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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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dem "europäischen Concert" und "Musikanten" wollen nicht viel sagen, und noch
viel weniger die unglückseligen Anspielungen auf Neufchatel. Frankreich, obgleich
/es ein sehr feines Ehrgefühl hat, fing wegen des Pavillons der Königin Pomare
doch keinen Krieg mit England an, und es handelte darin sehr weise. Für uns
hat aber Neufchatel grade so viel Bedeutung, wie der Pavillon der Königin Po¬
mare für Frankreich. Studenten mögen sich untereinander raufen, wenn der eine
dem andern den Ellenbogen berührt, für Staaten wäre ein solches Verfahren kin¬
disch. Aber in einem andern Punkte hätte Herr Stahl, der freilich nur ein Adop-
tivsohn Preußens ist, etwas lebhafter empfinden können. Als der Kaiser von
Rußland dem Lord Seymour erklärteres sei ihm nur an der Meinung Englands
etwas gelegen, mit Oestreich sei er einig, und was die andern dächten wäre ihm
einerlei,- so konnte er damit außer Frankreich nur Preußen bezeichnen. Gegen
Frankreich war damit nur Feindseligkeit ausgedrückt, gegen Preußen aber die offene
Geringschätzung, und die Bekanntmachung dieses Ausspruches von einem Souverän,
der so zu Preußen steht, wie Kaiser Nikolaus, mußte das preußische Ehrgefühl
auf das empfindlichste verletzen. Wir sind keinesweges der Ansicht, daß Preußen
deswegen mit Rußland hätte Krieg anfangen sollen, denn das wäre studentisch ge¬
wesen, es mußte mir daraus lernen, daß verwandtschaftliche Rücksichten in der Po¬
litik nicht maßgebend sein können. Daß aber Herr Stahl diese Ehrenkränkung
- Preußens in dem ironischen Tone behandeln konnte, wie er es wirklich gethan, wie
er es unter dem Beifall des versammelten preußischen Adels gethan, das würde
uns allerdings in Erstaunen setzen, wenn wir nach dieser Seite hin nicht längst
alles Staunens entwöhnt wären.

Wir gehen aus den eigentlichen Inhalt der Rede über. In dem einen Theil
geberdet sich Herr Stahl wie ein Mitglied des Friedenscongresses: er schildert die
Noth des Krieges, als ob er Richard Cobden selbst wäre, und er stellt die be¬
kannten Revolutionärs im Schlafrocke und Pantoffeln als wüthende Raufbolde dar.
Er hätte sich diese Mühe ersparen können. Es ist niemand, der nicht mit Grauen
dem furchtbaren Unheil, das über die europäische Civilisation hereinbricht, entge¬
gensähe; aber wir waren der Meinung, daß dieses Unheil' durch die einmüthige
Haltung Europas gegen Rußland längst hätte abgewendet werden können. Der
Kaiser hat England früher die verlockendsten Anerbietungen gemacht, Aegypten,
Candia u. s. w.; damals leistete ihm die englische Negierung einen höchst ehren-''
vollen Widerstand. Wenn das die vier Mächte im Wiener Kongreß gleichfalls ge¬
than hätten, so hätte gewiß der russische Kaiser Weisheit genug besessen, um einen
europäischen Conflict zu vermeiden. Hätte er sie aber nicht besessen, dann wäre
dies das hinreichendste Zeichen von der Nothwendigkeit eines Krieges gewesen, um
einem Zustande ein Ende zumachen, in dem die Willkür des einen über all.e andern
gebietet. -- Wir glauben serner noch heute, daß das sicherste Mittel zur Wieder¬
herstellung des Friedens das einmüthige Vorgehen der vier Mächte ist. Grade
weil Rußland und Frankreich allein den Krieg nicht entscheiden können, müssen
wir voraussehen, daß auch wir, ob wir es Wollen oder nicht, darein verwickelt wer¬
den. "Wir wünschen," sagt Herr Stahl, "die Nichtbethciligung Preußens, an dem
gegenwärtigen Kampfe' und wünschen, daß ohne Feindschaft gegen die W estmächte
das alte Verhältniß zu Rußland gewahrt bleibe." Das ist nun ein Wunsch, der


