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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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die Hauptrolle spielte, wie es in jeder Periode der Fall sein wird, in welcher eine
Bewegung von Osten oder von Westen nach Deutschland zu stattfindet.

Der preußische Staat war gewissermaßen ein Heerlager, welches zuerst durch
eine Reihe verständiger und ordnungsliebender Fürsten inmitten der deutschen Klein¬
städtern aufgestellt und dann durch Friedrich den Großen zu einer welthistorischen
Bedeutung erhoben war. Es ist ein Staat, der allen sonstigen historischen Vor¬
aussetzungen widerspricht, und dessen Entwicklung daher fortwährend alle Welt
in Verwirrung setzt, ein durchaus gemachter Staat, denn er hatte keine na¬
türliche, nationale Basis, keine unerschöpflichen Hilfsquellen, er war der absolute
Widerspruch gegen die Voraussetzungen der deutschen Geschichte; und doch war
es ihm gelungen, aus dem Heerlager ein nationales Bewußtsein über das ganze
Volk zu verbreiten und von da ans wohlthätig auf Deutschland zurückzuwirken.
Die Tüchtigkeit der Vorgänger Friedrichs sowie die Mäßigung seiner spätem Pe¬
riode haben es möglich gemacht, daß das gewaltige, unerhörte Aufgebot aller
Kräfte dieselben nicht verzehrt hatte, daß auch beim Stocken der Bewegung im¬
mer ein solider Kern übrig blieb, der eine zukünftige Entwicklung versprach. Preu¬
ßen ist nicht so schnell zu Grunde gegangen wie andere Kriegerstaaten, sobald die
mächtige Persönlichkeit, die sie hervorgerufen, vom Schauplatz abgetreten war.
Eben daraus zeigt sich auch, daß unsere Könige nnr^das ins Leben gerufen haben,
was durch die Natur der Dinge zum Leben bestimmt war, daß der preußische
Geist, um uus so auszudrücken, sür Deutschland nothwendig und daß er unter
den gegebenen Umständen möglich war.

Aber ans. der andern Seite schwebt Preußen immer in der größten Gefahr.
Es hatte durch den siebenjährigen Krieg eine Stellung in der Weltgeschichte er¬
worben, die über seine natürlichen Kräfte hinausging, es mußte sich also versucht
fühlen, immer in einer höhern und umfassendern Weise seine Kräfte in Anwendung
zu bringen, als es sonst zu geschehen pflegt. Da nun aber bei jedem ernsten
Conflicte nichts weniger als die Existenz des Staates auf dem Spiel stand, so
konnte eine solche Rolle nur unternommen > werden, wenn Preußen einen sehr star¬
ken gesteigerten Glauben an seine Bestimmung in sich trug. Was man den preu¬
ßischen Dünkel nennt und was anch in der Form zu sehr unerfreulichen Erschei¬
nungen führt, hat in der Bestimmung des preußischen Staates seiue vollkommene
Begründung und Berechtigung. Nun muß aber diese Bestimmung nach zwei
Seiten hin ausgeübt werden. Einerseits muß Preußen überall mit dem Schwert
bei der Hand sein: es ist ein Kriegerstaat, es ist ein unfertiger Staat und es hat
nur die Wahl, sich durch fortgesetzte Eroberungen zu einem fertigen zu macheu
oder unterzugehen. Auf der andern Seite aber ist seiue Lage für die Verthei¬
digung viel ungünstiger und schwächer, als die irgend eines andern Staates. Alle
seine Grenzen sind ausgesetzt, alle seine Nachbarn siud seiue natürlichen Feinde;
denn sie müssen fürchten, von ihm einst verschlungen zu werden. Es kann also


die Hauptrolle spielte, wie es in jeder Periode der Fall sein wird, in welcher eine
Bewegung von Osten oder von Westen nach Deutschland zu stattfindet.

Der preußische Staat war gewissermaßen ein Heerlager, welches zuerst durch
eine Reihe verständiger und ordnungsliebender Fürsten inmitten der deutschen Klein¬
städtern aufgestellt und dann durch Friedrich den Großen zu einer welthistorischen
Bedeutung erhoben war. Es ist ein Staat, der allen sonstigen historischen Vor¬
aussetzungen widerspricht, und dessen Entwicklung daher fortwährend alle Welt
in Verwirrung setzt, ein durchaus gemachter Staat, denn er hatte keine na¬
türliche, nationale Basis, keine unerschöpflichen Hilfsquellen, er war der absolute
Widerspruch gegen die Voraussetzungen der deutschen Geschichte; und doch war
es ihm gelungen, aus dem Heerlager ein nationales Bewußtsein über das ganze
Volk zu verbreiten und von da ans wohlthätig auf Deutschland zurückzuwirken.
Die Tüchtigkeit der Vorgänger Friedrichs sowie die Mäßigung seiner spätem Pe¬
riode haben es möglich gemacht, daß das gewaltige, unerhörte Aufgebot aller
Kräfte dieselben nicht verzehrt hatte, daß auch beim Stocken der Bewegung im¬
mer ein solider Kern übrig blieb, der eine zukünftige Entwicklung versprach. Preu¬
ßen ist nicht so schnell zu Grunde gegangen wie andere Kriegerstaaten, sobald die
mächtige Persönlichkeit, die sie hervorgerufen, vom Schauplatz abgetreten war.
Eben daraus zeigt sich auch, daß unsere Könige nnr^das ins Leben gerufen haben,
was durch die Natur der Dinge zum Leben bestimmt war, daß der preußische
Geist, um uus so auszudrücken, sür Deutschland nothwendig und daß er unter
den gegebenen Umständen möglich war.

Aber ans. der andern Seite schwebt Preußen immer in der größten Gefahr.
Es hatte durch den siebenjährigen Krieg eine Stellung in der Weltgeschichte er¬
worben, die über seine natürlichen Kräfte hinausging, es mußte sich also versucht
fühlen, immer in einer höhern und umfassendern Weise seine Kräfte in Anwendung
zu bringen, als es sonst zu geschehen pflegt. Da nun aber bei jedem ernsten
Conflicte nichts weniger als die Existenz des Staates auf dem Spiel stand, so
konnte eine solche Rolle nur unternommen > werden, wenn Preußen einen sehr star¬
ken gesteigerten Glauben an seine Bestimmung in sich trug. Was man den preu¬
ßischen Dünkel nennt und was anch in der Form zu sehr unerfreulichen Erschei¬
nungen führt, hat in der Bestimmung des preußischen Staates seiue vollkommene
Begründung und Berechtigung. Nun muß aber diese Bestimmung nach zwei
Seiten hin ausgeübt werden. Einerseits muß Preußen überall mit dem Schwert
bei der Hand sein: es ist ein Kriegerstaat, es ist ein unfertiger Staat und es hat
nur die Wahl, sich durch fortgesetzte Eroberungen zu einem fertigen zu macheu
oder unterzugehen. Auf der andern Seite aber ist seiue Lage für die Verthei¬
digung viel ungünstiger und schwächer, als die irgend eines andern Staates. Alle
seine Grenzen sind ausgesetzt, alle seine Nachbarn siud seiue natürlichen Feinde;
denn sie müssen fürchten, von ihm einst verschlungen zu werden. Es kann also


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/171>, abgerufen am 22.12.2024.