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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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von der Antwort auf dieses Schreiben nach Deutschland gekommen. Alles,
was darüber gesagt wird, stimmt dahin überein, daß Oestreich die Westmächte
in ihrem Vertrauen zu bestärken sucht. Wenn für den Augenblick nicht directe
Hilfe versprochen wird, so wäre sie doch für eine eventuelle Zukunft in Aussicht
gestellt. Man will sogar behaupten, daß Oestreich das geringe Gedeihen der
westlichen Kriegsvorbereitungen mit unter den Ursachen seiner vorläufigen Zurück¬
haltung aufzähle. Das wäre ein xc> on! das Frankreich und England ganz un¬
erwartet zugerufen wird. Auf unsere individuelle Beurtheilung der Verhältnisse
können diese Symptome keinen großen Einfluß ausüben, weil wir keine that¬
sächliche Veränderung darin sehen. Das ist eine Vertagung der Lösung oder
vielmehr ein Versuch einer solchen Vertagung. Damit sich Oestreich so that¬
kräftig auf die Seite des Westens stelle, als es dieser für seine Politik wünscht,
müßte es während der diplomatischen Verhandlungen eine andere Stellung ein¬
genommen haben. Wir können aber die Hoffnungen, die man hier hegt,
nicht unbeachtet lassen und legen besondern Nachdruck darauf; um bei so schwieri¬
gem Falle dem Urtheile des Lesers nicht durch eine subjective Anschauung Gewalt
anzuthun. An eine eigentliche Entwicklung ist vorläufig noch in anderer Be¬
ziehung nicht zu denken, das beweisen die Vorgänge in Griechenland, das werden
bald auch andere Vorgänge beweisen. Der Knoten ist noch nicht fest genug
geschürzt und die Diplomatie des Zaren hat keineswegs ihr letztes Wort ge¬
sprochen, wenn auch das Schwert allenthalben gezogen ist.

Montalembert hat das Talent gehabt, oder die Negierung für ihn, Frank¬
reich zu erinnern, daß es noch eine Deputirtenkammer habe, denn vou dieser
wird, wie von einer tugendhaften Frau, möglichst wenig gesprochen, noch weniger
als sie selbst spricht. Wie vorauszusehen gewesen, haben die Deputirten ihren
College" im Stiche gelassen und im letzten Augenblicke sind grade die von ihm
abgefallen, die anfänglich am meisten für den Verfolgten agitirt hatten. Die
Regierung hat also recht behalten, aber es ist kaum zu bestimmen, ob sie ihren
Sieg erfreulich finden kann. Die Nullität der gegenwärtigen Repräsentation klar
an den Tag zu bringen, dazu bedürfte es solcher Anstrengungen nicht, und so vie¬
les aufzubieten, um eine persönliche Beleidigung eines Montalembert zu rächen,
scheint uns ebenfalls nicht politisch. Am meisten aber haben die Freunde der
Regierung sich verrannt, als sie von der Heftigkeit der Montalembcrtschen Rede
Anlaß nehmend, auf Grundlage derselben ihn fallen ließen. Sie haben dem
Gouvernement durch ihr Votum keinen glänzenden Dienst geleistet, indem das
Häuflein, das tren zu ihm gehalten, durch diesen Abfall nicht blos zu Verdäm¬
mern der von der Regierung verlangten'Verfolgung gestempelt wurde, sondern
auch zu Mitschuldigen an dessen Hochverrätherischen Gedanken, die er mit mehr
Entschiedenheit ausgesprochen, als nach seiner anfänglichen Haltung zu erwarten
gewesen. Verständig hätten die Männer, welche das Verlangen der Negierung


von der Antwort auf dieses Schreiben nach Deutschland gekommen. Alles,
was darüber gesagt wird, stimmt dahin überein, daß Oestreich die Westmächte
in ihrem Vertrauen zu bestärken sucht. Wenn für den Augenblick nicht directe
Hilfe versprochen wird, so wäre sie doch für eine eventuelle Zukunft in Aussicht
gestellt. Man will sogar behaupten, daß Oestreich das geringe Gedeihen der
westlichen Kriegsvorbereitungen mit unter den Ursachen seiner vorläufigen Zurück¬
haltung aufzähle. Das wäre ein xc> on! das Frankreich und England ganz un¬
erwartet zugerufen wird. Auf unsere individuelle Beurtheilung der Verhältnisse
können diese Symptome keinen großen Einfluß ausüben, weil wir keine that¬
sächliche Veränderung darin sehen. Das ist eine Vertagung der Lösung oder
vielmehr ein Versuch einer solchen Vertagung. Damit sich Oestreich so that¬
kräftig auf die Seite des Westens stelle, als es dieser für seine Politik wünscht,
müßte es während der diplomatischen Verhandlungen eine andere Stellung ein¬
genommen haben. Wir können aber die Hoffnungen, die man hier hegt,
nicht unbeachtet lassen und legen besondern Nachdruck darauf; um bei so schwieri¬
gem Falle dem Urtheile des Lesers nicht durch eine subjective Anschauung Gewalt
anzuthun. An eine eigentliche Entwicklung ist vorläufig noch in anderer Be¬
ziehung nicht zu denken, das beweisen die Vorgänge in Griechenland, das werden
bald auch andere Vorgänge beweisen. Der Knoten ist noch nicht fest genug
geschürzt und die Diplomatie des Zaren hat keineswegs ihr letztes Wort ge¬
sprochen, wenn auch das Schwert allenthalben gezogen ist.

Montalembert hat das Talent gehabt, oder die Negierung für ihn, Frank¬
reich zu erinnern, daß es noch eine Deputirtenkammer habe, denn vou dieser
wird, wie von einer tugendhaften Frau, möglichst wenig gesprochen, noch weniger
als sie selbst spricht. Wie vorauszusehen gewesen, haben die Deputirten ihren
College» im Stiche gelassen und im letzten Augenblicke sind grade die von ihm
abgefallen, die anfänglich am meisten für den Verfolgten agitirt hatten. Die
Regierung hat also recht behalten, aber es ist kaum zu bestimmen, ob sie ihren
Sieg erfreulich finden kann. Die Nullität der gegenwärtigen Repräsentation klar
an den Tag zu bringen, dazu bedürfte es solcher Anstrengungen nicht, und so vie¬
les aufzubieten, um eine persönliche Beleidigung eines Montalembert zu rächen,
scheint uns ebenfalls nicht politisch. Am meisten aber haben die Freunde der
Regierung sich verrannt, als sie von der Heftigkeit der Montalembcrtschen Rede
Anlaß nehmend, auf Grundlage derselben ihn fallen ließen. Sie haben dem
Gouvernement durch ihr Votum keinen glänzenden Dienst geleistet, indem das
Häuflein, das tren zu ihm gehalten, durch diesen Abfall nicht blos zu Verdäm¬
mern der von der Regierung verlangten'Verfolgung gestempelt wurde, sondern
auch zu Mitschuldigen an dessen Hochverrätherischen Gedanken, die er mit mehr
Entschiedenheit ausgesprochen, als nach seiner anfänglichen Haltung zu erwarten
gewesen. Verständig hätten die Männer, welche das Verlangen der Negierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/124>, abgerufen am 22.12.2024.