Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und Preußen und ähnlichem, denn die Form des Parallelismus wird wieder nach
allen Seiten hin angewandt, glaubten wir uicht selten Gewinns zu hören. Es
ist das zwar eine Form, die in hohem Grade anregt und interessirt, aber es ist
doch nicht die befriedigende Form eines historischen Kunstwerkes.

Desto ehrenwerther und erfreulicher ist dagegen die sittlich-politische Gesin¬
nung, wenn man diesen nicht ganz genauen Ausdruck gelten lasse" will, denn wir
wollen damit nicht blos das unbestimmte Gefühl bezeichnen, sondern auch das
einsichtsvolle und gewissenhafte Urtheil über die Thatsachen. Diese Gesinnung
war uns um so erfreulicher, da wir offen gestanden bei unsern klcindcutschen Ver¬
bündeten in der gerechten Erbitterung über die schmählichen Wendungen der
neuern Politik eine Gereiztheit und Verstimmung vorausgesetzt haben, die sich
auch in der Färbung der Thatsachen verrathen müßte. Davon ist aber hier nicht
die Rede. Nicht blos wo der Verfasser sich sammelt und mit Bewußtsein urtheilt,
wo er also das Gefühl durch das Raisonnement überwindet, sondern auch, wo er
unbefangen schildert und erzählt, wo sich also seine Gefühlsstimmuug deutlich offen-
baren müßte, haben wir keine einzige Stelle gefunden, die ein leidenschaftlich be¬
fangenes Gemüth verriethe, keine Stelle, die einen enthusiastischen Preußen ver¬
letzen konnte, und wir haben in dieser Beziehung eine ziemlich scharfe Empfind¬
lichkeit. Der Verfasser sagt die Wahrheit, er sagt die volle, ganze Wahrheit,
und er spricht sie in den schärfsten Formen aus, aber man hat immer dabei das
Gefühl, daß er mit seineu Illusionen nicht auch seine Ueberzeugungen aufgegeben
hat, daß er nicht'blos gerecht ist gegen die Menschen und >gegen die einzelnen
Ereignisse, sondern auch gerecht gegen die Ideen und Hoffnungen., Gerechtigkeit
gegen die Ideen ist in aufgeregten oder verkümmerten Zeiten eine schwere Auf¬
gabe, und nach der Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts von Ger-
vinus, die eine ganz andere Jdeenreihe anzubahnen schien, als diejenige, die uns
so lange werth geworden war, haben wir gegründete Bedenken gehegt, ob diese
Gerechtigkeit noch überall dem Sturm der Leidenschaft Widerstand geleistet hätte.
Aber das vorliegende Buch wird von dem Publicum aller Parteien, natürlich der
Partei der Kreuzzeitung ausgenommen, als ein wahrhaftes und gerechtes aufgefaßt
werden, und es kann doch gewissermaßen unserer eignen Partei als ausgeführtes
und motivirtes Programm dienen. Und das ist der schönste Beruf eines Ge¬
schichtwerks. Es soll ohne Vorurtheil und ohne vorgefaßte Meinungen geschrie¬
ben sein, denn sonst würde es bei deuen, die andere Voraussetzungen haben, kei¬
nen Eindruck machen: aber es soll zugleich vou feste" Principen getragen werden
Und de" Leser zu einem bestimmten Ziel der Ueberzeugung führen.

Werfen wir noch einen Blick auf den Inhalt.

Das Buch umfaßt zwar die gesammte deutsche Geschichte in der vorliegenden
Periode, aber es concentrirt sich vorzugsweise auf Preußen, und ganz mit Recht,
da Preußen, handelnd oder leidend, ehrenvoll oder unwürdig, in dieser Periode


ZI"

und Preußen und ähnlichem, denn die Form des Parallelismus wird wieder nach
allen Seiten hin angewandt, glaubten wir uicht selten Gewinns zu hören. Es
ist das zwar eine Form, die in hohem Grade anregt und interessirt, aber es ist
doch nicht die befriedigende Form eines historischen Kunstwerkes.

