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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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größer, da die Sehnsucht nach Religion damals in Deutschland sehr groß und
der religiöse Besitz sehr klein und schwankend war.

Die späteren Uebersetzungen haben daher auch lange nicht den Eindruck
gemacht, den Schlegel hervorrief. , Unter diesen nennen wir, abgesehen von
SchreyVogel (West), der während seiner Regie des Wiener Theaters mehre
spanische Stücke, namentlich die "Donna Diana" von Moreto und den "Arzt seiner
Ehre" von Calderon für die Bühne bearbeitete, so daß sie wenigstens ans einigen
Theatern sich dauernd auf dem Repertoir erhielten, zunächst die Uebersetzung von
Gries (7 Bände, Berlin, Nicolai 181S --29, 2. Auflage 1840); ferner die
von Otto von der Malsbnrg (6 Bände, Leipzig, Brockhaus 1819--Is);
endlich die von Adolf Martin (3 Bände, Leipzig, Brockhaus 1844). Die
letztere bildet einen Theil der "ausgewählten Bibliothek der Klassiker des Aus¬
landes". Gries hat 13 Stücke übersetzt, Malsburg 12, Martin 9, nehmen wir
dazu die 3 von Schlegel, so kommt schon ein ganz artiger Bestand heraus, der
zwar zu der Zahl von 208 Dramen, die wir von Calderon wirklich besitzen, noch
immer in einem sehr bescheidenen Verhältniß steht, aber seiner geschlossenen Form
wegen einen bedeutenden-Einfluß auf die Literatur uicht verfehle" konnte. Nur
eins dieser Stücke, "der Alkalde von Zalamea" ist doppelt übersetzt, von Gries
1822, von Malsburg 1823. Es ist außerdem durch verschiedene Kritiker auf
dieses allerdings sehr bedeutende Stück, das unter den übrigen Dramen von
Calderon seiner scharfen Charakteristik und seiner bürgerlichen Gesinnung wegen
ganz vereinsamt steht, vielseitig hingewiesen worden; wir finden aber nicht, daß
es dem deutschen Publicum sehr bekannt geworden ist.

Was das Verhältniß dieser Uebersetzungen zueinander betrifft, so schließen
sich Gries und Malöburg unmittelbar an Schlegel an. Sie haben die Versmaße
und Reime getreu beibehalten und in der Nachbildung des Sinns wie der Form
daS Unglaubliche geleistet; in Beziehung auf die Correctheit möchte Gries den
Vorzug verdienen. Malsburg ist nicht immer ganz gleichmäßig, allein nach
unserer Ansicht hat er die Stimmung und Farbe wenigstens zuweilen glücklicher
getroffen. Es war ein begeisterter Verehrer von Calderon und hat zu jedem
seiner Stücke eine Vorrede geschrieben, in der er seinem Enthusiasmus auf eine
rührende, zuweilen aber auch komische Weise Luft macht. Größer kann die Ver¬
ehrung kaum mehr werden. Einzelne der Notizen, die er zum Verständniß des
Dichters mittheilt, sind vortrefflich, namentlich die Analyse des Fronleichnams¬
stückes, "das Leben ein Traum", welches mit der Komödie gleichen Namens die
Handlung theilt, und uns über den geheimen symbolischen Sinn derselben Aufschlüsse
gibt.-- Martin hat es sich leichter gemacht; er hat die Assonanz ganz, den Reim
zum großen Theil fallen lassen und nur den Rhythmus beibehalten, was, auf¬
richtig gesagt, kein übertrieben großer Verlust ist, da wir die Assonanzen doch
nicht hören und der gehäufte und vielfach verschlungene Reim uns im Verständniß


größer, da die Sehnsucht nach Religion damals in Deutschland sehr groß und
der religiöse Besitz sehr klein und schwankend war.

Die späteren Uebersetzungen haben daher auch lange nicht den Eindruck
gemacht, den Schlegel hervorrief. , Unter diesen nennen wir, abgesehen von
SchreyVogel (West), der während seiner Regie des Wiener Theaters mehre
spanische Stücke, namentlich die „Donna Diana" von Moreto und den „Arzt seiner
Ehre" von Calderon für die Bühne bearbeitete, so daß sie wenigstens ans einigen
Theatern sich dauernd auf dem Repertoir erhielten, zunächst die Uebersetzung von
Gries (7 Bände, Berlin, Nicolai 181S —29, 2. Auflage 1840); ferner die
von Otto von der Malsbnrg (6 Bände, Leipzig, Brockhaus 1819—Is);
endlich die von Adolf Martin (3 Bände, Leipzig, Brockhaus 1844). Die
letztere bildet einen Theil der „ausgewählten Bibliothek der Klassiker des Aus¬
landes". Gries hat 13 Stücke übersetzt, Malsburg 12, Martin 9, nehmen wir
dazu die 3 von Schlegel, so kommt schon ein ganz artiger Bestand heraus, der
zwar zu der Zahl von 208 Dramen, die wir von Calderon wirklich besitzen, noch
immer in einem sehr bescheidenen Verhältniß steht, aber seiner geschlossenen Form
wegen einen bedeutenden-Einfluß auf die Literatur uicht verfehle» konnte. Nur
eins dieser Stücke, „der Alkalde von Zalamea" ist doppelt übersetzt, von Gries
1822, von Malsburg 1823. Es ist außerdem durch verschiedene Kritiker auf
dieses allerdings sehr bedeutende Stück, das unter den übrigen Dramen von
Calderon seiner scharfen Charakteristik und seiner bürgerlichen Gesinnung wegen
ganz vereinsamt steht, vielseitig hingewiesen worden; wir finden aber nicht, daß
es dem deutschen Publicum sehr bekannt geworden ist.

Was das Verhältniß dieser Uebersetzungen zueinander betrifft, so schließen
sich Gries und Malöburg unmittelbar an Schlegel an. Sie haben die Versmaße
und Reime getreu beibehalten und in der Nachbildung des Sinns wie der Form
daS Unglaubliche geleistet; in Beziehung auf die Correctheit möchte Gries den
Vorzug verdienen. Malsburg ist nicht immer ganz gleichmäßig, allein nach
unserer Ansicht hat er die Stimmung und Farbe wenigstens zuweilen glücklicher
getroffen. Es war ein begeisterter Verehrer von Calderon und hat zu jedem
seiner Stücke eine Vorrede geschrieben, in der er seinem Enthusiasmus auf eine
rührende, zuweilen aber auch komische Weise Luft macht. Größer kann die Ver¬
ehrung kaum mehr werden. Einzelne der Notizen, die er zum Verständniß des
Dichters mittheilt, sind vortrefflich, namentlich die Analyse des Fronleichnams¬
stückes, „das Leben ein Traum", welches mit der Komödie gleichen Namens die
Handlung theilt, und uns über den geheimen symbolischen Sinn derselben Aufschlüsse
gibt.— Martin hat es sich leichter gemacht; er hat die Assonanz ganz, den Reim
zum großen Theil fallen lassen und nur den Rhythmus beibehalten, was, auf¬
richtig gesagt, kein übertrieben großer Verlust ist, da wir die Assonanzen doch
nicht hören und der gehäufte und vielfach verschlungene Reim uns im Verständniß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/55>, abgerufen am 22.07.2024.