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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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uneben. Die englische Presse wetteifert im gegenwärtigen Augenblick im Voll¬
gefühl ihrer neuen Machtentwicklnng in Schmähungen gegen Deutschland, weil es so
lange zögert, sich den Alliirten anzuschließen. Wir haben zwar nicht jenen närrischen
Patriotismus, der den Arzt schlägt, weil dieser ihm von seiner Krankheit spricht, allein
wir müssen doch unsere Freunde jenseit des Kanals daran erinnern, nicht ein zu
kurzes Gedächtniß zu haben. Wer war es, der in den Jahren 18i9 und -1860
die Infamie beging, den einzigen Staat, der eine Vormauer gegen Nußland
werden konnte, Preußen, an die Russen, an die Dänen, an die Franzosen und
an die Oestreicher zu verrathen? Wer anders als das mächtige England, das
mit kläglichem Neide die Möglichkeit einer preußischen Seemacht betrachtete, und
es ruhig geschehen ließ, daß Rußland seinen souveränen Willen durchsetzte und
Preußen demüthigte? Es ist sehr gut, daß England jetzt eine andere Richtung
genommen hat, und das deutsche Volk wird alles Mögliche thu", um seine Re¬
gierungen nach derselben Richtung hinzutreiben, allein es ist ganz unnütz, daß
die guten Insulaner den Mund so voll nehmen. England kann in raschem
Entschluß einen Kampf unternehmen, der es in keine directe Gefahr
bringt; aber ein Staat mit eingeschränkten Kräften, auf dessen Schwäche
überall übermächtige und feindliche Nachbarn lauern, will mit Schonung behan¬
delt sein. Gewiß werden wir uns freuen, wenn die englische Diplomatie in
Berlin glänzende Erfolge erringt, aber die ungezogene Diplomatie eines Blattes
wie die Times, das noch vor ein paar Monaten gut russisch war, müssen wir
uns höflich verbitten. Wir wünschen den Krieg gegen Rußland, weil er in Preu¬
ßens, in Deutschlands eigensten und tiefstem Interesse liegt; aber zum Ver¬
gnügen der Londoner Börsenschacherer würden wir nicht einen Pfennig auszugeben
rathen. Wenn die englische Presse wirklich einen Nutzen stiften will, so möge sie
dem Lord Rüssel begreiflich macheu, daß er doch der Schwäche eines Staats,
dessen Abhängigkeit von Rußland er in so rührenden Worten bedauert, etwas
zu Hilfe kommen möge. Wenn Preußen sein Gut und Blut an diesen Kampf
setzt, so muß es auch gestärkt daraus hervorgehe", und England möge bei guter
Zeit in sich gehen und überlegen, daß vor allen Dingen Schleswig-Holstein, daß
Kiel der Punkt ist, an welchem der Hauptsieg über Rußland davongetragen
werden kann, daß so lange dieser Punkt in russischen Händen bleibt, der russische
Kaiser auch den Verlust Konstantinopels verschmerzen kann.




Pariser Brief.

Ich habe Ihnen in meinem jüngsten Brief von dem eigenhändigen Schreiben
Louis Napoleons an Franz Joseph gesprochen und seither ist auch die Kunde


uneben. Die englische Presse wetteifert im gegenwärtigen Augenblick im Voll¬
gefühl ihrer neuen Machtentwicklnng in Schmähungen gegen Deutschland, weil es so
lange zögert, sich den Alliirten anzuschließen. Wir haben zwar nicht jenen närrischen
Patriotismus, der den Arzt schlägt, weil dieser ihm von seiner Krankheit spricht, allein
wir müssen doch unsere Freunde jenseit des Kanals daran erinnern, nicht ein zu
kurzes Gedächtniß zu haben. Wer war es, der in den Jahren 18i9 und -1860
die Infamie beging, den einzigen Staat, der eine Vormauer gegen Nußland
werden konnte, Preußen, an die Russen, an die Dänen, an die Franzosen und
an die Oestreicher zu verrathen? Wer anders als das mächtige England, das
mit kläglichem Neide die Möglichkeit einer preußischen Seemacht betrachtete, und
es ruhig geschehen ließ, daß Rußland seinen souveränen Willen durchsetzte und
Preußen demüthigte? Es ist sehr gut, daß England jetzt eine andere Richtung
genommen hat, und das deutsche Volk wird alles Mögliche thu», um seine Re¬
gierungen nach derselben Richtung hinzutreiben, allein es ist ganz unnütz, daß
die guten Insulaner den Mund so voll nehmen. England kann in raschem
Entschluß einen Kampf unternehmen, der es in keine directe Gefahr
bringt; aber ein Staat mit eingeschränkten Kräften, auf dessen Schwäche
überall übermächtige und feindliche Nachbarn lauern, will mit Schonung behan¬
delt sein. Gewiß werden wir uns freuen, wenn die englische Diplomatie in
Berlin glänzende Erfolge erringt, aber die ungezogene Diplomatie eines Blattes
wie die Times, das noch vor ein paar Monaten gut russisch war, müssen wir
uns höflich verbitten. Wir wünschen den Krieg gegen Rußland, weil er in Preu¬
ßens, in Deutschlands eigensten und tiefstem Interesse liegt; aber zum Ver¬
gnügen der Londoner Börsenschacherer würden wir nicht einen Pfennig auszugeben
rathen. Wenn die englische Presse wirklich einen Nutzen stiften will, so möge sie
dem Lord Rüssel begreiflich macheu, daß er doch der Schwäche eines Staats,
dessen Abhängigkeit von Rußland er in so rührenden Worten bedauert, etwas
zu Hilfe kommen möge. Wenn Preußen sein Gut und Blut an diesen Kampf
setzt, so muß es auch gestärkt daraus hervorgehe», und England möge bei guter
Zeit in sich gehen und überlegen, daß vor allen Dingen Schleswig-Holstein, daß
Kiel der Punkt ist, an welchem der Hauptsieg über Rußland davongetragen
werden kann, daß so lange dieser Punkt in russischen Händen bleibt, der russische
Kaiser auch den Verlust Konstantinopels verschmerzen kann.