Desto ehrenwerther und erfreulicher ist dagegen die sittlich-politische Gesin¬
nung, wenn man diesen nicht ganz genauen Ausdruck gelten lasse» will, denn wir
wollen damit nicht blos das unbestimmte Gefühl bezeichnen, sondern auch das
einsichtsvolle und gewissenhafte Urtheil über die Thatsachen. Diese Gesinnung
war uns um so erfreulicher, da wir offen gestanden bei unsern klcindcutschen Ver¬
bündeten in der gerechten Erbitterung über die schmählichen Wendungen der
neuern Politik eine Gereiztheit und Verstimmung vorausgesetzt haben, die sich
auch in der Färbung der Thatsachen verrathen müßte. Davon ist aber hier nicht
die Rede. Nicht blos wo der Verfasser sich sammelt und mit Bewußtsein urtheilt,
wo er also das Gefühl durch das Raisonnement überwindet, sondern auch, wo er
unbefangen schildert und erzählt, wo sich also seine Gefühlsstimmuug deutlich offen-
baren müßte, haben wir keine einzige Stelle gefunden, die ein leidenschaftlich be¬
fangenes Gemüth verriethe, keine Stelle, die einen enthusiastischen Preußen ver¬
letzen konnte, und wir haben in dieser Beziehung eine ziemlich scharfe Empfind¬
lichkeit. Der Verfasser sagt die Wahrheit, er sagt die volle, ganze Wahrheit,
und er spricht sie in den schärfsten Formen aus, aber man hat immer dabei das
Gefühl, daß er mit seineu Illusionen nicht auch seine Ueberzeugungen aufgegeben
hat, daß er nicht'blos gerecht ist gegen die Menschen und >gegen die einzelnen
Ereignisse, sondern auch gerecht gegen die Ideen und Hoffnungen., Gerechtigkeit
gegen die Ideen ist in aufgeregten oder verkümmerten Zeiten eine schwere Auf¬
gabe, und nach der Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts von Ger-
vinus, die eine ganz andere Jdeenreihe anzubahnen schien, als diejenige, die uns
so lange werth geworden war, haben wir gegründete Bedenken gehegt, ob diese
Gerechtigkeit noch überall dem Sturm der Leidenschaft Widerstand geleistet hätte.
Aber das vorliegende Buch wird von dem Publicum aller Parteien, natürlich der
Partei der Kreuzzeitung ausgenommen, als ein wahrhaftes und gerechtes aufgefaßt
werden, und es kann doch gewissermaßen unserer eignen Partei als ausgeführtes
und motivirtes Programm dienen. Und das ist der schönste Beruf eines Ge¬
schichtwerks. Es soll ohne Vorurtheil und ohne vorgefaßte Meinungen geschrie¬
ben sein, denn sonst würde es bei deuen, die andere Voraussetzungen haben, kei¬
nen Eindruck machen: aber es soll zugleich vou feste» Principen getragen werden
Und de» Leser zu einem bestimmten Ziel der Ueberzeugung führen.

Werfen wir noch einen Blick auf den Inhalt.

Das Buch umfaßt zwar die gesammte deutsche Geschichte in der vorliegenden
Periode, aber es concentrirt sich vorzugsweise auf Preußen, und ganz mit Recht,
da Preußen, handelnd oder leidend, ehrenvoll oder unwürdig, in dieser Periode


