkmal der neuen Einrichtung eben darin,
daß ihr gegenüber acht einmal der Meineid mehr dem Verbrecher helfe. Vor
allen Dingen sollte doch einmal ein größerer Gerichtshof darüber Aufschluß geben,
wie viele Meiueidsfälle, von denen außer den Betheiligten wol nur wenig Leute
Kenntniß haben, er in einem bestimmten Zeitraum unter dem alten Verfahren, wie
viele er jetzt in dem gleichen Zeitraum zu untersuchen gehabt hat; denn bis jetzt
wissen wir wol, daß zum Entsetzen viele Meineide vor die Geschworenen kommen,
wir wissen aber nicht, ob dies Mehr sind, als früher in aller Stille erledigt our-
''


32'

noch in der Voruntersuchung ein freiwilliges Geständniß ab. Warum? Eine
Mitgefangene hatte ihm gesagt: „das Leugnen hilft dir nichts, und wenn du es
abschworst, da kommen zwölf Männer ans dem ganzen Lande und überschwören
dich, und dn kommst ins Zuchthaus." Hier haben wir die unverkennbare ^Ein¬
wirkung deö unmittelbar vor dem Angeklagten geleisteten Eides; eine rechts¬
gelehrte Richterbank bei öffentlichem und mündlichem Verfahren kann nicht in glei¬
cher Weise für jeden einzelnen Fall ihren Diensteid feierlich erneuern. Noch könnte
man einwenden, eS genüge, wenn vor der ersten Sitzung sämmtliche Geschworene
in Gegenwart sämmtlicher Angeklagten vereidigt würden. Aber abgesehen von.
den Schwierigkeiten und Bedenken, die diese gleichzeitige Vorführung sämmtlicher
Angeklagten fast unmöglich machen, so hätte dann doch kein Angeklagter blos die
Geschworenen vor sich, die über ihn richten werden; der ganze Vorgang würde
in einer Weise verallgemeinert, welche den unmittelbaren sittlichen Eindruck min¬
destens sehr abschwächen müßte.

Aehnlich verhält es sich mit den Zeugeueiden: freilich ist es ein Uebelstand,
wenn deren in wenigen Stunden vielleicht ein Dutzend geschworen werden; aber
wurden die Zeugen bei dem alten Verfahren etwa nicht vereidigt? freilich nicht
ans einmal und nicht öffentlich, aber die Menge der Eide blieb doch dieselbe, und
vor Untersuchungsrichter und Protokollführer allein waren sie gewiß nicht feier¬
licher als vor einem Gerichtshöfe, dessen Präsident den Ernst der Sache zu wah¬
ren weiß. In der Voruntersuchung werden die Zeugen, wenigstens nach unsre
Gesetzgebung, möglichst selten vereidigt, und noch jn der Hauptverhandlung steht
es dem Präsidenten im Einvernehmen mit Staatsanwaltschaft und Verthei¬
digung frei, den Zengeneid zu erlasse». Eine Vermehrung der Eide findet hier
also entschieden nicht statt; daß aber die öffentliche Ablegung derselben unter er¬
höhter Feierlichkeit ein Uebelstand sei, das wird wol niemand behaupten.

Dennoch hat man wenigstens anzudeuten versucht, daß die Schwurgerichte
mit ihren zahlreichen öffentlichen Eiden an der auffallenden Vermehrung - der
Meineidsprocesse mehr oder weniger schuld seien. Es ist dies gewiß eine sehr
leichtsinnige Behauptung, schon deshalb, weil die Wirksamkeit der Schwurgerichte
bis' jetzt eine viel zu kurze ist, als daß sie schon einen so tiefeingreisenden Einfluß
selbst auf die abgelegensten Landgemeinden hätten ausüben können; sticht doch viel
mehr die Masse des Volkes das Hauptmerkmal der neuen Einrichtung eben darin,
daß ihr gegenüber acht einmal der Meineid mehr dem Verbrecher helfe. Vor
allen Dingen sollte doch einmal ein größerer Gerichtshof darüber Aufschluß geben,
wie viele Meiueidsfälle, von denen außer den Betheiligten wol nur wenig Leute
Kenntniß haben, er in einem bestimmten Zeitraum unter dem alten Verfahren, wie
viele er jetzt in dem gleichen Zeitraum zu untersuchen gehabt hat; denn bis jetzt
wissen wir wol, daß zum Entsetzen viele Meineide vor die Geschworenen kommen,
wir wissen aber nicht, ob dies Mehr sind, als früher in aller Stille erledigt our-
''


