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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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dahin erweitert wird, daß Lohengrin die fälschlich Angeklagte rettet, ist diese
Rettung durch den Kampf stets von dem Eheversprechen und dem damit zu¬
sammenhängenden Gelübde geschieden, beides erscheint so als die freie That der
Erlösten, nicht als die abgenöthigte Zusage der Beklagten. Dem Kampf eine
solche Verhandlung vorauszuschicken ziemte sich für keinen Ritter, am wenigsten
für einen Ritter des Gral, der seine Helden nicht ausschickte, damit sie heiratheten,
sondern daß sie die Unschuld schirmten. Man sieht auch nirgends einen Grund,
warum Wagner von der naturgemäßen Motivirung abgewichen ist.

Auch das wird wol manchen ausfallen, daß von der ganzen Versammlung
niemand darandenkt, wie die wunderbare Erscheinung des Ritters, sein Beneh¬
men mit Elsa den Anklagen Telramunds ein bedeutendes Gewicht verleiht,
daß selbst dieser und Ortrud nicht durch das wiederholte Verbot Lohengrins
gemahnt werden, wie hier nicht alles mit rechten Dingen zugehe, und daraus
bestehen, daß der Unbekannte sich als ebenbürtig und kampffähig aufweise,
ehe der Zweikampf beginnt, was alles später zur Unzeit Friedrich als versäumt
einfällt. Die Ritter, welche anfangs ganz zu Friedrich standen, dann durch
Elsa gerührt sie für unschuldig hielten, dann als kein Kämpe kam an ihrer
Unschuld zweifelten, dann mit Begeisterung den gottgesandten Helden priesen,
rathen Friedrich sogar ab vom Kampf,


Steh' ab!, wir mahnen dich in Treu'!
Dein harret Unsieg, bittre Reu'!

was allerdings eine starke, wenn auch wohlgemeinte, Beleidigung ist/ Der
gute König ist auch so gerührt über das holde Wunder, daß er an nichts
weiter denkt, und dem Zuschauer bleibt nichts weiter übrig als sich zu fügen.
Der Kampf beginnt, nachdem alle zu Gott um gerechten Sieg gefleht, Lohen-
grin siegt und der allgemeine Jubel erstickt, die Verzweiflung Telramunds und
den Grimm Ortruds.

Im zweiten Act sehen wir Friedrich und Ortrud aus den Stufen der
Kirche dem Palast gegenüber, in dem die Vorfeier der Hochzeit begangen
wird. Friedrich ergibt sich dem wildesten Schmerz über seine verlorene Ehre
und klagt mit Wuth Ortrud als die Urheberin seiner Schmach an, da sie ihn
durch falsches Zeugniß und erlogene Weissagungen verführt habe. Es bedarf
einiger Zeit ehe Ortrud, die diese kleinliche Natur wie billig verachtet, mit
ihrem kalten Hohn soviel Macht über ihn gewinnt, daß sie ihn für ihren
Racheplan empfänglich macht. Sie beredet ihn, in geheimen Künsten wohl
erfahren, daß Lohengrin durch Zauberei gesiegt habe und daß man ihn ent¬
larven könne, indem man Elsa verleite die verbotene Frage an ihn zu thun,
was den Zauber brechen würde, dies wolle sie versuchen; Friedrich solle Lohen¬
grin der Zauberei anklagen, und wenn dies mißlinge, trachten ihm ein Glied
seines Leibes zu entreißen, wodurch der Zauber vernichtet würde. Auf


dahin erweitert wird, daß Lohengrin die fälschlich Angeklagte rettet, ist diese
Rettung durch den Kampf stets von dem Eheversprechen und dem damit zu¬
sammenhängenden Gelübde geschieden, beides erscheint so als die freie That der
Erlösten, nicht als die abgenöthigte Zusage der Beklagten. Dem Kampf eine
solche Verhandlung vorauszuschicken ziemte sich für keinen Ritter, am wenigsten
für einen Ritter des Gral, der seine Helden nicht ausschickte, damit sie heiratheten,
sondern daß sie die Unschuld schirmten. Man sieht auch nirgends einen Grund,
warum Wagner von der naturgemäßen Motivirung abgewichen ist.

Auch das wird wol manchen ausfallen, daß von der ganzen Versammlung
niemand darandenkt, wie die wunderbare Erscheinung des Ritters, sein Beneh¬
men mit Elsa den Anklagen Telramunds ein bedeutendes Gewicht verleiht,
daß selbst dieser und Ortrud nicht durch das wiederholte Verbot Lohengrins
gemahnt werden, wie hier nicht alles mit rechten Dingen zugehe, und daraus
bestehen, daß der Unbekannte sich als ebenbürtig und kampffähig aufweise,
ehe der Zweikampf beginnt, was alles später zur Unzeit Friedrich als versäumt
einfällt. Die Ritter, welche anfangs ganz zu Friedrich standen, dann durch
Elsa gerührt sie für unschuldig hielten, dann als kein Kämpe kam an ihrer
Unschuld zweifelten, dann mit Begeisterung den gottgesandten Helden priesen,
rathen Friedrich sogar ab vom Kampf,


Steh' ab!, wir mahnen dich in Treu'!
Dein harret Unsieg, bittre Reu'!

was allerdings eine starke, wenn auch wohlgemeinte, Beleidigung ist/ Der
gute König ist auch so gerührt über das holde Wunder, daß er an nichts
weiter denkt, und dem Zuschauer bleibt nichts weiter übrig als sich zu fügen.
Der Kampf beginnt, nachdem alle zu Gott um gerechten Sieg gefleht, Lohen-
grin siegt und der allgemeine Jubel erstickt, die Verzweiflung Telramunds und
den Grimm Ortruds.

