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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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alles geht der armselige Mensch ein, er, der soeben sich des verderblichen
Einflusses, den Ortrud auf ihn hatte, lebhast erinnert hat, und den sie nun in
die finstere Tiefe ihrer unheimlichen Natur hat blicken lassen, und der, als
Ortrud mit dem gemeinsten Betrug die arglose Elsa überlistet hat, sich mit den
Worten beruhigt:


Vollführe, Weib, was deine List ersonnen,
dein Werk zu hemmen fühl' ich keine Macht!
Das Unheil hat mit meinem Fall begonnen, ---
nun stürzet auch, die mich dahin gebracht!
Nur eines seh' ich mahnend vor mir steh'n: ,
der Räuber meiner Ehre soll vergeh'".

Während die beiden Rachepläne brüten, tritt Elsa auf den Söller und spricht
den Lüften ihr Glück aus. Ortrud benutzt die Gelegenheit, und mit verstellter
Demuth und Klage weiß sie Elsa so zu berücken, daß sie verspricht, sie bei sich
aufzunehmen und selbst zu holen. In wilder Begeisterung ruft dann Ortrud aus:


Entweihte Götter! helft jetzt meiner Rache!
Bestraft die Schmach, die hier euch angethan!
Stärke mich im Dienste eurer heiligen Sache,
Vernichtet der Abtrünnigen schnöden Wahn!
Wodan! Dich Starken rufe ich!
Freia! Erhabne höre mich!
segnet mir Trug und Heuchelei, '
Daß glücklich meine Rache sei!

Man fällt aus den Wolken, wenn man diese unerwartete Explosion eines
Heidenthums hört, von dem man gar nicht begreift, woher es kommt und was
es soll. Bisher ist Ortrud nur als eine ehrgeizige, rachsüchtige Frau erschienen,
und in einem solchen Charakter liegen alle Motive, die der Dichter gebraucht,
das heidnische Element ist ein störendes, das die Charakterzeichnung schief und
schielend macht. In der That, kann doch Ortrud, und wenn sie noch so
fanatisch ist, nicht wähnen, daß sie den Sieg des Heidenthums herbeiführen
werde, wenn sie Lohengrin und Elsa unglücklich machen könne. Damit ein
solcher Gedanke nur aufkommen könnte, müßte das heidnische Wesen in ganz
anderer Ausdehnung und Breite als ein wirklich vorhandenes und lebens¬
kräftiges uns vergegenwärtigt worden sein, als durch eine vereinzelt stehende
Erscheinung, die übrigens nirgends heidnischen Sinn und Geist verräth, son¬
dern nur zufällig einmal einen heidnischen Ausruf thut. Und dann, welche
Unwahrscheinlichkeit, daß der brabantische Graf eine offenkundige Heidin - denn
Elsa wünscht ihr, daß sie sich zum Glauben bekehren möge -- die übrigens
mit in die Kirche geht, heirathet und sie als eine gleichberechtigte anerkannt
wird! Und warum denn? Fast scheint es, als solle dadurch plausibel gemacht
werden, daß Ortrud zaubern kann; allein deshalb brauchte man Wodan und


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alles geht der armselige Mensch ein, er, der soeben sich des verderblichen
Einflusses, den Ortrud auf ihn hatte, lebhast erinnert hat, und den sie nun in
die finstere Tiefe ihrer unheimlichen Natur hat blicken lassen, und der, als
Ortrud mit dem gemeinsten Betrug die arglose Elsa überlistet hat, sich mit den
Worten beruhigt:


Vollführe, Weib, was deine List ersonnen,
dein Werk zu hemmen fühl' ich keine Macht!
Das Unheil hat mit meinem Fall begonnen, -—
nun stürzet auch, die mich dahin gebracht!
Nur eines seh' ich mahnend vor mir steh'n: ,
der Räuber meiner Ehre soll vergeh'».

Während die beiden Rachepläne brüten, tritt Elsa auf den Söller und spricht
den Lüften ihr Glück aus. Ortrud benutzt die Gelegenheit, und mit verstellter
Demuth und Klage weiß sie Elsa so zu berücken, daß sie verspricht, sie bei sich
aufzunehmen und selbst zu holen. In wilder Begeisterung ruft dann Ortrud aus:


Entweihte Götter! helft jetzt meiner Rache!
Bestraft die Schmach, die hier euch angethan!
Stärke mich im Dienste eurer heiligen Sache,
Vernichtet der Abtrünnigen schnöden Wahn!
Wodan! Dich Starken rufe ich!
Freia! Erhabne höre mich!
segnet mir Trug und Heuchelei, '
Daß glücklich meine Rache sei!

Man fällt aus den Wolken, wenn man diese unerwartete Explosion eines
Heidenthums hört, von dem man gar nicht begreift, woher es kommt und was
es soll. Bisher ist Ortrud nur als eine ehrgeizige, rachsüchtige Frau erschienen,
und in einem solchen Charakter liegen alle Motive, die der Dichter gebraucht,
das heidnische Element ist ein störendes, das die Charakterzeichnung schief und
schielend macht. In der That, kann doch Ortrud, und wenn sie noch so
fanatisch ist, nicht wähnen, daß sie den Sieg des Heidenthums herbeiführen
werde, wenn sie Lohengrin und Elsa unglücklich machen könne. Damit ein
solcher Gedanke nur aufkommen könnte, müßte das heidnische Wesen in ganz
anderer Ausdehnung und Breite als ein wirklich vorhandenes und lebens¬
kräftiges uns vergegenwärtigt worden sein, als durch eine vereinzelt stehende
Erscheinung, die übrigens nirgends heidnischen Sinn und Geist verräth, son¬
dern nur zufällig einmal einen heidnischen Ausruf thut. Und dann, welche
Unwahrscheinlichkeit, daß der brabantische Graf eine offenkundige Heidin - denn
Elsa wünscht ihr, daß sie sich zum Glauben bekehren möge — die übrigens
mit in die Kirche geht, heirathet und sie als eine gleichberechtigte anerkannt
wird! Und warum denn? Fast scheint es, als solle dadurch plausibel gemacht
werden, daß Ortrud zaubern kann; allein deshalb brauchte man Wodan und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/99>, abgerufen am 22.07.2024.