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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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durften, um einen bedeutenden Ausschlag an der Dona" zu geben. Daß hier die
eigentliche Eutscheidmigsgegeud ist, sieht jedermann ein. Hier, wenn irgendwo,
kann die russische Defensive zum Angriff umschlagen, und mit dem Vormarsch
gegen Stambul nicht minder die Basis des feindlichen Angriffs wie-die Nückzngö-
straße der Secstreitkräste desselben bedrohen. Vom Kaukasus her gehört da¬
gegen ein Vorgehen der russischen Armee gegen Konstantinopel zu deu Chimären.

In dieser letzteren Hinsicht ist die nördliche VcrtheidignugSfroute von gerin¬
gerer Bedeutung. Solange Schweden und Preußen neutral bleiben, oder die
Neutralität des ersteren Staates von Rußland geachtet wird, fehlt es sogar an
Raum für eine russische Offensive; wäre derselbe indeß auch gefunden, so ist es
wahrscheinlich, daß es ihr an Kräften fehlen würde.

Wir haben hier im Norden, gleichwie im Süden, drei Armeen zu erwarten,
von denen indeß nur zwei die unmittelbare Bestimmung für Defcusivoperatioueu
haben, die dritte dagegen zur Niederhaltung Polens bestimmt sein dürfte. Denn
wie ruhig es, nach von Rußland inspirirter Zeitungsartikeln, auch an der Weichsel
und in Lithauen immerhin aussehen mag, es wäre gelind gesagt im höchsten
Maße ungerechtfertigt, wenn man annehmen wollte, Polen werde, nachdem es seit¬
her jede Gelegenheit ergriffen, um ein verhaßtes und unerträgliches Joch abzu¬
werfen, diese neueste, größte und hoffuuugsgewisscste unbenutzt vorübergehen lassen.
Die beiden andern Armeen sind die eine ans das Kriegstheater nordwärts vom
finnländischen Meerbusen, also nach Finnland selbst, die andere auf'das südwärts
von demselben gelegene, also nach den russisch-deutscheu Ostseeprovinzen hinge¬
wiesen; ihren Berührungspunkt aber haben beide in Se. Petersburg, welches,
Kronstäbe einbegriffen, Hauptvertheidigungsvbject ist.

Die finnische Armee und die esthläudisch-finnländische stehen in demselben
Verhältniß zueinander, wie im Süden die Donauarmee und die des Pontus.
Sie sind zur gegenseitigen Unterstützung aufeinander angewiesen. Es ist daher
die eine Anlehnungspunkt für die andere und umgekehrt. Wird die stuuländische
Armee geschlagen, so ist es die ihr zur Seite.operircnde, welche sie aufnimmt, er¬
leidet diese Verluste und wird sie zum Weichen gezwungen, so hat sie den Rückzug
ins Innere des Landes frei, oder sie wirft sich nach Finnland.

Der Zar wird nicht ermangeln, sich von Moskau aus häufig nach Se, Pe¬
tersburg zu begeben. Außerdem daß hier für die Leitung aus unmittelbarster
Nähe der passende Mittelpunkt 'gefunden ist/ repräsentirt diese Hauptstadt eine
Elite der russischen' Bevölkerung, die mit einem großen moralischen Gewicht in
die Wage der Entscheidung einfallen wird, deren Spitze aber der Kaiser selbst ist,
die also ihrer oberen Führung entbehrt, wenn er sich anderswo befindet. Dieses
Sachverhältniß mag es vielleicht mit sich bringen, daß Se. Petersburg, abgesehen
Von den rechts und links operirendcn Armeen, eine eigne Kriegsgarnison erhält,
welche, gleichsam wie ein drittes Heer, verbindend zwischen beide mitten inne tritt.
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durften, um einen bedeutenden Ausschlag an der Dona» zu geben. Daß hier die
eigentliche Eutscheidmigsgegeud ist, sieht jedermann ein. Hier, wenn irgendwo,
kann die russische Defensive zum Angriff umschlagen, und mit dem Vormarsch
gegen Stambul nicht minder die Basis des feindlichen Angriffs wie-die Nückzngö-
straße der Secstreitkräste desselben bedrohen. Vom Kaukasus her gehört da¬
gegen ein Vorgehen der russischen Armee gegen Konstantinopel zu deu Chimären.

In dieser letzteren Hinsicht ist die nördliche VcrtheidignugSfroute von gerin¬
gerer Bedeutung. Solange Schweden und Preußen neutral bleiben, oder die
Neutralität des ersteren Staates von Rußland geachtet wird, fehlt es sogar an
Raum für eine russische Offensive; wäre derselbe indeß auch gefunden, so ist es
wahrscheinlich, daß es ihr an Kräften fehlen würde.

Wir haben hier im Norden, gleichwie im Süden, drei Armeen zu erwarten,
von denen indeß nur zwei die unmittelbare Bestimmung für Defcusivoperatioueu
haben, die dritte dagegen zur Niederhaltung Polens bestimmt sein dürfte. Denn
wie ruhig es, nach von Rußland inspirirter Zeitungsartikeln, auch an der Weichsel
und in Lithauen immerhin aussehen mag, es wäre gelind gesagt im höchsten
Maße ungerechtfertigt, wenn man annehmen wollte, Polen werde, nachdem es seit¬
her jede Gelegenheit ergriffen, um ein verhaßtes und unerträgliches Joch abzu¬
werfen, diese neueste, größte und hoffuuugsgewisscste unbenutzt vorübergehen lassen.
Die beiden andern Armeen sind die eine ans das Kriegstheater nordwärts vom
finnländischen Meerbusen, also nach Finnland selbst, die andere auf'das südwärts
von demselben gelegene, also nach den russisch-deutscheu Ostseeprovinzen hinge¬
wiesen; ihren Berührungspunkt aber haben beide in Se. Petersburg, welches,
Kronstäbe einbegriffen, Hauptvertheidigungsvbject ist.

Die finnische Armee und die esthläudisch-finnländische stehen in demselben
Verhältniß zueinander, wie im Süden die Donauarmee und die des Pontus.
Sie sind zur gegenseitigen Unterstützung aufeinander angewiesen. Es ist daher
die eine Anlehnungspunkt für die andere und umgekehrt. Wird die stuuländische
Armee geschlagen, so ist es die ihr zur Seite.operircnde, welche sie aufnimmt, er¬
leidet diese Verluste und wird sie zum Weichen gezwungen, so hat sie den Rückzug
ins Innere des Landes frei, oder sie wirft sich nach Finnland.

Der Zar wird nicht ermangeln, sich von Moskau aus häufig nach Se, Pe¬
tersburg zu begeben. Außerdem daß hier für die Leitung aus unmittelbarster
Nähe der passende Mittelpunkt 'gefunden ist/ repräsentirt diese Hauptstadt eine
Elite der russischen' Bevölkerung, die mit einem großen moralischen Gewicht in
die Wage der Entscheidung einfallen wird, deren Spitze aber der Kaiser selbst ist,
die also ihrer oberen Führung entbehrt, wenn er sich anderswo befindet. Dieses
Sachverhältniß mag es vielleicht mit sich bringen, daß Se. Petersburg, abgesehen
Von den rechts und links operirendcn Armeen, eine eigne Kriegsgarnison erhält,
welche, gleichsam wie ein drittes Heer, verbindend zwischen beide mitten inne tritt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/234>, abgerufen am 23.07.2024.