ZI"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97951"/>
            <p xml:id="ID_536" prev="#ID_535"> und Preußen und ähnlichem, denn die Form des Parallelismus wird wieder nach<lb/>
allen Seiten hin angewandt, glaubten wir uicht selten Gewinns zu hören. Es<lb/>
ist das zwar eine Form, die in hohem Grade anregt und interessirt, aber es ist<lb/>
doch nicht die befriedigende Form eines historischen Kunstwerkes.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_537"> Desto ehrenwerther und erfreulicher ist dagegen die sittlich-politische Gesin¬<lb/>
nung, wenn man diesen nicht ganz genauen Ausdruck gelten lasse» will, denn wir<lb/>
wollen damit nicht blos das unbestimmte Gefühl bezeichnen, sondern auch das<lb/>
einsichtsvolle und gewissenhafte Urtheil über die Thatsachen. Diese Gesinnung<lb/>
war uns um so erfreulicher, da wir offen gestanden bei unsern klcindcutschen Ver¬<lb/>
bündeten in der gerechten Erbitterung über die schmählichen Wendungen der<lb/>
neuern Politik eine Gereiztheit und Verstimmung vorausgesetzt haben, die sich<lb/>
auch in der Färbung der Thatsachen verrathen müßte. Davon ist aber hier nicht<lb/>
die Rede. Nicht blos wo der Verfasser sich sammelt und mit Bewußtsein urtheilt,<lb/>
wo er also das Gefühl durch das Raisonnement überwindet, sondern auch, wo er<lb/>
unbefangen schildert und erzählt, wo sich also seine Gefühlsstimmuug deutlich offen-<lb/>
baren müßte, haben wir keine einzige Stelle gefunden, die ein leidenschaftlich be¬<lb/>
fangenes Gemüth verriethe, keine Stelle, die einen enthusiastischen Preußen ver¬<lb/>
letzen konnte, und wir haben in dieser Beziehung eine ziemlich scharfe Empfind¬<lb/>
lichkeit. Der Verfasser sagt die Wahrheit, er sagt die volle, ganze Wahrheit,<lb/>
und er spricht sie in den schärfsten Formen aus, aber man hat immer dabei das<lb/>
Gefühl, daß er mit seineu Illusionen nicht auch seine Ueberzeugungen aufgegeben<lb/>
hat, daß er nicht'blos gerecht ist gegen die Menschen und &gt;gegen die einzelnen<lb/>
Ereignisse, sondern auch gerecht gegen die Ideen und Hoffnungen., Gerechtigkeit<lb/>
gegen die Ideen ist in aufgeregten oder verkümmerten Zeiten eine schwere Auf¬<lb/>
gabe, und nach der Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts von Ger-<lb/>
vinus, die eine ganz andere Jdeenreihe anzubahnen schien, als diejenige, die uns<lb/>
so lange werth geworden war, haben wir gegründete Bedenken gehegt, ob diese<lb/>
Gerechtigkeit noch überall dem Sturm der Leidenschaft Widerstand geleistet hätte.<lb/>
Aber das vorliegende Buch wird von dem Publicum aller Parteien, natürlich der<lb/>
Partei der Kreuzzeitung ausgenommen, als ein wahrhaftes und gerechtes aufgefaßt<lb/>
werden, und es kann doch gewissermaßen unserer eignen Partei als ausgeführtes<lb/>
und motivirtes Programm dienen. Und das ist der schönste Beruf eines Ge¬<lb/>
schichtwerks. Es soll ohne Vorurtheil und ohne vorgefaßte Meinungen geschrie¬<lb/>
ben sein, denn sonst würde es bei deuen, die andere Voraussetzungen haben, kei¬<lb/>
nen Eindruck machen: aber es soll zugleich vou feste» Principen getragen werden<lb/>
Und de» Leser zu einem bestimmten Ziel der Ueberzeugung führen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_538"> Werfen wir noch einen Blick auf den Inhalt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_539" next="#ID_540"> Das Buch umfaßt zwar die gesammte deutsche Geschichte in der vorliegenden<lb/>
Periode, aber es concentrirt sich vorzugsweise auf Preußen, und ganz mit Recht,<lb/>
da Preußen, handelnd oder leidend, ehrenvoll oder unwürdig, in dieser Periode</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> ZI"</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] und Preußen und ähnlichem, denn die Form des Parallelismus wird wieder nach allen Seiten hin angewandt, glaubten wir uicht selten Gewinns zu hören. Es ist das zwar eine Form, die in hohem Grade anregt und interessirt, aber es ist doch nicht die befriedigende Form eines historischen Kunstwerkes. Desto ehrenwerther und erfreulicher ist dagegen die sittlich-politische Gesin¬ nung, wenn man diesen nicht ganz genauen Ausdruck gelten lasse» will, denn wir wollen damit nicht blos das unbestimmte Gefühl bezeichnen, sondern auch das einsichtsvolle und gewissenhafte Urtheil über die Thatsachen. Diese Gesinnung war uns um so erfreulicher, da wir offen gestanden bei unsern klcindcutschen Ver¬ bündeten in der gerechten Erbitterung über die schmählichen Wendungen der neuern Politik eine Gereiztheit und Verstimmung vorausgesetzt haben, die sich auch in der Färbung der Thatsachen verrathen müßte. Davon ist aber hier nicht die Rede. Nicht blos wo der Verfasser sich sammelt und mit Bewußtsein urtheilt, wo er also das Gefühl durch das Raisonnement überwindet, sondern auch, wo er unbefangen schildert und erzählt, wo sich also seine Gefühlsstimmuug deutlich offen- baren müßte, haben wir keine einzige Stelle gefunden, die ein leidenschaftlich be¬ fangenes Gemüth verriethe, keine Stelle, die einen enthusiastischen Preußen ver¬ letzen konnte, und wir haben in dieser Beziehung eine ziemlich scharfe Empfind¬ lichkeit. Der Verfasser sagt die Wahrheit, er sagt die volle, ganze Wahrheit, und er spricht sie in den schärfsten Formen aus, aber man hat immer dabei das Gefühl, daß er mit seineu Illusionen nicht auch seine Ueberzeugungen aufgegeben hat, daß er nicht'blos gerecht ist gegen die Menschen und >gegen die einzelnen Ereignisse, sondern auch gerecht gegen die Ideen und Hoffnungen., Gerechtigkeit gegen die Ideen ist in aufgeregten oder verkümmerten Zeiten eine schwere Auf¬ gabe, und nach der Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts von Ger- vinus, die eine ganz andere Jdeenreihe anzubahnen schien, als diejenige, die uns so lange werth geworden war, haben wir gegründete Bedenken gehegt, ob diese Gerechtigkeit noch überall dem Sturm der Leidenschaft Widerstand geleistet hätte. Aber das vorliegende Buch wird von dem Publicum aller Parteien, natürlich der Partei der Kreuzzeitung ausgenommen, als ein wahrhaftes und gerechtes aufgefaßt werden, und es kann doch gewissermaßen unserer eignen Partei als ausgeführtes und motivirtes Programm dienen. Und das ist der schönste Beruf eines Ge¬ schichtwerks. Es soll ohne Vorurtheil und ohne vorgefaßte Meinungen geschrie¬ ben sein, denn sonst würde es bei deuen, die andere Voraussetzungen haben, kei¬ nen Eindruck machen: aber es soll zugleich vou feste» Principen getragen werden Und de» Leser zu einem bestimmten Ziel der Ueberzeugung führen. Werfen wir noch einen Blick auf den Inhalt. Das Buch umfaßt zwar die gesammte deutsche Geschichte in der vorliegenden Periode, aber es concentrirt sich vorzugsweise auf Preußen, und ganz mit Recht, da Preußen, handelnd oder leidend, ehrenvoll oder unwürdig, in dieser Periode ZI"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/170
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/170>, abgerufen am 01.07.2024.