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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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endlich wie ein ans Gold- und Silberschnppcn zusammengesetzter Helm der Mi¬
nerva oder der Jungfrau vou Orleans ausnimmt. Der Reifrock bildet einen
Wall um die Hüften und silberne Ketten, an welchen verschiedene Schaumünzen hän¬
gen, zieren und verbarricadiren deu übrigens schon, durch zahlreiche baumwollene
oder seidene Tücher hinreichend vertheidigten Busen.

Die Regierung widmet diesen Trachten große Aufmerksamkeit und wünscht
dieselben sorgfältig zu erhalten, weil sie meint, daß viel baierschcr Sinn darin
stecke. Sie hat deshalb Prämien für diejenigen ausgesetzt, welche sich so recht in
diese Costüme vertiefen und will Abbildungen davon als Muster in der Schule
und an sonstigen passenden Orten aufgehängt wissen. Allein wenn sich das bai-
rische Nationalgefühl bei diesen Menschen einmal regt, so hängt es vielmehr an
dem hellblauen Soldatenrock und dessen Ehren, an dem Boden, der ihnen viel
einbringt, und ihrem Könige bleiben sie anch ohne den hergebrachten Sonntags¬
rock treu, wenn nur der Bierpfennig nicht erhöht wird. Den Sonntagsrock re¬
gierungsseitig zu conserviren, damit ist weder die Gesundheitspolizei noch die Ver-
schönernngscommission einverstanden, welche vor allem zu fragen gewesen wären.
Denn die Ueberladung ist weder der Ausdünstung und Athmung, noch der Rein-
lichkeit und dem leichten Gebrauch der Glieder förderlich, und Verzerrung kann
unmöglich für schon gelten. Verzerrt wird aber die weibliche Gestalt ans das
Ärgste, wenn der Hals unter dem Schulterwnst der Kleider verloren geht, der
Arm- wie eine Keule erscheint und die Hüften, statt deu Oberkörper behend zu
trage", mit einem schweren Ueberbau vou Zollesdicke zu kämpfen haben. Auch
die Männertracht zeigt zwar alle Ecken des unbehilflichen Körpers, engt aber die
Hals- und Brustmuskeln bis zur Erdrosselung und jede freie Bewegung ist fort¬
während gehemmt. Daß der Bauer diesen Kleiderschnitt, welcher im vorigen oder
vorvorigen Jahrhundert in den Städten modern war, noch conservirt, beruht
uicht auf conservativen Grundsatz, sondern ans Gewohnheit und Trägheit, ohne
daß damit freilich erklärt wäre, wie er damals ans die Neuerung einzugehen
sich entschloß. Auch der hessische, rheinische, altenburger und brauuschweiger
Bauer bewahrt einen alten, aber bequemern Kleiderschnitt; und ist etwas Gutes
dabei, so besteht es darin, daß diese Bauern sämmtlich lieber grob, schwer und
geschmacklos tragen, als daß sie, wie der Ire hinter dem Pfluge, die abgelegte"
Kleider der Städter anzögen. Dieser Stolz und diese Selbständigkeit dürfen
allerdings nicht untergraben werden. Auf ihnen beruht eine sociale Trennung,
die sogar politisch berücksichtigt sein will. -- Ueberraschend aber ist es, wie schnell
der Bauer vou Bobiugeu sich so schnell wie der von Möckern und Stötteritz ge¬
wöhnte, mit der Eisenbahn zu fahren und statt der viel bequemeren Pfeife die
Cigarre anzunehmen. Selbst Papiergeld nimmt er, obwol er es nicht als Knopf
auf dem Rocke tragen kann.

Am beachtensiverthesten ist es, mit welcher Zähigkeit der Bauer der Hoch-


endlich wie ein ans Gold- und Silberschnppcn zusammengesetzter Helm der Mi¬
nerva oder der Jungfrau vou Orleans ausnimmt. Der Reifrock bildet einen
Wall um die Hüften und silberne Ketten, an welchen verschiedene Schaumünzen hän¬
gen, zieren und verbarricadiren deu übrigens schon, durch zahlreiche baumwollene
oder seidene Tücher hinreichend vertheidigten Busen.

Die Regierung widmet diesen Trachten große Aufmerksamkeit und wünscht
dieselben sorgfältig zu erhalten, weil sie meint, daß viel baierschcr Sinn darin
stecke. Sie hat deshalb Prämien für diejenigen ausgesetzt, welche sich so recht in
diese Costüme vertiefen und will Abbildungen davon als Muster in der Schule
und an sonstigen passenden Orten aufgehängt wissen. Allein wenn sich das bai-
rische Nationalgefühl bei diesen Menschen einmal regt, so hängt es vielmehr an
dem hellblauen Soldatenrock und dessen Ehren, an dem Boden, der ihnen viel
einbringt, und ihrem Könige bleiben sie anch ohne den hergebrachten Sonntags¬
rock treu, wenn nur der Bierpfennig nicht erhöht wird. Den Sonntagsrock re¬
gierungsseitig zu conserviren, damit ist weder die Gesundheitspolizei noch die Ver-
schönernngscommission einverstanden, welche vor allem zu fragen gewesen wären.
Denn die Ueberladung ist weder der Ausdünstung und Athmung, noch der Rein-
lichkeit und dem leichten Gebrauch der Glieder förderlich, und Verzerrung kann
unmöglich für schon gelten. Verzerrt wird aber die weibliche Gestalt ans das
Ärgste, wenn der Hals unter dem Schulterwnst der Kleider verloren geht, der
Arm- wie eine Keule erscheint und die Hüften, statt deu Oberkörper behend zu
trage», mit einem schweren Ueberbau vou Zollesdicke zu kämpfen haben. Auch
die Männertracht zeigt zwar alle Ecken des unbehilflichen Körpers, engt aber die
Hals- und Brustmuskeln bis zur Erdrosselung und jede freie Bewegung ist fort¬
während gehemmt. Daß der Bauer diesen Kleiderschnitt, welcher im vorigen oder
vorvorigen Jahrhundert in den Städten modern war, noch conservirt, beruht
uicht auf conservativen Grundsatz, sondern ans Gewohnheit und Trägheit, ohne
daß damit freilich erklärt wäre, wie er damals ans die Neuerung einzugehen
sich entschloß. Auch der hessische, rheinische, altenburger und brauuschweiger
Bauer bewahrt einen alten, aber bequemern Kleiderschnitt; und ist etwas Gutes
dabei, so besteht es darin, daß diese Bauern sämmtlich lieber grob, schwer und
geschmacklos tragen, als daß sie, wie der Ire hinter dem Pfluge, die abgelegte»
Kleider der Städter anzögen. Dieser Stolz und diese Selbständigkeit dürfen
allerdings nicht untergraben werden. Auf ihnen beruht eine sociale Trennung,
die sogar politisch berücksichtigt sein will. — Ueberraschend aber ist es, wie schnell
der Bauer vou Bobiugeu sich so schnell wie der von Möckern und Stötteritz ge¬
wöhnte, mit der Eisenbahn zu fahren und statt der viel bequemeren Pfeife die
Cigarre anzunehmen. Selbst Papiergeld nimmt er, obwol er es nicht als Knopf
auf dem Rocke tragen kann.

Am beachtensiverthesten ist es, mit welcher Zähigkeit der Bauer der Hoch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/432>, abgerufen am 22.07.2024.