32'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98039"/>
          <p xml:id="ID_803" prev="#ID_802"> noch in der Voruntersuchung ein freiwilliges Geständniß ab. Warum? Eine<lb/>
Mitgefangene hatte ihm gesagt: &#x201E;das Leugnen hilft dir nichts, und wenn du es<lb/>
abschworst, da kommen zwölf Männer ans dem ganzen Lande und überschwören<lb/>
dich, und dn kommst ins Zuchthaus." Hier haben wir die unverkennbare ^Ein¬<lb/>
wirkung deö unmittelbar vor dem Angeklagten geleisteten Eides; eine rechts¬<lb/>
gelehrte Richterbank bei öffentlichem und mündlichem Verfahren kann nicht in glei¬<lb/>
cher Weise für jeden einzelnen Fall ihren Diensteid feierlich erneuern. Noch könnte<lb/>
man einwenden, eS genüge, wenn vor der ersten Sitzung sämmtliche Geschworene<lb/>
in Gegenwart sämmtlicher Angeklagten vereidigt würden. Aber abgesehen von.<lb/>
den Schwierigkeiten und Bedenken, die diese gleichzeitige Vorführung sämmtlicher<lb/>
Angeklagten fast unmöglich machen, so hätte dann doch kein Angeklagter blos die<lb/>
Geschworenen vor sich, die über ihn richten werden; der ganze Vorgang würde<lb/>
in einer Weise verallgemeinert, welche den unmittelbaren sittlichen Eindruck min¬<lb/>
destens sehr abschwächen müßte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804"> Aehnlich verhält es sich mit den Zeugeueiden: freilich ist es ein Uebelstand,<lb/>
wenn deren in wenigen Stunden vielleicht ein Dutzend geschworen werden; aber<lb/>
wurden die Zeugen bei dem alten Verfahren etwa nicht vereidigt? freilich nicht<lb/>
ans einmal und nicht öffentlich, aber die Menge der Eide blieb doch dieselbe, und<lb/>
vor Untersuchungsrichter und Protokollführer allein waren sie gewiß nicht feier¬<lb/>
licher als vor einem Gerichtshöfe, dessen Präsident den Ernst der Sache zu wah¬<lb/>
ren weiß. In der Voruntersuchung werden die Zeugen, wenigstens nach unsre<lb/>
Gesetzgebung, möglichst selten vereidigt, und noch jn der Hauptverhandlung steht<lb/>
es dem Präsidenten im Einvernehmen mit Staatsanwaltschaft und Verthei¬<lb/>
digung frei, den Zengeneid zu erlasse». Eine Vermehrung der Eide findet hier<lb/>
also entschieden nicht statt; daß aber die öffentliche Ablegung derselben unter er¬<lb/>
höhter Feierlichkeit ein Uebelstand sei, das wird wol niemand behaupten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805" next="#ID_806"> Dennoch hat man wenigstens anzudeuten versucht, daß die Schwurgerichte<lb/>
mit ihren zahlreichen öffentlichen Eiden an der auffallenden Vermehrung - der<lb/>
Meineidsprocesse mehr oder weniger schuld seien. Es ist dies gewiß eine sehr<lb/>
leichtsinnige Behauptung, schon deshalb, weil die Wirksamkeit der Schwurgerichte<lb/>
bis' jetzt eine viel zu kurze ist, als daß sie schon einen so tiefeingreisenden Einfluß<lb/>
selbst auf die abgelegensten Landgemeinden hätten ausüben können; sticht doch viel<lb/>
mehr die Masse des Volkes das Hauptmerkmal der neuen Einrichtung eben darin,<lb/>
daß ihr gegenüber acht einmal der Meineid mehr dem Verbrecher helfe. Vor<lb/>
allen Dingen sollte doch einmal ein größerer Gerichtshof darüber Aufschluß geben,<lb/>
wie viele Meiueidsfälle, von denen außer den Betheiligten wol nur wenig Leute<lb/>
Kenntniß haben, er in einem bestimmten Zeitraum unter dem alten Verfahren, wie<lb/>
viele er jetzt in dem gleichen Zeitraum zu untersuchen gehabt hat; denn bis jetzt<lb/>
wissen wir wol, daß zum Entsetzen viele Meineide vor die Geschworenen kommen,<lb/>