dem „europäischen Concert" und „Musikanten" wollen nicht viel sagen, und noch
viel weniger die unglückseligen Anspielungen auf Neufchatel. Frankreich, obgleich
/es ein sehr feines Ehrgefühl hat, fing wegen des Pavillons der Königin Pomare
doch keinen Krieg mit England an, und es handelte darin sehr weise. Für uns
hat aber Neufchatel grade so viel Bedeutung, wie der Pavillon der Königin Po¬
mare für Frankreich. Studenten mögen sich untereinander raufen, wenn der eine
dem andern den Ellenbogen berührt, für Staaten wäre ein solches Verfahren kin¬
disch. Aber in einem andern Punkte hätte Herr Stahl, der freilich nur ein Adop-
tivsohn Preußens ist, etwas lebhafter empfinden können. Als der Kaiser von
Rußland dem Lord Seymour erklärteres sei ihm nur an der Meinung Englands
etwas gelegen, mit Oestreich sei er einig, und was die andern dächten wäre ihm
einerlei,- so konnte er damit außer Frankreich nur Preußen bezeichnen. Gegen
Frankreich war damit nur Feindseligkeit ausgedrückt, gegen Preußen aber die offene
Geringschätzung, und die Bekanntmachung dieses Ausspruches von einem Souverän,
der so zu Preußen steht, wie Kaiser Nikolaus, mußte das preußische Ehrgefühl
auf das empfindlichste verletzen. Wir sind keinesweges der Ansicht, daß Preußen
deswegen mit Rußland hätte Krieg anfangen sollen, denn das wäre studentisch ge¬
wesen, es mußte mir daraus lernen, daß verwandtschaftliche Rücksichten in der Po¬
litik nicht maßgebend sein können. Daß aber Herr Stahl diese Ehrenkränkung
- Preußens in dem ironischen Tone behandeln konnte, wie er es wirklich gethan, wie
er es unter dem Beifall des versammelten preußischen Adels gethan, das würde
uns allerdings in Erstaunen setzen, wenn wir nach dieser Seite hin nicht längst
alles Staunens entwöhnt wären.

Wir gehen aus den eigentlichen Inhalt der Rede über. In dem einen Theil
geberdet sich Herr Stahl wie ein Mitglied des Friedenscongresses: er schildert die
Noth des Krieges, als ob er Richard Cobden selbst wäre, und er stellt die be¬
kannten Revolutionärs im Schlafrocke und Pantoffeln als wüthende Raufbolde dar.
Er hätte sich diese Mühe ersparen können. Es ist niemand, der nicht mit Grauen
dem furchtbaren Unheil, das über die europäische Civilisation hereinbricht, entge¬
gensähe; aber wir waren der Meinung, daß dieses Unheil' durch die einmüthige
Haltung Europas gegen Rußland längst hätte abgewendet werden können. Der
Kaiser hat England früher die verlockendsten Anerbietungen gemacht, Aegypten,
Candia u. s. w.; damals leistete ihm die englische Negierung einen höchst ehren-''
vollen Widerstand. Wenn das die vier Mächte im Wiener Kongreß gleichfalls ge¬
than hätten, so hätte gewiß der russische Kaiser Weisheit genug besessen, um einen
europäischen Conflict zu vermeiden. Hätte er sie aber nicht besessen, dann wäre
dies das hinreichendste Zeichen von der Nothwendigkeit eines Krieges gewesen, um
einem Zustande ein Ende zumachen, in dem die Willkür des einen über all.e andern
gebietet. — Wir glauben serner noch heute, daß das sicherste Mittel zur Wieder¬
herstellung des Friedens das einmüthige Vorgehen der vier Mächte ist. Grade
weil Rußland und Frankreich allein den Krieg nicht entscheiden können, müssen
wir voraussehen, daß auch wir, ob wir es Wollen oder nicht, darein verwickelt wer¬
den. „Wir wünschen," sagt Herr Stahl, „die Nichtbethciligung Preußens, an dem
gegenwärtigen Kampfe' und wünschen, daß ohne Feindschaft gegen die W estmächte
das alte Verhältniß zu Rußland gewahrt bleibe." Das ist nun ein Wunsch, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/238>, abgerufen am 22.12.2024.