Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mache". Aber die Sprache in den eigentlich poetischen Stellen ist sehr- schön
wiedergegeben und hat also blos auf Gries und Malsburg, die spätern Ueber¬
setzer, sondern auch auf Werner, Müllner, Grillparzer, Zedlitz u. s. w. einen
wenigstens ebenso großen Einfluß ausgeübt, als Schillers Rhetorik.

Unmittelbar nach dem Erscheinen dieser Uebersetzung suchte man sie für die
Bühne praktisch zu verwerthen. Am eifrigsten zeigten sich Hoffen.ann und Holbein
auf dem Bamberger Theater (1810 --12). Hoffmann hatte ämrin eine entgegen¬
gesetzte Stimmung wie Tieck; ihm war die Pracht der Ausstattung, die kühnen
Erfindungen in der Mechanik, die bei Calderons Tragödien (weniger bei seinen
Lustspiele") eine nothwendige Voraussetzung sind, etwas sehr Angenehmes, während
Tieck, der gern zur Einfachheit des englischen Theaters zurückgekehrt wäre, dieser
ganze Pomp zuwider war. Hoffmann gab auf diese Weise die ".Andacht zum
Kreuz", den "standhaften Prinzen", die "Brücke von Mantible"; aus "Schärpe
und Blume" machte er eine Oper. Er hatte eine kindische Freude daran, als
die Bamberger ihres Katholicismus wegen sich an der Andacht zum Krenz er¬
bauten. Die andern Theater folgten. In Weimar wurde 1811 der "standhafte
Prinz" gegeben. Das Unternehmen war Jahrelang und sorgfältig vorbereitet
worden und erregte große Sensation. Johannes Schulze schrieb zu diesem Zweck
eine größere Abhandlung, in welcher er diese Tragödie als das größte Kunstwerk
des Christenthums verherrlichte, eine Meinung, die noch heutzutage vielen
Anklang findet, z. B. bei Schack, weil man ganz übersieht, daß das Christliche
und Heroische in dieser Tragödie einen verhältnißmäßig sehr kleinen Raum ein¬
nimmt, während eine damit gar nicht zusammenhängende Liebesgeschichte und eine
stofflose melancholische Stimmung, die zwcv romantisch ist, aber nicht christlich,
die Kunst des Dichters vorzugsweise beschäftigen. Aber wenn mau in neuerer
Zeit behauptet hat, Schlegel hätte in seiner Auswahl eine mangelhafte Kenntniß
des Dichters verrathen, so können wir dieser Meinung doch nicht beipflichten.
Für seinen Zweck war die Auswahl sehr geschickt, es galt dem Publicum damit
zu imponiren, daß man ihm das Allerfremdeste und Unbegreiflichste in einer
glänzenden und einschmeichelnden Form darstellte. Die "Andacht zum Kreuz"
ist in ihrem Inhalte die frechste Verhöhnung des Protestantismus, in der Aus¬
führung aber unstreitig Calderons Meisterstück. Sobald man sie einmal über¬
wunden hatte, konnte in dem Dichter nichts mehr Fremdes bleiben. Unter den
Lustspielen' finden sich zwar viele ausgezeichnete, aber hier hätte man sich sehr bald
veranlaßt gesehen, sowol gegen die fremdartige Form, als gegen die fremd¬
artigen Sitten Protest einzulegen, weil die Vergleichung zu nahe lag, und das¬
selbe hätte stattgefunden, wenn man zuerst den Versuch mit den bürgerlichen, auf
dem Begriff von Recht und Unrecht beruhenden Dramen gemacht hätte. Bei
einem religiösen Gegenstand dagegen kam die fremdartige Form dem fremdartigen
Inhalt zu Hilfe und umgekehrt, und der imponirende. Eindruck war um so


mache». Aber die Sprache in den eigentlich poetischen Stellen ist sehr- schön
wiedergegeben und hat also blos auf Gries und Malsburg, die spätern Ueber¬
setzer, sondern auch auf Werner, Müllner, Grillparzer, Zedlitz u. s. w. einen
wenigstens ebenso großen Einfluß ausgeübt, als Schillers Rhetorik.