wir wissen aber nicht, ob dies Mehr sind, als früher in aller Stille erledigt our-<lb/>
''</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32'</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] noch in der Voruntersuchung ein freiwilliges Geständniß ab. Warum? Eine Mitgefangene hatte ihm gesagt: „das Leugnen hilft dir nichts, und wenn du es abschworst, da kommen zwölf Männer ans dem ganzen Lande und überschwören dich, und dn kommst ins Zuchthaus." Hier haben wir die unverkennbare ^Ein¬ wirkung deö unmittelbar vor dem Angeklagten geleisteten Eides; eine rechts¬ gelehrte Richterbank bei öffentlichem und mündlichem Verfahren kann nicht in glei¬ cher Weise für jeden einzelnen Fall ihren Diensteid feierlich erneuern. Noch könnte man einwenden, eS genüge, wenn vor der ersten Sitzung sämmtliche Geschworene in Gegenwart sämmtlicher Angeklagten vereidigt würden. Aber abgesehen von. den Schwierigkeiten und Bedenken, die diese gleichzeitige Vorführung sämmtlicher Angeklagten fast unmöglich machen, so hätte dann doch kein Angeklagter blos die Geschworenen vor sich, die über ihn richten werden; der ganze Vorgang würde in einer Weise verallgemeinert, welche den unmittelbaren sittlichen Eindruck min¬ destens sehr abschwächen müßte. Aehnlich verhält es sich mit den Zeugeueiden: freilich ist es ein Uebelstand, wenn deren in wenigen Stunden vielleicht ein Dutzend geschworen werden; aber wurden die Zeugen bei dem alten Verfahren etwa nicht vereidigt? freilich nicht ans einmal und nicht öffentlich, aber die Menge der Eide blieb doch dieselbe, und vor Untersuchungsrichter und Protokollführer allein waren sie gewiß nicht feier¬ licher als vor einem Gerichtshöfe, dessen Präsident den Ernst der Sache zu wah¬ ren weiß. In der Voruntersuchung werden die Zeugen, wenigstens nach unsre Gesetzgebung, möglichst selten vereidigt, und noch jn der Hauptverhandlung steht es dem Präsidenten im Einvernehmen mit Staatsanwaltschaft und Verthei¬ digung frei, den Zengeneid zu erlasse». Eine Vermehrung der Eide findet hier also entschieden nicht statt; daß aber die öffentliche Ablegung derselben unter er¬ höhter Feierlichkeit ein Uebelstand sei, das wird wol niemand behaupten. Dennoch hat man wenigstens anzudeuten versucht, daß die Schwurgerichte mit ihren zahlreichen öffentlichen Eiden an der auffallenden Vermehrung - der Meineidsprocesse mehr oder weniger schuld seien. Es ist dies gewiß eine sehr leichtsinnige Behauptung, schon deshalb, weil die Wirksamkeit der Schwurgerichte bis' jetzt eine viel zu kurze ist, als daß sie schon einen so tiefeingreisenden Einfluß selbst auf die abgelegensten Landgemeinden hätten ausüben können; sticht doch viel mehr die Masse des Volkes das Hauptmerkmal der neuen Einrichtung eben darin, daß ihr gegenüber acht einmal der Meineid mehr dem Verbrecher helfe. Vor allen Dingen sollte doch einmal ein größerer Gerichtshof darüber Aufschluß geben, wie viele Meiueidsfälle, von denen außer den Betheiligten wol nur wenig Leute Kenntniß haben, er in einem bestimmten Zeitraum unter dem alten Verfahren, wie viele er jetzt in dem gleichen Zeitraum zu untersuchen gehabt hat; denn bis jetzt wissen wir wol, daß zum Entsetzen viele Meineide vor die Geschworenen kommen, wir wissen aber nicht, ob dies Mehr sind, als früher in aller Stille erledigt our- '' 32'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/258>, abgerufen am 22.12.2024.