Pariser Brief.

Ich habe Ihnen in meinem jüngsten Brief von dem eigenhändigen Schreiben
Louis Napoleons an Franz Joseph gesprochen und seither ist auch die Kunde


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[0124] uneben. Die englische Presse wetteifert im gegenwärtigen Augenblick im Voll¬ gefühl ihrer neuen Machtentwicklnng in Schmähungen gegen Deutschland, weil es so lange zögert, sich den Alliirten anzuschließen. Wir haben zwar nicht jenen närrischen Patriotismus, der den Arzt schlägt, weil dieser ihm von seiner Krankheit spricht, allein wir müssen doch unsere Freunde jenseit des Kanals daran erinnern, nicht ein zu kurzes Gedächtniß zu haben. Wer war es, der in den Jahren 18i9 und -1860 die Infamie beging, den einzigen Staat, der eine Vormauer gegen Nußland werden konnte, Preußen, an die Russen, an die Dänen, an die Franzosen und an die Oestreicher zu verrathen? Wer anders als das mächtige England, das mit kläglichem Neide die Möglichkeit einer preußischen Seemacht betrachtete, und es ruhig geschehen ließ, daß Rußland seinen souveränen Willen durchsetzte und Preußen demüthigte? Es ist sehr gut, daß England jetzt eine andere Richtung genommen hat, und das deutsche Volk wird alles Mögliche thu», um seine Re¬ gierungen nach derselben Richtung hinzutreiben, allein es ist ganz unnütz, daß die guten Insulaner den Mund so voll nehmen. England kann in raschem Entschluß einen Kampf unternehmen, der es in keine directe Gefahr bringt; aber ein Staat mit eingeschränkten Kräften, auf dessen Schwäche überall übermächtige und feindliche Nachbarn lauern, will mit Schonung behan¬ delt sein. Gewiß werden wir uns freuen, wenn die englische Diplomatie in Berlin glänzende Erfolge erringt, aber die ungezogene Diplomatie eines Blattes wie die Times, das noch vor ein paar Monaten gut russisch war, müssen wir uns höflich verbitten. Wir wünschen den Krieg gegen Rußland, weil er in Preu¬ ßens, in Deutschlands eigensten und tiefstem Interesse liegt; aber zum Ver¬ gnügen der Londoner Börsenschacherer würden wir nicht einen Pfennig auszugeben rathen. Wenn die englische Presse wirklich einen Nutzen stiften will, so möge sie dem Lord Rüssel begreiflich macheu, daß er doch der Schwäche eines Staats, dessen Abhängigkeit von Rußland er in so rührenden Worten bedauert, etwas zu Hilfe kommen möge. Wenn Preußen sein Gut und Blut an diesen Kampf setzt, so muß es auch gestärkt daraus hervorgehe», und England möge bei guter Zeit in sich gehen und überlegen, daß vor allen Dingen Schleswig-Holstein, daß Kiel der Punkt ist, an welchem der Hauptsieg über Rußland davongetragen werden kann, daß so lange dieser Punkt in russischen Händen bleibt, der russische Kaiser auch den Verlust Konstantinopels verschmerzen kann. Pariser Brief. Ich habe Ihnen in meinem jüngsten Brief von dem eigenhändigen Schreiben Louis Napoleons an Franz Joseph gesprochen und seither ist auch die Kunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/123>, abgerufen am 23.07.2024.