Unmittelbar nach dem Erscheinen dieser Uebersetzung suchte man sie für die
Bühne praktisch zu verwerthen. Am eifrigsten zeigten sich Hoffen.ann und Holbein
auf dem Bamberger Theater (1810 —12). Hoffmann hatte ämrin eine entgegen¬
gesetzte Stimmung wie Tieck; ihm war die Pracht der Ausstattung, die kühnen
Erfindungen in der Mechanik, die bei Calderons Tragödien (weniger bei seinen
Lustspiele») eine nothwendige Voraussetzung sind, etwas sehr Angenehmes, während
Tieck, der gern zur Einfachheit des englischen Theaters zurückgekehrt wäre, dieser
ganze Pomp zuwider war. Hoffmann gab auf diese Weise die „.Andacht zum
Kreuz", den „standhaften Prinzen", die „Brücke von Mantible"; aus „Schärpe
und Blume" machte er eine Oper. Er hatte eine kindische Freude daran, als
die Bamberger ihres Katholicismus wegen sich an der Andacht zum Krenz er¬
bauten. Die andern Theater folgten. In Weimar wurde 1811 der „standhafte
Prinz" gegeben. Das Unternehmen war Jahrelang und sorgfältig vorbereitet
worden und erregte große Sensation. Johannes Schulze schrieb zu diesem Zweck
eine größere Abhandlung, in welcher er diese Tragödie als das größte Kunstwerk
des Christenthums verherrlichte, eine Meinung, die noch heutzutage vielen
Anklang findet, z. B. bei Schack, weil man ganz übersieht, daß das Christliche
und Heroische in dieser Tragödie einen verhältnißmäßig sehr kleinen Raum ein¬
nimmt, während eine damit gar nicht zusammenhängende Liebesgeschichte und eine
stofflose melancholische Stimmung, die zwcv romantisch ist, aber nicht christlich,
die Kunst des Dichters vorzugsweise beschäftigen. Aber wenn mau in neuerer
Zeit behauptet hat, Schlegel hätte in seiner Auswahl eine mangelhafte Kenntniß
des Dichters verrathen, so können wir dieser Meinung doch nicht beipflichten.
Für seinen Zweck war die Auswahl sehr geschickt, es galt dem Publicum damit
zu imponiren, daß man ihm das Allerfremdeste und Unbegreiflichste in einer
glänzenden und einschmeichelnden Form darstellte. Die „Andacht zum Kreuz"
ist in ihrem Inhalte die frechste Verhöhnung des Protestantismus, in der Aus¬
führung aber unstreitig Calderons Meisterstück. Sobald man sie einmal über¬
wunden hatte, konnte in dem Dichter nichts mehr Fremdes bleiben. Unter den
Lustspielen' finden sich zwar viele ausgezeichnete, aber hier hätte man sich sehr bald
veranlaßt gesehen, sowol gegen die fremdartige Form, als gegen die fremd¬
artigen Sitten Protest einzulegen, weil die Vergleichung zu nahe lag, und das¬
selbe hätte stattgefunden, wenn man zuerst den Versuch mit den bürgerlichen, auf
dem Begriff von Recht und Unrecht beruhenden Dramen gemacht hätte. Bei
einem religiösen Gegenstand dagegen kam die fremdartige Form dem fremdartigen
Inhalt zu Hilfe und umgekehrt, und der imponirende. Eindruck war um so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97300"/>
          <p xml:id="ID_116" prev="#ID_115"> mache». Aber die Sprache in den eigentlich poetischen Stellen ist sehr- schön<lb/>
wiedergegeben und hat also blos auf Gries und Malsburg, die spätern Ueber¬<lb/>
setzer, sondern auch auf Werner, Müllner, Grillparzer, Zedlitz u. s. w. einen<lb/>