Im zweiten Act sehen wir Friedrich und Ortrud aus den Stufen der
Kirche dem Palast gegenüber, in dem die Vorfeier der Hochzeit begangen
wird. Friedrich ergibt sich dem wildesten Schmerz über seine verlorene Ehre
und klagt mit Wuth Ortrud als die Urheberin seiner Schmach an, da sie ihn
durch falsches Zeugniß und erlogene Weissagungen verführt habe. Es bedarf
einiger Zeit ehe Ortrud, die diese kleinliche Natur wie billig verachtet, mit
ihrem kalten Hohn soviel Macht über ihn gewinnt, daß sie ihn für ihren
Racheplan empfänglich macht. Sie beredet ihn, in geheimen Künsten wohl
erfahren, daß Lohengrin durch Zauberei gesiegt habe und daß man ihn ent¬
larven könne, indem man Elsa verleite die verbotene Frage an ihn zu thun,
was den Zauber brechen würde, dies wolle sie versuchen; Friedrich solle Lohen¬
grin der Zauberei anklagen, und wenn dies mißlinge, trachten ihm ein Glied
seines Leibes zu entreißen, wodurch der Zauber vernichtet würde. Auf


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[0098] dahin erweitert wird, daß Lohengrin die fälschlich Angeklagte rettet, ist diese Rettung durch den Kampf stets von dem Eheversprechen und dem damit zu¬ sammenhängenden Gelübde geschieden, beides erscheint so als die freie That der Erlösten, nicht als die abgenöthigte Zusage der Beklagten. Dem Kampf eine solche Verhandlung vorauszuschicken ziemte sich für keinen Ritter, am wenigsten für einen Ritter des Gral, der seine Helden nicht ausschickte, damit sie heiratheten, sondern daß sie die Unschuld schirmten. Man sieht auch nirgends einen Grund, warum Wagner von der naturgemäßen Motivirung abgewichen ist. Auch das wird wol manchen ausfallen, daß von der ganzen Versammlung niemand darandenkt, wie die wunderbare Erscheinung des Ritters, sein Beneh¬ men mit Elsa den Anklagen Telramunds ein bedeutendes Gewicht verleiht, daß selbst dieser und Ortrud nicht durch das wiederholte Verbot Lohengrins gemahnt werden, wie hier nicht alles mit rechten Dingen zugehe, und daraus bestehen, daß der Unbekannte sich als ebenbürtig und kampffähig aufweise, ehe der Zweikampf beginnt, was alles später zur Unzeit Friedrich als versäumt einfällt. Die Ritter, welche anfangs ganz zu Friedrich standen, dann durch Elsa gerührt sie für unschuldig hielten, dann als kein Kämpe kam an ihrer Unschuld zweifelten, dann mit Begeisterung den gottgesandten Helden priesen, rathen Friedrich sogar ab vom Kampf, Steh' ab!, wir mahnen dich in Treu'! Dein harret Unsieg, bittre Reu'! was allerdings eine starke, wenn auch wohlgemeinte, Beleidigung ist/ Der gute König ist auch so gerührt über das holde Wunder, daß er an nichts weiter denkt, und dem Zuschauer bleibt nichts weiter übrig als sich zu fügen. Der Kampf beginnt, nachdem alle zu Gott um gerechten Sieg gefleht, Lohen- grin siegt und der allgemeine Jubel erstickt, die Verzweiflung Telramunds und den Grimm Ortruds. Im zweiten Act sehen wir Friedrich und Ortrud aus den Stufen der Kirche dem Palast gegenüber, in dem die Vorfeier der Hochzeit begangen wird. Friedrich ergibt sich dem wildesten Schmerz über seine verlorene Ehre und klagt mit Wuth Ortrud als die Urheberin seiner Schmach an, da sie ihn durch falsches Zeugniß und erlogene Weissagungen verführt habe. Es bedarf einiger Zeit ehe Ortrud, die diese kleinliche Natur wie billig verachtet, mit ihrem kalten Hohn soviel Macht über ihn gewinnt, daß sie ihn für ihren Racheplan empfänglich macht. Sie beredet ihn, in geheimen Künsten wohl erfahren, daß Lohengrin durch Zauberei gesiegt habe und daß man ihn ent¬ larven könne, indem man Elsa verleite die verbotene Frage an ihn zu thun, was den Zauber brechen würde, dies wolle sie versuchen; Friedrich solle Lohen¬ grin der Zauberei anklagen, und wenn dies mißlinge, trachten ihm ein Glied seines Leibes zu entreißen, wodurch der Zauber vernichtet würde. Auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/98>, abgerufen am 22.07.2024.