wenigstens ebenso großen Einfluß ausgeübt, als Schillers Rhetorik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_117" next="#ID_118"> Unmittelbar nach dem Erscheinen dieser Uebersetzung suchte man sie für die<lb/>
Bühne praktisch zu verwerthen. Am eifrigsten zeigten sich Hoffen.ann und Holbein<lb/>
auf dem Bamberger Theater (1810 &#x2014;12). Hoffmann hatte ämrin eine entgegen¬<lb/>
gesetzte Stimmung wie Tieck; ihm war die Pracht der Ausstattung, die kühnen<lb/>
Erfindungen in der Mechanik, die bei Calderons Tragödien (weniger bei seinen<lb/>
Lustspiele») eine nothwendige Voraussetzung sind, etwas sehr Angenehmes, während<lb/>
Tieck, der gern zur Einfachheit des englischen Theaters zurückgekehrt wäre, dieser<lb/>
ganze Pomp zuwider war. Hoffmann gab auf diese Weise die &#x201E;.Andacht zum<lb/>
Kreuz", den &#x201E;standhaften Prinzen", die &#x201E;Brücke von Mantible"; aus &#x201E;Schärpe<lb/>
und Blume" machte er eine Oper. Er hatte eine kindische Freude daran, als<lb/>
die Bamberger ihres Katholicismus wegen sich an der Andacht zum Krenz er¬<lb/>
bauten. Die andern Theater folgten. In Weimar wurde 1811 der &#x201E;standhafte<lb/>
Prinz" gegeben. Das Unternehmen war Jahrelang und sorgfältig vorbereitet<lb/>
worden und erregte große Sensation. Johannes Schulze schrieb zu diesem Zweck<lb/>
eine größere Abhandlung, in welcher er diese Tragödie als das größte Kunstwerk<lb/>
des Christenthums verherrlichte, eine Meinung, die noch heutzutage vielen<lb/>
Anklang findet, z. B. bei Schack, weil man ganz übersieht, daß das Christliche<lb/>
und Heroische in dieser Tragödie einen verhältnißmäßig sehr kleinen Raum ein¬<lb/>
nimmt, während eine damit gar nicht zusammenhängende Liebesgeschichte und eine<lb/>
stofflose melancholische Stimmung, die zwcv romantisch ist, aber nicht christlich,<lb/>
die Kunst des Dichters vorzugsweise beschäftigen. Aber wenn mau in neuerer<lb/>
Zeit behauptet hat, Schlegel hätte in seiner Auswahl eine mangelhafte Kenntniß<lb/>
des Dichters verrathen, so können wir dieser Meinung doch nicht beipflichten.<lb/>
Für seinen Zweck war die Auswahl sehr geschickt, es galt dem Publicum damit<lb/>
zu imponiren, daß man ihm das Allerfremdeste und Unbegreiflichste in einer<lb/>
glänzenden und einschmeichelnden Form darstellte. Die &#x201E;Andacht zum Kreuz"<lb/>
ist in ihrem Inhalte die frechste Verhöhnung des Protestantismus, in der Aus¬<lb/>
führung aber unstreitig Calderons Meisterstück. Sobald man sie einmal über¬<lb/>
wunden hatte, konnte in dem Dichter nichts mehr Fremdes bleiben. Unter den<lb/>
Lustspielen' finden sich zwar viele ausgezeichnete, aber hier hätte man sich sehr bald<lb/>
veranlaßt gesehen, sowol gegen die fremdartige Form, als gegen die fremd¬<lb/>
artigen Sitten Protest einzulegen, weil die Vergleichung zu nahe lag, und das¬<lb/>
selbe hätte stattgefunden, wenn man zuerst den Versuch mit den bürgerlichen, auf<lb/>
dem Begriff von Recht und Unrecht beruhenden Dramen gemacht hätte. Bei<lb/>
einem religiösen Gegenstand dagegen kam die fremdartige Form dem fremdartigen<lb/>
Inhalt zu Hilfe und umgekehrt, und der imponirende. Eindruck war um so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] mache». Aber die Sprache in den eigentlich poetischen Stellen ist sehr- schön wiedergegeben und hat also blos auf Gries und Malsburg, die spätern Ueber¬ setzer, sondern auch auf Werner, Müllner, Grillparzer, Zedlitz u. s. w. einen wenigstens ebenso großen Einfluß ausgeübt, als Schillers Rhetorik. Unmittelbar nach dem Erscheinen dieser Uebersetzung suchte man sie für die Bühne praktisch zu verwerthen. Am eifrigsten zeigten sich Hoffen.ann und Holbein auf dem Bamberger Theater (1810 —12). Hoffmann hatte ämrin eine entgegen¬ gesetzte Stimmung wie Tieck; ihm war die Pracht der Ausstattung, die kühnen Erfindungen in der Mechanik, die bei Calderons Tragödien (weniger bei seinen Lustspiele») eine nothwendige Voraussetzung sind, etwas sehr Angenehmes, während Tieck, der gern zur Einfachheit des englischen Theaters zurückgekehrt wäre, dieser ganze Pomp zuwider war. Hoffmann gab auf diese Weise die „.Andacht zum Kreuz", den „standhaften Prinzen", die „Brücke von Mantible"; aus „Schärpe und Blume" machte er eine Oper. Er hatte eine kindische Freude daran, als die Bamberger ihres Katholicismus wegen sich an der Andacht zum Krenz er¬ bauten. Die andern Theater folgten. In Weimar wurde 1811 der „standhafte Prinz" gegeben. Das Unternehmen war Jahrelang und sorgfältig vorbereitet worden und erregte große Sensation. Johannes Schulze schrieb zu diesem Zweck eine größere Abhandlung, in welcher er diese Tragödie als das größte Kunstwerk des Christenthums verherrlichte, eine Meinung, die noch heutzutage vielen Anklang findet, z. B. bei Schack, weil man ganz übersieht, daß das Christliche und Heroische in dieser Tragödie einen verhältnißmäßig sehr kleinen Raum ein¬ nimmt, während eine damit gar nicht zusammenhängende Liebesgeschichte und eine stofflose melancholische Stimmung, die zwcv romantisch ist, aber nicht christlich, die Kunst des Dichters vorzugsweise beschäftigen. Aber wenn mau in neuerer Zeit behauptet hat, Schlegel hätte in seiner Auswahl eine mangelhafte Kenntniß des Dichters verrathen, so können wir dieser Meinung doch nicht beipflichten. Für seinen Zweck war die Auswahl sehr geschickt, es galt dem Publicum damit zu imponiren, daß man ihm das Allerfremdeste und Unbegreiflichste in einer glänzenden und einschmeichelnden Form darstellte. Die „Andacht zum Kreuz" ist in ihrem Inhalte die frechste Verhöhnung des Protestantismus, in der Aus¬ führung aber unstreitig Calderons Meisterstück. Sobald man sie einmal über¬ wunden hatte, konnte in dem Dichter nichts mehr Fremdes bleiben. Unter den Lustspielen' finden sich zwar viele ausgezeichnete, aber hier hätte man sich sehr bald veranlaßt gesehen, sowol gegen die fremdartige Form, als gegen die fremd¬ artigen Sitten Protest einzulegen, weil die Vergleichung zu nahe lag, und das¬ selbe hätte stattgefunden, wenn man zuerst den Versuch mit den bürgerlichen, auf dem Begriff von Recht und Unrecht beruhenden Dramen gemacht hätte. Bei einem religiösen Gegenstand dagegen kam die fremdartige Form dem fremdartigen Inhalt zu Hilfe und umgekehrt, und der imponirende. Eindruck war um so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/54
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/54>, abgerufen am 22.07.2024.